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Ausgabe: | 1924 |
Spalte: | 163-167 |
Autor/Hrsg.: | Stange, Carl (Hrsg.) |
Titel/Untertitel: | Zeitschrift für systematische Theologie. 1. Jahrg. 1923, 1. - 3. Vierteljahresheft 1924 |
Rezensent: | Mayer, Emil Walter |
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Theologische Literaturzeitung 1924 Nr. 8.
abgeschliffenen literarischen Arbeiten Dilthey's unausgesprochen
bleibt.
Ich gebe eine Probe. Über Diltheys ,,Weltanschauung und Analyse
des Menschen im 15. und 16. Jahrh." schrieb Yorck u. A. (Nr. 68):
„ ... Um Gewißheit und Sicherheit handelte es sich dem bodenlos
gewordenen Menschen. Luther gewinnt die Sicherheit in der Transposition
des Gemüts ... Ich bin nicht Ihrer Ansicht, daß die Rechtfertigungslehre
nur so lange existiere, als ihre dogmatischen Voraussetzungen
gelten. Ihre dogmatische Fassung ist überhaupt m. E. gar
nicht ihre Voraussetzung, sondern nur ihr theoretischer Reflex.
Luthers Grundstellungnahme einer Transzendenz
aller, auch stoischer Metaphysik ist als Aufgabe weit aktueller
als der moralische Rationalismus..." Und weiter unten: ,, ... Sie
werden dem nicht beistimmen, wenn ich sage, daß Luther der Gegenwart
präsenter sein solle und müsse als Kant, wenn sie eine historische
Zukunft in sich tragen solle..." Dilthey antwortete u. A. (Nr. 99):
,, ... Das aber bleibt ja letzte Differenz: Die Positivität des Christentums
, dann der lutherischen Glaubensform ist mir für sich kein letztes
Datum; auch die .Transposition des Gemüts' hat mir die Begründung
ihres Rechtes nicht in dem hloßen religiösen Erlebnis der einzelnen
Person ...". Und weiter: ,, ... Was einmal hat geschehen und erlebt
werden können, und war es auch in Christus, das ist in der Menschennatur
gegründet, sonach im religiös Universellen. Die .Transzendenz
gegenüber aller Metaphysik' ist eben das Heldenhafte und Religiöse
in der Menschennatur, das sich selber wegwerfen kann. Wir können
es nicht begreifen. Aber wir dürfen es auch nicht isolieren."
Die Probe zeigt, daß die Persönlichkeit Yorck's in
diesem Briefwechsel mindestens ebenso fesselt wie die
Dilthey's. Was die Probe aber nicht vermitteln kann, ist
der Einblick in den Reichtum der Materien, die in ihm ein
stets geistvolles und lebendiges Echo finden. So gut wie
alles, das die Zeit zwischen 1877 und 1897 bewegt hat,
politische Tagesfragen, Universitätsgeschichten, künstlerische
Ereignisse, Bücher und Menschen, all das spielt
in diese Auseinandersetzung zweier sich wahlverwandt
fühlender und doch so verschiedener Menschen mit hinein
. Auch die Theologie der Zeit ist nicht vergessen;
man möge nur über Ritsehl und Harnack mit Hilfe des
Registers nachschlagen. Gut kommt sie nicht weg; es ist,
wenn auch zahlreiche Auslassungspunkte von der Diskretion
der Herausgeber zeugen, noch genug stehn geblieben
, was uns — mit Recht und mit Unrecht — ins
Stammbuch geschrieben wird.
Göttingen. E. Hirsch.
Zeitschrift für systematische Theologie, l. Jahrgang 1923.
1.—3. Vierteljahrsheft. Gütersloh: C. Bertelsmann. (Je 200 S.)
gr. 8°. je Gm. 5.40.
Ein dem ersten Heft beigegebenes Geleitwort will
Auskunft erteilen über die Aufgabe, die sich die neue
Zeitschrift stellt. Ausgehend von der sich allmählich
immer stärker aufdringenden Erkenntnis, daß die Theologie
sich nicht in Philologie und Historie erschöpfen
dürfe, weisen die Herausgeber darauf hin, daß der
deutsche Idealismus „eine Vertiefung der Selbstbesinnung
" bedeute, wie „sie in der Geschichte des menschlichen
Geisteslebens nur ganz selten erreicht worden
ist". Wie aber der deutsche Idealismus in der Reformation
seine Wurzeln hat, so stellt er sich zugleich als
ein erster Versuch dar, den Gehalt der Reformation für
das wissenschaftliche Verständnis des Menschen und der
Welt fruchtbar zu machen. Dieser Versuch ist indessen
noch nicht restlos gelungen, wird dem Geist der Reformation
noch nicht schlechtweg gerecht. Die, somit unvollendete
, Arbeit muß wieder aufgenommen und fortgesetzt
werden. Daraus erwächst der Zeitschrift für
Systematische Theologie ihre besondere Aufgabe. Ist ja
doch die Erneuerung und Vertiefung des Lebens, deren
unsere Zeit bedarf, nur erreichbar, wenn das Vorurteil
überwunden wird, daß ein Verständnis der Welt und der
Menschen möglich sei ohne Religion —, als welche
eben hier speziell das reformatorische Christentum in
Betracht kommt.
Bei der Bearbeitung der so umschriebenen Aufgabe
will die neue Zeitschrift keine Grenzen zielien gegenüber
einer bestimmten kirchlichen Partei; erst recht nicht sich
gegen die Philosophie ablehnend verhalten. Vielmehr
soll der „Zusammenhang" der theologischen Arbeit mit
dieser gebührend zur Geltung kommen.
Um nun von dem Charakter und der Mannigfaltigkeit
des bisher Dargebotenen eine Vorstellung zu geben,
seien vor allem die verschiedenen Artikel aufgezählt, die
in den — beiläufig bemerkt, äußerlich reich und vornehm
ausgestatteten — drei ersten Vierteljahrsheften
erschienen sind. Wenn es dabei nicht bei einem bloßen
Register von Titeln sein Bewenden haben, sondern jedesmal
eine möglichst knapp gefaßte Inhaltsangabe beigefügt
werden soll, so wolle die größere oder geringere
Ausführlichkeit der letzteren beileibe nicht als ein Gradmesser
für die höhere oder niedrigere Bewertung der
einzelnen Beiträge betrachtet werden.
Den Reigen eröffnet (Heft 1) Georg We h r u n g-M ü ns t e r
mit einer glänzend geschriebenen Abhandlung über das „religiöse Ich".
Unter Ablehnung des Begriffs eines „religiösen Apriori" und gar
naturalistischer Theorien nach Art der Feuerbachischen, verfolgt sie
den Zweck, die „metapsychologischen" Motive aufzuzeigen, die zwar
nicht die Religion zu begründen vermögen, aber gewissermaßen
den Inbegriff des religiösen Sehnens und damit die subjektive Bedingung
und das „Einfallstor" für das Gottescrlebnis bilden. Die
wichtigsten dieser Motive lassen sich kennzeichnen durch die Formeln:
„Aus Schein zum Wesen"; „vom Vergänglichen zum Ewigen"; „aus
Friedlosigkeit zum Frieden". In den genannten Motiven steckt die
Voraussetzung der ursprünglichen Bestimmung des Menschen zur
Oottesgemeinschaft. — Derselbe Verfasser bespricht (Heft 3) das
Wesen und die Bedeutung des „Irrationalen" in der Religion. Besonders
beachtenswert erscheint die Auseinandersetzung mit Fichte,
Schleiermacher, Otto, schließlich auch mit Karl Barth und seinen
Anhängern, sowie der damit verbundene Nachweis, daß es eine Stellung
zum Irrationalen geben kann, die am Ende wieder in verkappten
Rationalismus umschlägt. — Von Carl Stange-Göttingen, dem
eigentlichen Herausgeber der Zeitschrift, stammen vier Beiträge. Der
eine (Heft 1) beschäftigt sich mit der „Absolutheit des Christentums".
Diese läßt sich nicht nach Art der Aufklärung mit philosophischen
Argumenten dartun; auch nicht, etwa im Sinne Troeltschs, mittels des
Nachweises, daß die christliche Religion den Höhepunkt in der religiösen
Entwicklung der Menschheit bildet; sofern sich damit bestenfalls
nur ein relativ höchster Wert erweisen läßt. Wohl aber damit, daß
der im Christentum „gegebene Tatbestand" gegenüber allen anderen
„Tatbeständen" abgegrenzt und in seiner unbegreiflichen Besonderheit
festgestellt wird. Es unterscheidet sich nämlich das Christentum zunächst
von vielen anderen Religionen dadurch, daß es eine Stifterreligion
ist; von den übrigen Stifterreligionen aber — nur solche
können in Betracht kommen — dadurch, daß in ihm allein die Überzeugung
von der göttlichen Sendung des Stifters mit der Anerkennung
des vom selben Stifter gebrachten Lebensideals sich deckt. — Eine
Art Ergänzung zu diesen Ausführungen, die bei aller Originalität und
und Feinsinnigkeil doch wohl nichts daran ändern, daß die Absolutheit
des Christentums in letzter Instanz Glaubenssache ist und bleibt,
bildet ein Artikel desselben Verfassers über „die Aufgabe der Religionsgeschichte
" (H. 2), der unter ständiger Auseinandersetzung mit
Schleiermacher die Forderung aufstellt, daß die Rcligionsgeschichte
etwas abwerfe für ein tieferes Verständnis des Wertes und der Wahrheit
der Religion, insbesondere der christlichen. — Weitere Erläuterungen
zu dem selben Thema bietet der Artikel „Stimmungsreligion,
Stifterreligion und Christentum" (H. 3). — Endlich bespricht Stange
(H. I) Lessings „Erziehung des Menschengeschlechts" und übt Kritik
an dem in dieser Schrift unternommenen Versuch, den Offenbarungsbegriff
geschichtsphilosophisch zu deuten. — Emanuel Hirsch-
Göt fingen behandelt das Thema „Die Romantik und das Christentum
insbesondre bei Novalis und dem jungen Hegel" (Heft 1). Er
schildert auf anschauliche Weise, wie die Romanitk im Unterschied
von der Aufklärung das Verständnis für die Religion und das
Christentum vertieft hat, zeigt aber zugleich, speziell an dem Beispiel
des jungen Hegel, wie auch dies vertiefte Verständnis nicht ausreichend
war, insofern als über der starken Betonung der Einheit des
menschlichen Geistes mit dem geistigen Weltgrund die Distanz zwischen
dem heiligen richtenden Gott und dem menschlichen Geist nicht zu
voller Würdigung gelangt ist. — Ein verwandtes Thema kommt zur
Sprache in fünf Vorlesungen über „Die idealistische Philosophie und
das Christentum", die Hirsch seinerzeit auf der Tagung des Apologetischen
Seminars in Helmstedt gehalten hat, und die nunmehr In der
vorliegenden Zeitschrift (H. 3) veröffentlicht sind. Der Göttinger
Kirchenhistoriker geht von dem Oegcnsatz zwischen Positivismus und
Idealismus aus und beschreibt mit bekanntein liebevollen Verständnis,
das insbesondere Fichte und Hegel gilt — Schleiermacher kommt
etwas weniger gut weg — das Wesen des Idealismus sowie dessen
Gottesgedanken und die entsprechende Frömmigkeit. Er unterzieht
zugleich diesen Gottesgedanken einer Kritik und bemüht sich um etwas
wie eine Korrektur der idealistischen Philosophie, indem er als Aus-