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Ausgabe:

1924 Nr. 8

Spalte:

148-151

Autor/Hrsg.:

Löhr, Max

Titel/Untertitel:

Untersuchungen zum Hexateuchproblem. I: Der Priesterkodex in der Genesis 1924

Rezensent:

Eissfeldt, Otto

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Theologische Literaturzeitung 1924 Nr. 8.

I 18

fahren der göttlichen Gegenwart als ein Geschenk. Diese
Bestimmung des Spiritualismus ist viel allgemeiner und
weitreichender als die gewöhnliche. Wo überhaupt der
Gedanke der Geburt aus dem Geiste lebendig ist, — ganz
gleichgültig, wie er des Näheren bestimmt ist, wie er sich
in das Ganze der religiösen Überzeugung einordnet, und
ob er zur Spannung gegen die feste kirchliche Gemeinschaft
führt oder nicht —, da findet K. schon Spiritualismus
. Und so marschiert denn auch ein Mann wie
Milton, der sich sogar die Engel im Himmel nicht ohne
eine der church discipline hier auf Erden analoge disti-
pline denken kann, bei K. wacker mit in der von
Schwenckfeld angehobenen Reihe der Spiritualisten. Eine
einfache Besinnung zeigt, daß die Scheidung, so wie K.
sie vollzieht, nicht klar ausgedacht ist. Kann man sich
das profetische Wort, das sich den Willen des Menschen
unterwerfen will, innerhalb evangelischer Frömmigkeit
denn überhaupt anders denken denn als eins, das in der
Geburt aus dem Geiste zu seinem Ziele kommt? Und
ist nicht auch der Geist, der den Menschen ergreift, ein
Wille, der uns Gott Untertan macht? K. selbst kann sich
diesen einfachen Selbstverständlichkeiten nicht entziehen;
so bricht denn in seiner Darstellung immer wieder die
Beobachtung durch, daß sich „Profetisches" und „Spiri-
tualistisches" in den gleichen Männern zusammen findet,
eine Beobachtung, die nun freilich durch säuberliche
Zerlegung oder grausamliche Zerreißung der Betreffenden
in zwei Stücke — besonders lehrreich zur Beurteilung
der Methode ist da die Behandlung Luthers — der
Typologie wieder gebeugt wird. Letztlich beruht die
Scheidung der beiden Einstellungen auf einem mangelnden
Verständnis für den antinomischen Grundcharakter
der Religion. Gottes Fordern und Gottes Schenken, den
„objektiven" Gotteswillen und die „subjektive" Erfahrung
, systematisch auf zwei Grundeinstellungen zurückführen
, heißt aus der Zersetzung der frommen Erfahrung
durch die Reflexion heraus denken. Fällt nun aber diese
Scheidung dahin, dann ist die Hauptthese K.s, daß die
profetische Einstellung notwendig intolerant sei, während
die spiritualistische (ebenso wie die andern folgenden
) die Möglichkeit (die folgenden z. T. sogar die
Notwendigkeit) der Toleranz in sich enthalte, unbrauchbar
geworden. Nur dann, wenn man sich die Durchsetzung
des profetischen Worts rein nach gesetzlicher Art
denkt, ist der Schluß auf Intoleranz des Profetischen
zwingend. Man hat fast den Eindruck, als hätte K.
seine Vorstellung vom Profetischen am Islam sich gebildet
.

In ähnliche Schwierigkeiten komme ich auch bei den übrigen
Ansätzen K.s zum systematischen Denken. So sind über die mystische
„Einstellung" die beiden Thesen miteinander vereint, daß Mystik zur
Einheit von Religion und Staat neige, und daß sie grundsätzlich zur
Toleranz neige. Wie paßt die zweite zur ersten? Und hat K. nichts
davon gehört, daß im Zeitalter der Gegenreformation zarteste Mystik
und grausamste Ketzerverfolgung sich oft genug zusammengefunden
haben?

Es geht aus dem Gesagten hervor, daß K.s Arbeit
eine Förderung unserer wissenschaftlichen Erkenntnis
in keiner Weise geworden ist. Die Frage ist, ob sie
dann wenigstens als Stoffsammlung von Nutzen sein
kann. Ich habe, um das festzustellen, K. bei einer Reihe
der von ihm dargestellten Männer bis in die Einzelheiten
der Quellenbenutzung nachgearbeitet. Das Ergebnis
ist ziemlich überall dies gewesen, daß sein Buch auch
als Stoffsammlung nur mit den stärksten Vorbehalten benutzt
werden kann, weil K.s Beobachtung ungenau ist.
Das hängt zusammen mit seiner — Sorglosigkeit in der
Interpretation der benutzten Quellen. Ich erkenne nun
gewiß an, daß bei seinem Verfahren eine sichere Inter- |
pretation nicht leicht ist. Mit der Lösung der Aussage
aus den geschichtlichen Beziehungen, mit dem dem
Motivjäger eigentümlichen Verzicht darauf, das Motivierte
selbst, nämlich die konkrete Absicht des Mannes,
scharf zu fassen, mit der bei der Zerlegung in verschiedene
Einstellungen unvermeidlichen Unaufmerksamkeit
darauf, ob nicht im Denken des Mannes alles gut zusammenhange
, — mit dem allen verliert der Interpret
die Steuerung. Aber selbst, wenn man das berücksichtigt,
bleiben noch Wunderlichkeiten übrig, die sich hätten
vermeiden lassen.

Ich gebe für charakteristische methodische Fehler je ein Beispiel:
a) Luther's Äußerungen, am Schluß der Vorrede über den Unterricht
der Visitatoren werden folgendermaßen wiedergegeben (S. 118): „Er
legte dar, daß er keine decretales aufrichten wolle. Aber dennoch, er
verlangt Unterwerfung bei weltlicher Strafe. Warum? Er beruft sich
auf die christliche Einigkeit. Aber weshalb gerade unter dieser Ordnung
? Luther weiß wohl, daß Gott sie nicht unmittelbar befohlen
hat, sondern ein Entwurf der Prediger hat die Sanktion der gottgewollten
Obrigkeit erhalten. Und so steht doch Gott dahinter,
sein Wille ist auch so offenbar und untrüglich." K. hat sich wohl
nicht klar gemacht, daß er damit Luther den Gedanken des Hobbes
imputiert, der Wille der rechtmäßigen Obrigkeit in Religionssachen
habe als Offenbarung Gottes zu gelten. Das Unglück ist entstanden,
indem K. ljzwei von Luther scharf geschiedene Gedanken, die geistliche
Pflicht des Frommen, um der Eintracht willen, aus Liebe sich
der Ordnung zu unterwerfen, und die rein weltliche Pflicht des Fürsten,
eine Quelle des Aufruhrs im eignen Land zu verstopfen, ineinander
wirrt, und 2) in den Text die in ihm gar nicht enthaltenen Begriffe
der Kundmachung von Gottes Willen und der Strafe einträgt. Besonders
die Eintragung der ersten ist angesichts dessen, daß Luther
die Verbesserungsfähigkeit und Unwichtigkeit der positiven Anordnungen
als solcher hervorhebt, unbegreiflich. — ß) K. will beweisen,
daß Luther kein vom Worte Gottes unabhängiges allgemeines Gewissen
, sondern nur ein christliches kenne. Er beruft sich (S. 121 f.)
auf W. A. 1 XL 589: non debeo niti in conscientia mea, und faßt
sie als Leugnung des anßerchristlichen Gewissens. Luther meint an
diese Stelle aber gerade die Selbstbeurteilung des Christen, er spricht
einfach den Gedanken aus, daß nicht das Urteil unsers Gewissens
über uns, sondern allein Gottes Vergebung Grund unsrer Heilsgewißheit
sei. Die Stelle hat also mit K.s Frage nichts zu tun. — y) S.94f.
erklärt K„ daß Luther mit dem Frieden, für dessen Erhaltung er sich
in der Ketzerbekämpfung einsetzt, den geistlichen „Frieden des Wortkönigreichs
" meine. Daß er diese alle bisherigen Urteile auf den
Kopf stellende These beweisen müsse, kommt ihm nicht bei. Noch
weniger hält er es für nötig, sich in diesem Zusammenhang daran zu
erinnern, daß Luther in Münzer der Schwärmergeist als Geist des Aufruhrs
und des Mords entgegen getreten war. — b) Häufig treten an die
Stelle der nach K.s geistesgeschichtlicher Methode ausfallenden geschichtlichen
und natürlichen Zusammenhänge wcithergeholte, unnatürliche
. Redet Luther vom Teufel, so muß K. gleich an den Parsismus
erinnern, usw. Dabei passiert ihm dann u. a„ daß er einen Gedanken
, dessen keine tiefere Ethik entraten kann, nämlich den der
Gesamtverantwortung einer Gemeinschaft für das, was innerhalb ihrer
geschieht, für einen Rest primitiver Religion erklärt (S. 114 f.). —
Die Beispiele sind aus Luther gewählt, weil K. Luther die größte
Sorgfalt gewidmet hat. Ich hätte meine Bedenken im einzelnen aber
ebenso gut z. B. an Schwenckfeld, Acontius, Milton oder Spener darlegen
können. Es ist im Grunde überall das gleiche Schauspiel.

Natürlich heißt das nicht, daß nun jede Aussage K.s
verfehlt sei; die Bedeutung Schwenckfelds für die Geschichte
der Toleranz ist z. B. gut herausgehoben. Wohl
aber dies, daß K. auch da, wo es sich um einfach Tatsächliches
handelt, der Nachprüfung bedarf, weil eine Bürgschaft
für zuverlässiges Sehen nicht gegeben ist. Es ist
mir schmerzlich, über ein Buch, das von soviel redlicher
Mühe zeugt, und dessen Verfasser entschieden über eine
Gabe sich auschaulich auszudrücken verfügt, zu einem
so ablehnenden Gesamturteil zu gelangen. Der Wert der
Arbeit liegt im wesentlichen darin, daß man durch sie
über Wege und Irrwege geistesgeschichtlicher Forschung
sich zu besinnen eine starke Anregung erhält.
Göttingen. E. Hirsch.

Löhr, Prof. D. Dr. Max: Untersuchungen zum Hexateuch-

problem. I.: Der Priesterkodex in der Genesis. Gießen: A.
Töpelmann 1924. (III, 32 S.) 8°. Beihefte zur Zeitschrift für die
alttest. Wissenschaft 38. Gm. —.80.

Die kleine Schrift eröffnet eine Reihe ähnlicher
Arbeiten, die sich eine große Aufgabe stellen, nämlich
I die „z. Z. herrschende Auffassung des Hexateuchpro-
blems" nachzuprüfen und sie, d. h. die neuere Urkunden-
Hypothese, durch eine andere Auffassung, nämlich eine
neue Fragmenten-Hypothese, zu ersetzen, wie das die
Arbeiten von Eerdmans, Harold M. Wiener und Dahse,
die der Verf. neben Smend als seine Vorgänger bezeichnet
, schon vor ihm getan haben. Im dritten Teil der
Arbeit (C Resultat) wird die neue Lösung des Hexa-