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Ausgabe:

1924 Nr. 7

Spalte:

142-143

Autor/Hrsg.:

Driesch, Hans

Titel/Untertitel:

Ordnungslehre. Ein System des nichtmetaphysischen Teiles der Philosophie 1924

Rezensent:

Titius, Arthur

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141

Theologische Literaturzeitung 1924 Nr. 7.

142

Weltgeschichte trotz ihrer Raum-Zeit-losigkeit, dem „modernen
physikalischen Denken durchaus nicht mehr seltsam
vorkommen kann". Der allgemeine philosophische
Gehalt der Einsteinschen Lehre ist hier vortrefflich
charakterisiert und ihr Wert für das religiöse Denken in
dankenswerter Weise herausgehoben. Die mathematischphysikalischen
Wurzeln der Theorie und ihre Ergebnisse
konnten naturgemäß kaum angedeutet werden. Vermutlich
haben E.'s „Elemente der Relativitätstheorie" diese
Aufgabe in allgemeinverständlicher Form in Angriff genommen
, doch hat mir diese Schrift bisher noch nicht
vorgelegen.

Berlin. Titius.

Simpson, James Y.: Man and the Attainment of Immortality.

Second Edition. Hodder and Stoughton Limited. London 1923.
342 S. 8°.

Aufgerufen, diesem bereits in 2. Auflage ausgehenden
Bande, nachdem er seinen reichen Inhalt in sich aufgenommen
, den passenden Titel zu finden, wäre wohl
kaum ein Leser auf den vom Verfasser selber ihm gewählten
verfallen. Ich für meinen Teil hätte den
Titel „The Spiritual Interpretation of Nature" angemessenst
gefunden. Vielleicht auch Dr. Simpson selbst.
Sicher sogar das, wenn er ihn nicht bereits an ein voraufgegangenes
Werk seiner Feder vergeben gehabt hätte.
(Eine andere frühere Publikation des Verf., eine Nummer
der Serie „Tracts for the Day" (Religious Tract Society)
ist betitelt: „Some Thoughts on the Relations between
Science and Religion"). Hätte ich selbst dem vorliegenden
Werke aus der Reihe der theologischen Herren
Kollegen den Rezensenten zu suchen gehabt, so wären
mir als die kompetentesten Beurteiler Titius, Otto, Beth
in Betracht gekommen. Und sollte ich das neueste bei
uns selbst erschienene Buch nennen, das ihm artverwandt
ist, so wäre, was mir einfiele, der Ring gemeinverständlicher
Vorlesungen, die der Erlanger Zoologe
Albert Fleischmann und sein theologischer Kollege
Richard Grützmacher zusammen 1922 unter dem
Titel „Der Entwicklungsgedanke in der gegenwärtigen
Natur- und Geisteswissenschaft" (Leipzig, A. Deichert)
haben erscheinen lassen. Vielleicht, daß man hiernach
nun doch ein wenig besser weiß, als sich das aus dem
Titel schon erschließen läßt, wo Simpsons Buch bibliographisch
einzureihen ist. Nicht zu verkennen ist, daß
der Verf. auf das Gebiet seiner literarischen Betätigung
sich nicht etwa bloß verirrt hat. Die unverhohlene
biblisch-apologetische Tendenz seines Werkes tut dessen
wissenschaftlichen Charakter keinen Eintrag. Simpson
hat, wie wissenschaftlich, so religiös seine festen Überzeugungen
, die, fern davon, einander zu widersprechen,
sich ihm durchaus decken. Wie wenig er schlechter
Dogmatiker ist, belegt kürzestens vielleicht eine Anm.
auf S. 48: „ ,Dr. John Lightfoot, Vizekanzler der Universität
Cambridge und einer der hervorragendsten He-
braisten seiner Zeit, erklärte als das Ergebnis seines
tiefgrabenden und umfassenden Studiums der Heiligen
Schrift, daß der Mensch von der Trinität am 23. Okt.
4004 v. Chr., 9 Uhr vormittags, geschaffen wurde'.
(Andrew D. White, A History of the Warf are of
Science with Theology in Christendom,
vol. I, p. 9.). Wir mögen darüber lächeln — wie nach
hundert Jahren andere über viele der gleicherweise dogmatischen
Aufstellungen von heute lächeln werden." —
Sammelt gegenwärtig in Amerika der „Fundamentalismus"
Scharen um sein Panier, so ist dieser Band des gottgläubigen
Naturforschers, derGotte gibt, was Gottes
ist, und dem Kaiser, was des Kaisers, zur Stunde vielleicht
eine derdiensamsten literarischen Gegenwaffen.
Zu einem guten Teile geeignet als „Führer" etwa durch
E. Häckels Phyletisches Museum in Jena, läuft er aus in
eine Christologie, die freilich ganz die persönliche des
Autors ist. Die 14 Kapitel des mit 33 Bildern ausgestatteten
Bandes tragen die folgenden Überschriften: 1. Inbo-

duction; 2. Man's Place in Nature; 3. The Antiquity of
Man; 4. The Origin of Man; 5. Palaeolithic Man; 6. Pa-
laeolithic Man (continued); 7. Mesolithic and Neolithic
Man; 8. The Place and Function of Nationality; 9. The
Evolution of Individuality; 10. The Method of Evolution
; 11. Evolution as the Winning of Freedom; 12.
God and the World; 13. The Scriptural Doctrine of
Immortality; 14. The Historie Jesus and the Cosmic
Christ. —

Es wäre zu überlegen, ob Simpsons Buch nicht auch
in einer Übersetzung in die deutsche Sprache guten
Dienst täte. Nur daß, wer sich an diese Aufgabe machen
wollte oder sollte, mehr als bloß Deutsch schreiben und
Englisch lesen können müßte.

Leipzig. H. Haas.

Driesch, Hans: Ordnungslehre. Ein System des nichtmetaphy-
sischen Teiles der Philosophie. Jena: Eugen Diederichs 1923

(484 S.) gr. 8°. Gz. 4.50; geb. 7—.

Das Werk will Vorarbeit für Metaphysik, nicht aber
diese selbst und darum auch nicht Erkenntnistheorie
sein, sondern Logik; allgemeine formale Logik, wie sie
auch für den Solipsismus auf Grund der Selbstbesinnung
zu Recht bestehn bleibt. Darum wird in der Allgemeinen
Ordnungslehre von den Ursatzungen (Sein, Dasein,
Nicht-A. usw.) und den Bestimmungen des So Seins in
„reiner Solchheit" (Qualität), Tönungen, Beziehlichkeit,
Zahl, Räumlichkeit und Mannigfaltigkeit ausgegangen,
um dann diese Schemata für das Verständnis der Natur
wie für die Logik des Seelischen zu verwerten. Damit ist
dann die Berührung mit Kant, aber auch der Unterschied
von ihm von vornherein gegeben, die Berührung in dem
Apriorisnius der Formen, der auch auf den Enklidischen
Raum mit einer Sicherheit, die ich nicht teilen kann, erstreckt
wird, der Unterschied in der Auflösung der Kategorien
, insbesondre der Kausalität, in elementarere, formale
Bestandteile. Das Beste an Ordnung wäre, wenn
es sich erfüllen ließe, das „ordnungsmonistische" Ideal,
eine Auffassung der Natur, aus der heraus alle einzelnen
Geschehnisse so sein müßten, wie sie sind und alle Teile
aus dem Wesen des Ganzen heraus verständlich würden
(S. 170); nur weil uns das nicht möglich ist, gewinnen
Naturklassen, Systematik und Kausalität eine Bedeutung
für uns als beste erreichbare Surrogate. Auch stellt D.
der Kantischen „Einzelheitskausalität", die im Werden
„Stück für Stück" mit einem andern verknüpft, auf dem
Gebiete der organischen Natur eine „Ganzheitskausalität"
als ebenso konstitutiv zur Seite. Wie im Biologischen der
Begriff Entelechie im Grunde der einzige Ordnungsbegriff
ist, so der Begriff „meine ganze ganzmachende
unbewußte Seele" der einzige Ordnungsbegriff der gesamten
Psychologie; was die Forschung „determinierende
Tendenz", „latente Einstellung" u. desgl. nennt, sind
nur Erläuterungen dazu (S. 349). Im Sinne dieses
Seelenbegriffs werden auch Traum, Hypnose, Automatismus
, insbesondre aber die Phänomene der echten Bewußtseinsspaltung
gedeutet, wo „Eine Seele sich in
AAamiigfaltigkeit Iche bildet" (410). Auch die Phänomene
der Parapsychologie (Hellsehen, Materialisation, Telepathie
) werden ohne die übliche Reserve, ja mit starker
Sympathie berührt. Ein überpersönlicher Faktor wird
in der Geschichte wirksam gefunden. Neben der kumulativ
bedingten Anreicherung mit Wissen meint D. eine
„evolutiye Wissenslinie" in ihr anerkennen zu müssen,
wobei dies Wissen im Sinne der Ordnungsschau gemeint
ist und neben Wissenschaftlichem auch Ethisches, Ästhetisches
, Religiöses gleichmäßig umfaßt (S. 443 f.). Diese
kurzen Andeutungen mögen genügen, um die Hauptlinie
des Gedankenganges zu zeichnen. Auch in dieser Schrift
bewährt sich D. als ein Denker von originaler Kraft, der
sich nicht scheut, auch schwerste Probleme mutig und
selbständig anzufassen. Auf die Eigenart der logischen
Entwicklung, die ihn in starkem Gegensatz zu den neuen
Kant-Schulen und in enger Verbindung mit der Phänome-