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Ausgabe:

1924

Spalte:

77-81

Autor/Hrsg.:

Mowinckel, Sigmund

Titel/Untertitel:

Psalmenstudien. II. Das Thronbesteigungsfest Jahwäs und der Ursprung der Eschatologie 1924

Rezensent:

Schmidt, Hans

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Theologische Literaturzeitung 1924 Nr. 4/5.

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Werke: kultische, sakramentale, einfache Moral- und
Kastenregeln. Sodann Wissen, das die Avidya lost
und auch Südra's zuteil werden kann. Zuoberst aber die
Bhakti. Denn die ganze Madhva-Lehre gehört dem
Bhakti-märga an. Die wahre Liebe zu Gott aber ist so
stark, daß sie Selbstzweck wird. Für den Glaubigen
tritt sogar die Erlösung zurück hinter der Gottergebenheit
. Die stark emotionale bhakti äußert sich in dem besonders
genflegten Lobsingen, klrtana, das eine ganze
Literatur von Liebeshymnen hervorgebracht hat. Das
Mystische auch dieser Bhakti zeigt sich in der Meditation,
die hier über allem bloßen Kultus- und Gebetsleben als
Hauptaufgabe erscheint und bis zur Schau Vischnu's
führt. Diese zu erreichen ist nicht Sache menschlicher
Fähiö-keiten sondern der erwählenden Gnade des Herrn
allein! Ihr folgt die Liebe als ein grenzenloser, ununterbrochener
Strom. Wo sie erreicht ist, hat alles Handeln,
ethisches wie rituelles, keinen Wert mehr. Aber das gute
Handeln wird doch empfohlen, da es die Seligkeit des
nun Erlösten erhöht. In Vaikuntha, Vischnu's ewigem
Paradiese, vollendet sich die Erlösung, in enger Vereinigung
mit ihm, die als ein Eingehen in seinen ,Leib' vorgestellt
wird, aber mit voller Erhaltung des Sonderbewußtseins
.

Die Sekte ist letzter Zeit wieder sehr tätig geworden
. Sie soll noch etwa 70 000 Seelen zählen, die
hauptsächlich an der Westküste Indiens verbreitet sind.
Die Streitigkeiten um Synergismus und Monergismus
sind, wie in der Schule Ramanuja's auch in ihr lebendig
geworden. Eine eigene .Gesellschaft für Förderung der
Madhva-Lehre' hat sich schon 1877 gebildet. Sie hält
regelmäßige Jahresversammlungen und ist besonders
tätig in Neuherausgabe der Schriften ihrer Meister.

Marburg. R. Otto.

Mowinckel, Sigmund: Psalmenstudien. II. Das Thronbesteigungsfest
Jahwäs und der Ursprung der Eschatologie.

Kristiania: Jacob Dybwad 1922. (XVI, 347 S.) Lex. S".

Der Verfasser bietet hier eine neue Auslegung der
mrP Tj7>D - Psalmen, d. h. der Psalmen 47; 93; 95 bis
100 und einer Reihe anderer, die diesen Psalmen verwandt
sind. Diese Lieder mit ihrem Ausruf „Jahve ist
König geworden" oder ihrem Lobpreis des „großen
Königs" beziehen sich — das ist die These des Buches
— nicht auf bestimmte historische Ereignisse (gegen
Ewald, Wellhausen, Ohlshausen u. andere); sie sind
auch nicht „eschatologisch" zu verstehen als „prophetische
Hymnen" (gegen Delitzsch, Gunkel, Staerk und
Kittel) — die richtige Erklärung ist vielmehr die „kultisch
-liturgische". Es hat in Jerusalem ein Fest
gegeben, bei dem jedesmal wieder der Ruf; „Jahve
ist König geworden" erscholl. In jedem Jahre feierte
man im Tempel in Jerusalem die Thronbesteigung
Jahve s. Das geschah zu Neujahr, am Laubhüttenfest,
und zwar wahrscheinlich am ersten Tage dieses Festes.

Wir stehen hier, wie ich glaube, vor einer wertvollen
und folgenreichen Entdeckung. Wie Schuppen
fällt es einem von den Augen, wenn man die genannten
Psalmen im Licht dieser neuen Erkenntnis liest.

„Gott kommt heraufgezogen unter Jauchzen,

Jahve unter Posaunenschall!
Singet Gott, singt ihm!

Singt unserm Konig, singt ihm!
König geworden ist Gott über die Völker!

Gott hat sich auf seinen heiligen Thron gesetzt!"
Diese Verse des 47. Psalms z. B„ in denen noch
Bertholet in seiner Bearbeitung der Psalmen in der
neuesten Auflage des Kautzsch zweifelnd eine Beschreibung
der Auffahrt Jahves „zu seiner himmlischen Wohnstätte
" steht, sind jetzt ohne Weiteres verständlich. Sie
sprechen von der großen Prozession, in der Jahve nach
seiner „Thronbesteigung" zu seinem Tempel hinaufgeführt
wird. Die mm "Ü^LM-ieder sind Hymnen, die
bei diesem Umzug gesungen wurden.

Nun verstehen wir^ weshalb in diesen Liedern Wiedel
holt von dem Kampf des Schöpfergottes mit den
Ungeheuern des Chaos, bezw. mit dem Meere die Rede
ist (Ps. 98, 1; 65, 7; Ps. 93) oder von einer Überwindung,
genauer einer „Beschämung" andrer Götter (87,7; 82;
29,1). Das sind die Feinde, die der Gott überwinden
muß, ehe er seinen Thron besteigen kann. An die Stelle
der Götter treten die Völker. Die Erinnerung an den
Exodus, die Besiegung des Pharao und das Schilfmeerwunder
bot sich von selbst als malendes Beispiel aus
der Vergangenheit für die Siegerkraft Jahves. In Babylon
wurde zugleich mit der am Neujahrstag erfolgenden
Inthronisation des Gottes Marduk das jährliche Krönungsfest
des Königs gefeiert. Nun lese man — die
These Mowinckels im Gedächtnis — Psalm 2. Lösen
sich nicht alle Schwierigkeiten dieses Liedes, wenn wir
auch in Israel eine solche Doppelfeier am Neujahrstage
annehmen dürfen? Die Frommen des 149. Psalmes, die
„jauchzen über ihren König", die „im Reigentanz seinen
Namen rühmen", „Lobgesänge Gottes auf den Lippen
und zweischneidige Schwerter in der Faust" — als Begleiter
ihres soeben auf den Thron erhobenen Gottes
werden sie uns lebendig. Nach diesem Psalm möchte-
man fast vermuten, daß man bei einer solchen Prozession
des Gottes Kriegsgefangene in Ketten mitgeführt habe,
um „das Gericht" des „großen Königs" an ihnen zu
vollziehen.

Mowinckel ist der Überzeugung, daß die Thronbesteigungslieder
alt sind, daß sicher die Gattung, vermutlich
aber auch die Mehrzahl der einzelnen Gedichte
in vorexilische Zeit gehören und daß das Fest
selbst gar in vorisraelitische Zeit zurückreicht (S. 202ff.).
Auch damit hat er Recht! Es leuchtet ohne Weiteres
ein, daß die Gottesprozession bei Deuterojesaia mit ihren
voraneilenden Herolden, mit ihrer heiligen Straße und
mit ihrem Königsgruß (Jes. 52, 7—10) der Wirklichkeit,
wie sie uns in den Thronbesteigungsliedern vor Augen
tritt, erst nachgedichtet ist. Dann aber müssen diese, da
sie im Exil nicht entstanden sein können, notwendig
vorexilisch sein (S. 195 ff.).

Sehr wertvoll sind die grundsätzlichen Ausführungen
über den Kultus (S. 19ff., S. 291 Anm. und
öfter), der uns als „schöpferisches Drama" erklärt
wird. Die sich darauf gründende Vermutung, daß
man am „Thronbesteigungsfest" Jahves seine Machttaten
in Festspielen zur Anschauung gebracht habe (vgl. Ps.
48, 9: „Wie wir's gehört hatten, so haben wir es jetzt
gesehen!") läßt sich aus dem in den Psalmen vorliegenden
Material nicht deutlich beweisen, hat aber viel
für sich.

Kurz, die Bedeutung dieses Buches geht weit über
das hinaus, was eine auf einen immerhin kurzen
Abschnitt gerichtete exegetische Studie zunächst erwarten
läßt.

Vielleicht wäre das sogar noch eindrücklicher geworden, wenn
der Verf. sich in seiner Umschau noch mehr beschränkt hätte. Ich
finde seine Beweisführung außer in den bisher genannten Psalmen
zwingend bei Ps. Ps. 24; 89, 1—38; 65; 132 und ansprechend bei
46 u. 81; aber gar keine Beziehung vermag ich zu entdecken zwischen
dem geschilderten Fest und Gedichten wie Ps. Ps. 123; 131; 130- 133;
126, um nur diese zu nennen. Es ist schade, daß die Bezeichnung

dieser Lieder als rftVSJta n nitf den Verf. verleitet hat, auch sie vom

Kultus aus verstehen zu wollen. So fällt er — mit Vorbehalt und
innerem Widerstreben (vgl. z. B. S. 133, Anm. 1) — in die alte Er-
klärung von dem die Gemeinde symbolisierenden „Ich" zurück. Damit
aber nimmt er den genannten Liedern den tiefen Herzenston individueller
Frömmigkeit, der sie auszeichnet.

Auch ein Abschnitt wie Jes. 6 gehört nicht unmittelbar in den
Kreis dieser Untersuchung. Oder verrät hier irgendein Zug, daß wir es
mit einem großen Fest zu tun haben, daß eine jauchzende Menge im
Tempel ist, daß Jahve „soeben" seinen Thron bestiegen hat? Daß er
auch hier als König geschaut wird, das wird dem Prophetenauge auch
an jedem Werktag möglich gewesen sein.

Dagegen möchte ich als ein von Mowinckel nicht bemerktes
Thronbesteigungslicd seinem Material hinzufügen Arnos 4,12bf.j 5, 8 f.;
9, 5f. Es ist mir seit lange wahrscheinlich, daß diese verstreuten Verse