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Ausgabe:

1924

Spalte:

52

Autor/Hrsg.:

Heimann, Betty

Titel/Untertitel:

Die Tiefschlafspekulation der alten Upanisaden 1924

Rezensent:

Franke, R. Otto

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6]

Theologische Literaturzeitung 1924 Nr. 3.

52

Der wichtigste aller Widerspruch herausfordernden
Punkte ist aber Gr.'s Behauptung, daß Buddha im
tiefsten Grunde an ein transzendentes Ich (Selbst) geglaubt
habe. Nicht als ob Buddha etwas Positives darüber
geäußert habe, sondern gerade aus der Tatsache
heraus, daß er das empirische Ich durchweg leugnet.
Weil Buddha immerfort lehrt: „Die Wesen und Dinge
sind Nicht-Selbst (anattä)", „es ist kein Selbst (attä =
Sanskr. ätmä) in den Wesen, den Dingen, der Welt vorhanden
", darum soll er, schließt Gr., gemeint haben,
abgesehen von diesen, jenseits derselben habe B. ein
überempirisches, transzendentes, Ich angenommen. Eigentlich
sollte man auf solche luftige Phantasien gar
nicht eingehen. Buddha sagt nichts davon, also haben
wir keinen Anlaß, davon zu reden. Nur weil Gr.'s geistreiche
Gespinste Fesseln und Fallstricke werden, sind
sie zu beseitigen. Gr.'s Schluß hat ungefähr gleich viel
Zwingendes wie die Folgerung, daß die alten Völker
schon die Telegraphie ohne Draht gekannt hätten, weil
durch Ausgrabungen noch niemals Draht zutage gefördert
worden sei. Es muß auch kein transzendentes Ich
deshalb dasein, weil das unmittelbare Gefühl der Menschheit
ein Ich annimmt und in allen Sprachen gesagt wird:
„Ich habe einen Körper", nicht aber: „Ich bin der Körper
" (278), und weil Gr.'s Ich sich mit dem Buddhismus
beschäftigt (465), denn der Mensch sagt auch in
allen Sprachen: „Ich bin krank", und doch ist das
Krankwerden eines transzendenten Ichs unmöglich, und
Gr.'s mit der Buddhalehre sich beschäftigendes Ich ist
das empirische. Es kann ja sein, daß wirklich ein transzendentes
Ich angenommen werden muß. Daraus (und,
beiläufig, aus Gr.'s und Seidenstückers wahrscheinlich
ganz unbewußten Wünschen, uns Westlichen den Buddhismus
durch Einfügung des fehlenden Ich schmackhafter
zu machen) folgt aber nicht, daß auch Buddha ein
solches angenommen habe. Er spricht ja, wo er vom
„Ichgefühl" (a h a m k ä r a) redet, immer gerade in dem
Sinne, daß dieses nicht am Platze sei (s. z. B. Majjh. III,
18 u. 32). Es gilt ihm eben mit Recht für empirisch
(in Majjh. III, 32 ist das ganz deutlich) und beweist natürlich
nichts für ein transzendentes Ich. Alles was unser
Autor als Beweis dafür anführt, hat ganz anderen Sinn.
Meist handelt es sich um die Abweisung der für Buddha
ganz sinnlosen Frage nach „Sein" oder „Nichtsein",
weil es für ihn diese Begriffe gar nicht gab. (Darum
kann er, nebenbei gesagt, auch an kein seiendes Ich geglaubt
haben). Und wo angeblich vom „unermeßlichen"
erlösten Ich (tathägata) geredet wird, ist appa-
meyya vielmehr mit „unermeßbar", d. h. mit empirischen
Begriffen nicht beurteilbar gemeint, da ja die Erlösung
eben in der Auflösung aller empirischen Begriffe
besteht, nach der aber eben nichts übrig bleibt, das einen
Anlaß zum Vermuten und Reden böte. Statt „unermeßlich
" aber gar „schrankenlos", „grenzenlos" (366) zu
sagen, führt noch weiter von der Wahrheit ab. Es ist
also nichts als eine Spielerei, dem Buddha die Annahme
eines transzendenten Ich unterzuschieben und dafür allerlei
Beweise zu versuchen, so geistreich auch der sie Versuchende
ist. In der Upanisaden-Philosophie der Zeit
unmittelbar vor Buddha ist ätmä „Selbst" bekanntlich
Bezeichnung des universalen Seinsprinzips, das zugleich
Allseele und Einzelseele ist. Wenn Buddha immer wieder
erklärt, daß in den Erscheinungsdingen kein attä
(ätmä) sei, so richtet er sich damit deutlich gegen diese
Upanisaden-Philosophie und meint mithin zweifellos,
daß der ätma jener Philosophie, d. h. also inneres
Seinsprinzip aller Dinge und transzendentes Ich zugleich,
nicht vorhanden sei.

An den Klippen, die ihm zum Verderben werden,
wäre Gr. vielleicht vorbeigesteuert, wenn er mehr historischen
Sinn und mehr Achtung vor philologischer Methode
mitgebracht hätte, statt geschichtliche Betrachtungsweise
, die doch allein das wahre Wesen geschichtlicher
Dinge aufdeckt, ausdrücklich abzulehnen (296)

und mit dem üblichen Achselzucken der Dilettanten
! über Professoren- und Indologen-Arbeit sich zu mo-
| kieren, obwohl auch er ihre Notwendigkeit (299) anerkennen
muß und ihre Ergebnisse sich sehr zunutze
j macht. (Ich rede hier nicht für meine Person, denn ich
j bin noch ganz gut weggekommen.) Er hätte dann wohl
auch auf die Auseinandersetzung über die angeblichen
zwei Formen des Wortes ä t m a n, eine pronominal-adjektivische
und eine substantivische und deren Ursprünglich-
keitsverhältnis (268 ff. und 283 ff.), die von jedem Sach-
| kenner mit vergnügtem Schmunzeln gelesen werden wird,
! lieber verzichtet. „Dilettant" soll im übrigen hier
kein Schimpfwort sein. Es gibt sehr achtbare Dilettanten,
und ich rechne Gr. zu den besten und überhaupt zu den
fähigsten Köpfen der neubuddhistischen Bewegung, in
der ja leider auch manche Kuli-Naturen unliebsam auffallen
. Aber Dilettant, wenn auch im besten Sinne, ist
; schließlich doch Dilettant, und wir wissenschaftlichen
Betrachter des Buddhismus wollen auch durch respektabel
und in ihrer geistreichen Art verführerische Dilettanten
wie Gr. das bisher Erarbeitete nicht in falsche
Beleuchtung rücken und schädigen lassen.

Königsberg i. Pr. R. Otto Franke.

Hei mann, Dr. Betty: Die Tiefschlafspekulation der alten
Upanlsaden. Sonderabdr. a. d. „Zeitschr. f. Buddhismus". München-
Neubiberg: O. Schloß 1922. (22 S.) gr.8° = Untersuchungen zur Geschichte
d. Buddhismus. 7. Gz. —80.

Frl. Dr. Heimanns, einer neuen intelligenten Mitforscherin
auf dem Gebiete der Indologie, Zusammenstellung
der Tiefschlafbetrachtungen in den Upanisaden
ist ganz ersprießlich und klug ausgeführt. Ihre Folgerung
daraus aber bewegt sich schwerlich in rechter
Richtung. Weil in den Up. hie und da, um das Wesen
des Atman, des „Selbstes" der Welt und der Wesen, des
universalen Seinsprinzips, das zugleich EinzelsirI
zu erläutern, vergleichenderweise auf den Tiefschlaf Bezug
genommen wird, darum ist doch nicht die Auffassung
des Atman ein Produkt der „Tiefschlafspekulation"!
Man darf nicht in solche Stellen, die vom Tiefschlaf kein
Wort sagen, ihn willkürlich hineintragen. Warum soll
z. B. der Inhalt jenes berühmten und grandiosen Gesprächs
Yäjfiavalkyas mit Maitreyl in Brh. Up. 2, 4, 12 fg.
über das Bewußtsein nach dem Tode, das nicht den geringsten
Anlaß gibt, an den Tiefschlaf zu denken, aus
dessen Beobachtung übertragen sein (13)? Oder warum
soll der Satz über den Atman als unvergängliches Prinzip
des Seins in Käth. Up. 2, 18 „Nicht wird geboren und
nicht stirbt der Seher" (14) „nur" „den ... nachgewiesenen
Gedanken der Tiefschlatspekulation" aussprechen?
Die beiden „Welten", die „der Atman" als „Damm" „auseinanderhält
, daß sie nicht verfließen", welchen Damm
„nicht Tag und Nacht, nicht das Alter und der Tod
überschreiten", sind nicht die Welt des Wachens und des
Tiefschlafs (15), sondern die des Empirischen und des
Transzendenten. U. s. w. Nach welchem anderen als subjektivem
Maßstabe unterscheidet Frl. H. das, was in den
Upanisaden „ursprünglich" (S. 8), „die nächste Stufe"
(12) u.s.w. ist? An der Berechtigung, dann gar den
Pessimismus (18), den Buddhismus, das Sänkhya und
den Yoga aus dieser Tiefschlafspekulation abzuleiten
(18 ff.), fehlt es natürlich erst recht. Welche Verkennung
solcher gewaltiger Geistesleistungen, sie aus so kleinen
Nebensächlichkeiten ableiten zu wollen! Der Atman hat
seine ganz anderen und viel weiter zurückreichenden
Wurzeln schon im Rgveda. Der indischen Philosophie
ist rrtit Rationalismus oder ähnlichen anderen Mittelchen
nicht beizukommen. Man braucht bei Frl. Heimanns
Fähigkeiten nicht zu zweifeln, daß sie nach dieser kleinen
Verirrung in Zukunft richtigere Denkwege einschlagen
wird.

Königsberg i. Pr. R. Otto Franke.