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Ausgabe:

1924 Nr. 6

Spalte:

111

Autor/Hrsg.:

Knolle, Theodor

Titel/Untertitel:

Die Invokavitfeier 1922 in Wittenberg 1924

Rezensent:

Schmidt, Kurt Dietrich

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111

Theologische Literaturzeitung 1924 Nr. 6.

112

Klein, Dr. Alfred: Die Kulturtätigkeit der Benediktiner von
St. Ottilien auf ihrem Landgut zu St. Ottilien in Oberbayern.
Leipzig: A. Deichert 1923. (XI, 88 S. u. 5 S. Abb. u. 1 Plan) gr. 8°
Wirtschafts- u. Verwaltungsstudien, mit bes. Berücksichtigung
Bayerns. LIX. Gz. 4—.

Die Schrift gehört mehr in einer volkswirtschaftlichen als in einer
theologischen Zeitschrift besprochen, denn sie will einen Beitrag geben
zur Lösung der Frage der inneren Kolonisation, indem das großartige
Beispiel der Benediktiner in dem 1886 von ihnen erworbenen, allmählich
vergrößerten, arrondierten und kultivierten Landgut St. Ottilien
vor Augen geführt wird. Aber es ist doch auch für den Theologen von
Wert, an einem Einzelbeispiel zu sehen, wie der Kommunismus eines
Klosters, getragen von größtem Fleiß und Intelligenz, zäher Ausdauer
, freudiger Entsagungsbereitschaft in einem Menschenalter aus
einem heruntergekommenen, ungünstig gelegenen und scheinbar ganz
unfruchtbaren Land den Lebensunterhalt für zehnmal so viel Menschen
, als vorher dort wohnten, zu schaffen weiß. Freilich hebt der
Verfasser selbst hervor, daß dieser Kommunismus nur im Kloster
möglich ist, wo das Familienleben keinen Platz hat, und ob die Bauern
der Umgegend, denen ein Stück Boden um das andere abgekauft wird,
restlos glücklich sind, auch wenn das Vorbild des Klosters ihnen den
Weg zu manchen Verbesserungen zeigt, darf doch gefragt werden.
Stuttgart. Ed. Lempp.

Knolle, Theodor: Die Invokavitfeier 1922 in Wittenberg.

Wittenberg: Verlag der Luther-Gesellschaft G.m.b.H. 1922. (24
S.) 4°. Oz. —20.

Wie von der Reformationsfestfeier 1917 und der
Feier des 10. Dezember 1920 so ist auch von der
Invokavitfeier 1922 ein Festbericht veröffentlicht — der
veränderten Zeitlage entsprechend allerdings erheblich
bescheidener als jene an Umfang und Ausstattung. So
hat z. B. der notwendigen Beschränkung wegen der Abdruck
aller Reden nicht durchgeführt werden können.
Der Bericht ist jedoch so gehalten, daß er den Grundgedanken
, der die Feier selbst beseelte, vermittelt. Einer
Anregung Erzbischof Soederbloms folgend sollte sie der
Öekumenizität des Luthertums einen lebendigen Ausdruck
verleihen, und davon gibt die vorliegende Schrift einen
Eindruck, indem sie in dem Rahmen eines sonst äußerst
knappen Festberichtes alle Reden der Vertreter der
außerdeutschen lutherischen Kirchen (mit einer, besonders
motivierten, Ausnahme) zum Abdruck bringt. —
Als lebendiges Zeugnis für die Weltweite des Luthertums
behält das Heft so einen bleibenden Wert.

Göttingen. Kurt Dietrich Schmidt.

Zur deutschen Romantik.

Erster Bericht.

Nadler, Josef: Die Berliner Romantik 1800—1814. Ein Beitrag
z. gemeinvölkischen Frage: Renaissance, Romantik, Restauration
. Berlin: E. Reiß 1921. (XIX, 235 S.) gr. 8°.

Stefansky, Georg: Das Wesen der deutschen Romantik.

Kritische Studien zu ihrer Geschichte. Herausg. mit Unterstüt/ung
der Gesellschaft zur Förderung deutscher Wissenschaft, Kunst und
Literatur in Böhmen. Stuttgart: J. B. Metzler 1923. (VIII, 324 S.)
gr. 8°. Gm. 7.50.

Gleich dem deutschen Idealismus der „klassischen"
Zeit ist die deutsche Romantik bisher vorzugsweise von
der literarischen Seite her behandelt worden, und obwohl
gerade auf diesem Gebiete seit den Vorarbeiten
Hayms und Diltheys die germanistische Forschung
immer wieder auf die Nachbargebiete übergegriffen und
sich um eine methodische Erfassung der Zusammenhänge
bemüht hat, bleibt doch immer noch die ganze Bewegung
aus ihren eigenen Wurzeln her und in allen
ihren Verzweigungen und Verästelungen zu erfassen.

Die sorgfältigsten Spezialstudien können für die
Frage nach dem Wesen des romantischen Geistes nicht
viel beitragen. Hier gilt es, von immer neuen Gesichtspunkten
aus große Synthesen zu unternehmen, die von
immer neuen Angriffspunkten her auf das Zentrum vorzustoßen
suchen. An allen diesen Arbeiten, die eben
jetzt in reicher Fülle aufsprießen, ist auch der Religionshistoriker
hervorragend beteiligt. Ihm suchen wir in
einer Reihe von Berichten über das Geleistete vor allem
zu dienen.

Nadlers Arbeit ist eine Anwendung der Prinzipien
seiner großeii „Literaturgeschichte der deutschen Stämme
und Landschaften"1 auf einen bestimmten Zeitraum,
einen umgrenzten Abschnitt der literarischen Entwicklung
— einen Abschnitt, der eigentlich in dem bisher
nicht erschienenen 4. Bande dieses Buches hätte zur
Darstellung kommen sollen. Wie das Hauptwerk, wird
auch das neue Buch viel Widerspruch erfahren, nicht
bloß bei den „deutschen Philologen" und den Vertretern
der ästhetischen Literaturwissenschaft, gegen die sein geharnischtes
Vorwort auf Grund trüber Erfahrungen so
scharf zu Felde zieht und denen er leider auch im Verlaufe
der Darstellung, nicht zum Vorteil ihrer Wirkung,
so manchen derben Fußtritt versetzt. Wir fragen: Cui
bono? Der Grundgedanke Nadlers ist richtig, ist von
ihm zuerst mit ungeheurer Kraft und einer Fülle von
Gelehrsamkeit, wenn auch mit starker Einseitigkeit (unter
Ausschaltung der eigentlich künstlerischen Betrachtung)
vertreten worden; was Nadler an Haltbarem geboten
hat, vor allem seine Gesamteinstellung (die er mit August
Sauer teilt) kann nicht mehr verloren gehen
und wird von selbst weiter wirken, mag sich die Kritik
zum Ganzen stellen wie sie wolle, und mögen noch so-
viele Einzelheiten der Berichtigung bedürfen. Aus dem
neuen Buche wird jedenfalls nicht bloß eine große
Reihe sehr feiner Beobachtungen über einzelne Dichter
bestehen bleiben, sondern vor allem die Hauptthese sich
durchsetzen: Nadler baut die Ideengeschichte in die der
Wanderungen und Völkerverschiebungen, der Siedelungen
und Blutmischungen ein; auf diese Weise wird
weniger der einzelne Träger der literarischen Bewegung
in seiner individuellen Bedeutung klar, als die großen
Gruppen und der Boden, aus dem auch den Einzelnen
ihre Kräfte zuwachsen.

Was in der „Berliner Romantik" zuletzt zur vollen Auswirkung
kommt, das ist der innere Sinn der ganzen Kulturentwicklung des „Ostraums
" jenseits von Elbe und Saale, dem fast alle die großen Führer
der deutsch-romantischen Bewegung angehören, mit Ausnahme etwa des
doch ganz herrnhutisch erzogenen Friedrich von Hardenberg. Ihnen
allen eignet jener Zug zur Mystik und zum Pietismus, den Nadler sehr
stark und fein herausarbeitet und in dessen Lichte er uns einen Dichter
wie Zacharias Werner zum mindesten in seinem Streben, wenn auch
nicht in seinen Leistungen besser einschätzen lehrt (wozu die treffliche
Vorarbeit von Hankamer, Bonn 1920 zu erwähnen ist). So gewinnt
sein Buch ganz besondere Bedeutung auch für die Religionsgeschichte
des deutschen Nordens und Ostens. Besonders ergiebig
erscheinen mir aus der allgemeinen Einleitung die Ausführungen
über das „Wesen des ostdeutschen Vorgangs" (S. 42ff.), aus der „ostpreußischen
Reihe" das Bild Werners (S. 53ff., auch über die Bedeutung
der Freimaurerei für die ganze Bewegung), aus der „schlesisch-
lausitzischcn Reihe" die Abschnitte über Fichte und Schleiermacher
(s. 62ff.), aus der „Berliner Reihe" Tieck (S. 73ff.); weiterhin
möchte ich auf die Darstellung Adam Müllers hinweisen, der uns
immer neue Rätsel aufgibt (S. 155 f.). Die Wissenschaft wird lange
zu tun haben, ehe sie Nadlers Kombinationen und Charakteristiken im
einzelnen nachgeprüft, die Fülle seiner Anregungen und Fragen verarbeitet
hat.

Das wertvolle, freilich nicht durchaus kl are Buch von
Stefansky fußt bereits auf der Darstellung Nadlers
und vor allem auf seiner Bewertung der ostdeutschen
Kulturströmungcn im 19. Jahrhundert, bohrt aber mit
starker Energie in die Tiefe und geht dem verwickelten
Problem des Kulturzusammenhangs mit einschneidender
Kritik zu Leibe. Vor allem richtet St., was freilich durch
die Anlage seiner Arbeit bedingt ist, viel fester seinen
Blick auf das Individuelle und auf die mannigfaltige
Gebrochenheit der Linien, welche der inneren Notwendigkeit
der Kulturentwicklung entspricht. Uns interessiert
hier vor allem das Problem der romantischen Religiosität
und ihrer Verbundenheit mit dem neuen Vaterlandsgefühl
. St. greift da weit zurück, um seine Grundthese
zu erhärten, die im wesentlichen mit der Ansicht
Eichendorffs übereinstimmt: Der Katholizismus der
älteren Romantiker war, auch wo er zu Übertritten führte,

1) Regensburg: Habbel, 3 Bände, 1912-18; von der teilweise
wesentlich umgestaltenden Neuauflage sind bis Kant die beiden ersten
Bände erschienen.