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Ausgabe:

1924 Nr. 6

Spalte:

109-110

Autor/Hrsg.:

Christiani, Hanns J.

Titel/Untertitel:

Johannes Ronge‘s Werdegang bis zu seiner Exkommunikation 1924

Rezensent:

Hirsch, Emanuel

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109

Theologische Literaturzeitung 1924 Nr. 6.

110

der Zukunft das des Parakleten. Zugleich sieht er hierin das
Hegel'schc dialektische Gesetz sich auswirken: auf die vorchristliche
Zeit des .unmittelbaren Seins' als Thesis folgt die christliche des
.Denkens' als Antithesis, und beide finden ihre Synthese im Zeitalter
des Geistes und der .Tat'. Das hauptsächlich von den waffenfrohen
Germanen (S. 210ff.) verkörperte zweite Zeitalter wird abgelöst durch
das kommende Gottes- und Friedensreich, einen allgemeinen Völkerbund
, und dessen Bringer und Träger sind — die Slaven (S. 350ff.)!
Man muß sich erinnern, daß der Verf. diesen 1. Band 1848 veröffentlicht
hat und 18Q4 gestorben ist. Wir haben inzwischen den Weltkrieg
erlebt und einen .Völkerbund' bekommen. Wenn aber das, was
die Landsleute des ohne Zweifel hochidealistischen Verf. zusammen
mit ihren Verbündeten, seitdem verübt haben, das Vorspiel vom
kommenden slawischen Gottesreich ist, dann möge uns der Himmel
in Gnaden davor bewahren! Übrigens bringt auch das kommende
Friedenszeitalter nicht reine Ruhe, sondern Kampf und Ringen. Denn
der Kampf entbindet die Lebenskräfte, ohne ihn träte die Erstarrung
des Todes ein. Aber die Harmonie im Kampf bedeutet das Heil
(S. 287 ff.). So war auch die Übertretung des ersten Menschen nichts
anderes als das erste Sichbewußtwerden der eigenen Persönlichkeit,
die erste unabhängige Handlung des menschlichen Geistes, der erste
eigene Schritt der Menschheit und darum ein wahrer Fortschritt, eine
.felicissima culpa' (S. 281 ff.). Wie andere Gegensätze, so muß in
Zukunft auch der Gegensatz von Welt und Überwelt, Zeit und Ewigkeit
sich in einer höheren Einheit auflösen (S. 374ff ). Man begreift,
daß streng kirchliche Kreise an solchen Gedanken stutzig geworden
sind. C. ist überzeugt, daß durch den Eintritt des Christentums alles
neu geworden ist, Denken, Natur und Geist der Menschheit sich völlig
gewandelt haben (S. 125). Allein wenn man beispielsweise Cyprians
Schrift ad Donatum mit ihrer grellen Ausmalung des heidnischen
Lebens und Treibens und der staatlichen Zustände liest und sie mit
C.s eigener Schilderung seiner Gegenwart und vollends mit dem
Bilde vergleicht, das unsere Tage bieten, so fragt man sich doch
wohl mit Recht, wo diese Wandlung geblieben ist, und es wird mehr
als zweifelhaft, ob wir wirklich auf der Schwelle von der zweiten zur
dritten Weltzeit, zum Geistzeitalter, stehen.

München. Hugo Koch.

C h r i s t i a n i, Dr. phil. Hanns J.: Johannes Ronge's Werdegang

bis zu seiner Exkommunikation. Ein Beitrag zur Geschichte des
Deutschkatholizismus. Berlin: Arthur Collignon 1924. (63 S.) 8°.

Gm. 2—.

Die Schrift ist mit der äußersten Gewissenhaftigkeit und Gründlichkeit
gearbeitet und bringt alle ihr Thema betreffenden Fragen zur
Erledigung; sie zeigt überdies Talent für historische Schilderung.
Man wird sich freuen, dem Verf. bei einem größeren Gegenstande als
diesem wieder zu begegnen.

Die wichtigsten Ergebnisse der Darstellung sind (abgesehen von
dem nicht eben begeisternden klaren Bilde von Ronge's Persönlichkeit),
1) daß Ronge tatsächlich der Verf. des Briefes an Bischof Arnoldi
über den Rock von Trier 1844 gewesen ist, 2) daß Ronge mit ihm nicht
seine äußere Existenz aufs Spiel setzte (seine äußere Existenz war vielmehr
so gut wie verspielt, ehe er den Brief schrieb), sondern den Brief
gerade schrieb, um durch einen öffentlichen literarischen Erfolg festen
Grund für eine neue dem Kampf gegen Rom gewidmete Existenz, zu gewinnen
. ,,Ward mein Brief nicht gedruckt, so mußte ich nach
Amerika" (Ronge). „Er spielte Vabanque" (Christiani). Damit wird
das Urteil Treitschkes V 336 in allem Wesentlichen bestätigt, im Persönlichen
noch verschärft.

Das Wertvollste an dem Buch sind aber die Literaturangaben.
Niemand, der Spezialliteratur über die Zustände der schlesischen katholischen
Kirche von damals sucht, sollte sie sich entgehen lassen.
Göttingen. E. Hirsch

Freiburger Diözesan-Archiv. Zeitschrift des kirchengeschichtlichen
Vereins für Geschichte, christliche Kunst, Altertums- und Literaturkunde
des Erzbistums Freiburg mit Berücksichtigung der angrenzenden
Bistümer. Neue Folge, 24. Bd. Freiburg i. B.: Herder ßi Co.
1923. (108 S.) 8°.

Unter dem Druck der Zeit ist das Freiburger Diö-
zesanarchiv zu einem dünnen Heft von 108 Seiten mit
3 Aufsätzen zusammengeschwunden. Der Geh. Finanzrat
Dr. J o h. S c h w e i t z e r behandelt S. 1 —22 die Geschichte
des kirchlichen Bauwesens der Erzdiözese vom
Beginn des 19. Jahrhunderts. Diese Arbeit ist allen
kirchlichen Behörden, welche mit Kirchen und Pfarrhäusern
zu tun haben, sehr zu empfehlen. Denn sie gibt
sehr viele Winke für Beaufsichtigung der kirchlichen
Gebäude und die Berechnung der Größe der Kirchen und
Pfarrhäuser. Die Größe einer gewöhnlichen Kirche soll
sich ergeben durch Multiplikation von 47» Quadratfuß
mit der Zahl der Gemeindeglieder. Die Länge soll iy2

mal so groß sein als die Breite, die Höhe 1835 30 Fuß,
der Kirchboden 3 Fuß höher als der äußere Boden,
1841 nur U/2 Fuß; für die Größe der Kirche ist y1E
der regelmäßigen Sonntagsgottesdienste Besuchenden
maßgebend. Während nach dem kanonischen Recht der
Bischof von alters her die Errichtung von Kirchengebäuden
zu genehmigen und ihre bauliche Unterhaltung
und Wiederherstellung zu beaufsichtigen hatte, war seit
der Zeit des Josefinismus und der französischen Revolution
das kirchliche Bauwesen in die Leitung und Aufsicht
des Staates übergegangen. Die Errichtung des Erzbistums
1821 brachte keine Änderung. Es half nichts,
daß 1845 Erzbischof Boll auf Beispiele von Unzweck-
mäßigkeit bei neuen Kirchen hinwies. Erst 1860 bekam
die Kirche mehr Rechte. Es kam zur Schaffung kirchlicher
Bauämter, wofür die kirchenärarische Bauinspektion
Heidelberg zum Vorbild diente. Den staatlichen
Bauinspektionen wurde der Vorwurf gemacht, daß sie die
Beaufsichtigung des Kirchengebäudes nur als Nebensache
ansehen, weil sie mit Geschäften überhäuft seien.
Die Geschichte der beiden Pfarreien V i 1 s i n g e n S. 25
bis 91 und Arbon (Martinskirche) 42—103 hat gemeinsam
die große Menge von Streitigkeiten. Jene behandelt
Pfarrer Ei sei e in Ein hart. Vilsingen, ursprünglich
Filsingen, im Oberamt Sigmaringen hatte bis etwa 1324
eine Pfarrei, die aber aus unbekannten Gründen verschwand
, so daß der Ort mit Dietfurt Filial der ziemlich
entfernten, unter anderer Herrschaft stehenden Pfarrei
Gutenstein wurde. Nun zieht sich durch die Geschichte
Vilsingens der Kampf um bessere gottesdienstliche und
seelsorgerliche Versorgung, zumal es an Bevölkerungszahl
Gutenstein weit überlegen ist. Es kam einmal soweit
, daß die Vilsinger keinen Gottesdienst mehr besuchten
. Ein kräftiges Eingreifen des Bischofs zu Gunsten
der zahlreichen Gemeinde ist nicht zu beobachten.
Erst 1817 bekam Vilsingen eine Pfarrei, weil der Fürst
von Hohenzollern darauf drang.

„Die St. Martinskirche zu Arbon. Historische Untersuchung
der Simultanverhältnisse einer Pfarrkirche"
stellt auf Grund ungemein reicher Akten Dr. W i 1 h.
Kißling dar. Daß die Kirche erst aus der fränkischen
Zeit stammt, beweist ihr heiliger Martin. Möglich ist, daß
es schon zur Römerzeit Christen dort gab, aber ob schon
eine Kirche bestand, ist zweifelhaft. Die Reformation
wurde zuerst veranlaßt durch den Pfarrer Franz
W i ß e r von Wangen, der aber fliehen mußte, da
die Eidgenossen den Bischof gegen ihn scharf machten.
Aber die Bürger stellten jetzt einen eigenen Prädikanten
auf. Am 3. September 1528 wurde die Einführung der
Reformation beschlossen, aber der unglückliche zweite
Kappelarkrieg brachte eine scharfe Wendung. Der Bischof
führte den katholischen Kultus wieder ein und gab
dem katholischen Pfarrer seine Einkünfte wieder. Aber
die Evangelischen in den Filialen Egnach und Roggwil,
die im Thurgau saßen, hatten ein Recht an die Kirche.
Am 20. September 1532 gestattete ihnen der Bischof
die Anstellung eines Prädikanten und regelte die Zeit des
Gottesdienstes. Die Evangelischen von Arbon und Horn
wurden in ihrer Religionsübung nur geduldet, da der
Bischof Grundherr war. Die Katholiken bekamen den
Chor, die Evangelischen das Langhaus. Die Gegenreformation
des Kardinals Andreas von Österreich war
erfolglos. Zürich und Bern nahmen sich der Evangelischen
immer wieder an. Wichtig ist der Diessenhofer
Vertrag. Aber man ist schließlich glücklich, all die
Streitigkeiten zwischen Katholiken und Evangelischen um
die Baupflicht der Evangelischen an dem den Katholiken
gehörigen Chor, um den Beitrag zum katholischen
Kultus, wie Öl und Wachs, um das Begräbnis des katholischen
Pfarrers Tschudy im Chor, um eigenen Mesner
und eigene Kirchenschlüssel, um das ewige Licht usw.
geendet zu sehen durch den Bau einer eigenen reformierten
Kirche. Unverständlich ist S. 68 Kapuzinerwein
, falsch die Amtszahl des Pfarrers Tschudy S. 75.
I Stuttgart. o. Bossert.