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Ausgabe:

1924 Nr. 6

Spalte:

104-105

Autor/Hrsg.:

Oesterley, W. O. E.

Titel/Untertitel:

The Sacred Dance. A study in comparative folklore 1924

Rezensent:

Eissfeldt, Otto

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Theologische Literaturzeitung 1924 Nr. 6.

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schlössen hat. Das vorliegende Buch aber rechtfertigt j
durchaus die hohen Erwartungen, mit denen man einer
Erklärung des Richterbuches durch ihn entgegensehn
mußte.

Über diesen Kommentar als solchen läßt sich nur
sagen, daß er in jeder Beziehung auf der Höhe der
Wissenschaft steht; das gilt in gleicher Weise von der
literarkritischen Stellungnahme, von der textkritischen
Behandlung wie von der Sacherklärung. Auch die deutsche
alttestamentliche wie altorientalische Literatur ist
dem Verf. fast lückenlos bekannt. Die Bedeutung seiner
eigenen Exegese, die überall fördernd in die Probleme
eingreift, zu erproben, hat man besonders bei dem
Deboraliede Gelegenheit, dem schwierigsten und wichtigsten
Dokumente im ganzen Buche, bei dem zugleich
die metrische Frage zwingend Berücksichtigung erheischt
. Ich möchte nicht unterlassen, hier darauf hinzuweisen
, daß er m. E. wirklich in 2 der dunkelsten
Verse in der Hauptsache Licht und Ordnung gebracht
hat, nämlich in V. 10, den er übersetzt: „Die da reiten auf
rötlichen Eseln, sollen es erzählen, Und die da wandern
auf den Straßen, sollen es zu Herzen nehmen", und in
V. 15: „Ganz gespalten in Parteien war Rüben, groß
waren die Erwägungen seines Herzens".

Daß auf viele der schier unzählbaren Fragen, die sich an dies
Lied knüpfen, auch dieser Kommentar noch nicht die letzten Antworten
gefunden hat, ist natürlich selbstverständlich. Besser noch als
durch Reproduktion der vielen von ihm gebotenen einleuchtenden Erklärungen
glaube ich daher meinen Dank für die Fülle von Anregung,
die ich ihm verdanke, dadurch zu bekunden, daß ich einige wenige
Fälle namhaft mache, in denen sich seine Auslegung, wie mir scheint,
in falscher Richtung bewegt. Ich nenne zunächst V. 8, den er selbst
als die größte crux im ganzen Liede bezeichnet, an dem ja auch schon
in reichen Variationen der textkritische Scharfsinn der Exegeten sich
erprobt hat. B. emendiert diesen V. so, daß er den Sinn erhält: „Es
hörten auf bei ihnen die Schmiede, es verschwanden die Gerüsteten
(chamuschim) aus den Städten." Gewiß scharfsinnig und geistvoll,
aber wohnte Israel damals schon überwiegend in Städten? Ist man
hier nicht in allen neueren Kommentaren an dem Nächstliegenden vorbeigegangen
, nämlich den Text in V. a stehn zu lassen, wie er lautet:
„Es erwählte einen neuen Gott (näml. Jahwe!), da befehdeten es die
Fürsten der Städte"? Gerade B. hätte von seinen geschichtlichen
Voraussetzungen aus, nach denen nur der Josephstamm am Sinai war,
eigentlich auch auf diese Fährte kommen müssen (vgl. Jos. 24!). Ebenso
glaube ich, daß an V. 7 aller textkritische Scharfsinn nutzlos
verschwendet ist, — ich selbst habe in dieser Richtung auch noch
jüngst gefehlt —, der V. ist textlich wie metrisch tadellos in Ordnung
, das zweite chadelu gehört zum zweiten Stichos, man hat nur
das perason falsch auf die Bauern gedeutet (vgl. V. 11). Weiter
möchte ich darauf aufmerksam machen, daß auch B., so prächtig er
den Text von v. 9—11 rekonstruiert und so richtig er gegenüber der
herrschenden Exegese in diesen die Schilderung findet, wie die Begeisterung
für Jahwe im Volke vor der Schlacht wachgerufen ist,
doch nicht klar zum Ausdruck bringt, daß die zidqot in V. 11 gar
nichts anderes sein können als die Siege eines Mose, Josua u. dgl. In 9,2
endlich vermisse ich, daß es B. bewußt geworden ist, daß die Frage
Abimeleks an die Sichemiten von Hause aus mit den Söhnen Jerub-
baals gar nichts zu tun gehabt haben kann, weil diese als „Herrscher"
über Sichern in der Nachfolge Gideons überhaupt nicht in Betracht
kommen konnten, daß es sich bei dieser Antithese vielmehr ursprünglich
um den Gegensatz gegen die sichemitische Oligarchie gehandelt
haben muß. — Doch ich breche mit Bemerkungen in dieser Richtung
ab. Im allgemeinen bedeutet die uns hier gebotene Exegese einen
mannigfachen Fortschritt über das zuvor Erarbeitete hinaus.

Und das zweite, wodurch, wie schon gesagt, dieser
Kommentar eine ganz besondere Note erhält, ist die
Fülle von zusammenfassenden Überblicken und Exkursen
, die einzelne geschichtliche, religionsgeschichtliche
, sprachgeschichtliche Fragen behandeln. Gleich in
der Einleitung § 6 „External information bearing on
the period of Judges" (S. LV—CXVIII) erhält man tatsächlich
eine komplette, ausgezeichnete Vorgeschichte
Palästinas und Israels bis hin in die Richterzeit. Es sei
erwähnt, daß ich die hier vom Verf. vertretene Anschauung
, daß nur der Josephstamm in Ägypten gewesen sei,
für die einzig richtige halte. Von den zusammenfassenden
Exkursen hebe ich folgende hervor: The conquest
of the Negeb (S. 44—52); The climatic parallelism of the
song of Deborah (S. 169—171); The language of

the song of Deborah (S. 171—176); Yahweh or Yahu
originally an Amorite deity (S. 243—248); Early identi-
fication of Yahweh with the Moon-God (S. 249—253);
The use of writing among the Israelites at the time of the
Judges (S. 253—263); The origin of the Levites (S.
436—441). Jede dieser kleinen Abhandlungen, zu denen
man auch manche Erörterung im Laufe der Erklärung
z. B. die über das Ephod (S. 237—243, B. lehnt die
Gottesbildhypothese ab) oder über die Lage Gibeahs (S.
464—466) zählen könnte, bedeutet auch für jeden, der
nicht überall ihren Resultaten zustimmen sollte, was beim
Ref. z. B. von der amoritischen Herleitung des Jahwenamens
gilt, eine Klärung der Probleme und eine Bereicherung
des Wissens. Und so möchte ich dies überaus
reichhaltige Buch allseitiger Berücksichtigung aufs
wärmste empfehlen.

Berlin. E. Sellin.

Oesterley, w. o. E., D. D.: The Sacred Dance. A study in
comparative folklore. Cambridge: University Press 1923. (XI
234 S.) 80. 8 sh. 6 d.

Das Buch stellt, wie der Untertitel sagt, eine Studie
aus der vergleichenden Volkskunde dar, doch so, daß —'
dem eigentlichen Arbeitsgebiet des Verf. entsprechend —
ihr Ertrag für das Verständnis des A. T. in den Vordergrund
gerückt wird. Das 1. Kap. enthält u. a. die
Rechtfertigung dieser besonderen Rücksichtnahme auf
das A. T. Nachdem dann im 2. Kap. von Ursprung und
Zweck des heiligen Tanzes die Rede war, im 3. die im
A. T. vorkommenden Arten des heil. Tanzes vorläufig
besprochen und im 4. die im A. T. für den Tanz gebrauchten
Worte vorgeführt sind, werden im Hauptteil
(Kap. 5—11) die verschiedenen Typen des heil. Tanzes
ausführlich behandelt: die Prozession, der Tanz um einen
heil. Gegenstand, der ekstatische Tanz, der Tanz bei
Lese-, Ernte- und anderen Festen, der Tanz bei der
Siegesfeier, der Tanz bei der Hochzeit, der Tanz als
Trauerbrauch. In jedem Kapitel wird das Material nach
Völkern oder Völkergruppen geordnet vorgeführt, wobei
jedoch die alten Kulturvölker des fernen Ostens unberücksichtigt
bleiben. Die Israeliten stehen voran; es
folgen die anderen Semiten, die Ägypter, die Griechen
und die Römer; und am Schluß ist von den Tanzbräuchen
der Primitiven die Rede. Innerhalb der Grenzen
, die sich der Verf. gesteckt, ist wohl alles Wichtige
berücksichtigt. Sein Material entnimmt er den großen
zusammenfassenden religionsgeschichtlichen und volkskundlichen
Werken, wie sie im letzten halben Jahrhundert
innerhalb und außerhalb Englands entstanden
sind, Frazer's The golden bough, Rob. Smith's The
religion of the Semites u. a. Die Arbeit ist für Leser bestimmt
, denen jene größeren Werke unzugänglich bleiben
, und vermag in der Tat einen solch weiteren Leserkreis
in den Gegenstand einzuführen; aus dieser Ab-
zweckung des Buches erklären sich wohl auch seine
mannigfachen Breiten und Wiederholungen. Dem
wissenschaftlich Interessierten ermöglicht das Buch, das
am Schluß mit einem Sach-Verzeichnis ausgestattet ist,
eine vorläufige Orientierung; darüber hinaus rückt es
einiges im A.T. in eine neue Beleuchtung (Ex. 32,6
priS und 1. Sam. 30,16 jjn -tanzen: S. 48—50;
NJin „Furcht" Jes. 19,17 vielleicht von JUPI abzu-

TT

leiten und als der durch Tanz erregte Schwindel zu verstehen
: S. 92 u. a.). Bedenklich ist die Neigung des
Verf., religionsgeschichtliche Entwicklungsgesetze (von
der Magie zur Religion!) zu konstruieren und auf Grund
dieser Gesetze dann für einen als religiöse Übung überlieferten
Brauch einen magischen Ursinn zu postulieren.
Ebenso ist er oft allzu schnell mit der Behauptung bei
der Hand, aus der Bezeugung bestimmter Bräuche im
talmudischen oder noch späteren Judentum lasse sich ihr
Vorhandensein auch für Alt-Israel erschließen, wie auch
seine These, Erscheinungen, die anderswo auf einer der
altisraelitischen entsprechenden Kulturstufe zu finden