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Ausgabe:

1924 Nr. 26

Spalte:

560-561

Autor/Hrsg.:

Leube, Hans

Titel/Untertitel:

Die Reformideen in der deutschen lutherischen Kirche zur Zeit der Orthodoxie 1924

Rezensent:

Kohlmeyer, Ernst

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659

Theologische Literaturzeitung 1924 Nr. 26.

560

diese Vorarbeit veröffentlicht. Umrahmt ist sie von
einer (unvollständigen) Untersuchung über den Charakter
" der Strom, (p. 3—9) und einer Bibliographie
für Clemens (p. 35—45 für die JJ. 1898—1922), in
der seltsamer Weise die Ausgabe von S t ä h 1 i n fehlt.
Die dogmengeschichtliche Doppelstudie umfaßt also nur
25 Seiten; aber was er in guter Auseinandersetzung mit
seinen Vorgängern (unter denen er de Fa y e und
T o 11 i n t o n hervorhebt) und in Kürze vorgetragen
hat, ist beifallswert. In Bezug auf die Streitfrage, betreffend
das Verhältnis der Strom, zu dem projektierten
Didaskalos, weist er nach, daß jene nicht
die Erfüllung des literarischen Versprechens sein können
. In Bezug auf die Lehre vom Sündenfall stellt er
fest, daß Clemens in keinem Sinn als Vorläufer Augu-
stins beurteilt werden kann, und man sich hier auch
nicht über Unklarheiten bei ihm beklagen darf. Er
gehört auf die Seite der „Pelagianer"; Adams Sünde bestand
darin, daß er sich der göttlichen Erziehung entzogen
hat; diese Sünde hat sich nicht durch Zeugung
fortgeerbt; in dieser liegt nach Clemens überhaupt
nichts Sündiges. — Die Untersuchung über die Lehre
von der Präexistenz der Seelen ergibt, daß Clemens sie
nicht vertreten hat, daß also die entgegengesetzte Annahme
auf falscher Interpretation der einschlagenden
Stellen beruht, und daß somit Origenes das Theologu-
menon nicht aus der alexandrinischen Schulüberlieferung
, sondern wahrscheinlich direkt von Plato her bezogen
hat.

Berlin. Adolf v. Harnack.

Schücking, Lothar Engelbert: Die pazifistischen Grundlagen
der mittelalterlichen Verfassung des Fürstbistums Münster.

Leipzig: E. Oldenburg. (20 S.) 8°. = Kulturwille. Kleine Flugschriften
, Heft 2. Qm. —25.
Schücking freut sich in dem Fürstbistum Münster des Mittelalters
pazifistische Entwickelungen nachweisen zu können und ist
der Ansicht, daß sich derartiges auch in andern deutschen Territorien
nachweisen lassen müsse. „Liegen erst genügende Einzelforschungen
von Männern vor, die den guten Willen haben, den föderalistischen
Geist unserer Vorfahren begreifen zu wollen, dann werden wir, trotzdem
Sohm nicht mehr unter uns lebt, es vielleicht noch erleben, daß
ein deutscher Rechtshistoriker eine Rechtsgeschichte des deutschen
Mittelalters auf dem pazifistischen Gedanken aufbaut, der bei den
Städtebünden, Landfriedensbünden und territorialen Vereinigungen anfängt
und in den Völkerbund einmündet."

Kiel. G. F ick er.

Ebnerln, Christine: Das Büchlein von der Gnaden Oberlast.

Aus dem Altdeutschen übertr. und eingeleitet von Prof. Dr. Wilhelm
Oehl. Paderborn: F. Schöningh 1924. (85 S.) 8°. = Dokumente
der Religion XL geb. Gm. 1.50.
Das „Büchlein von der Gnaden Überlast", in dem Christine
Ebner, Dominikanerin zu Engeltal bei Nürnberg, in der Zwischenzeit
zwischen den beiden Berichten über ihr eigenes Gebets- und Visionsleben
von 1317—1324 und von 1344—1352 das ihrer Mitschwestern
und Hausgenossinnen etwa von 1240—1340 dargestellt hat, ist 1871
aus der einzig erhaltenen Handschrift (aus Engeltal, jetzt im Germanischen
Museum) von Karl Schröder als 108. Bd. der „Bibliothek
des literarischen Vereins in Stuttgart" herausgegeben worden. Die
Übertragung von Wilh. Oehl ist dankbar zu begrüßen. Sie modernisiert
ebenso zurückhaltend und taktvoll, wie es in seinen Mystikerausgaben
in der „Sammlung Kösel" (Seuse, Mechtild von Magdeburg
, Tauler) der Fall ist.

Zwickau i. S. O. C lernen.

Flcker, Prof. Dr. Johannes: Das Straßburger Münster ein
Symbol. Sonderabdruck aus der Neuen Ch r i s t o t e rpe. Hallea.S.:
C. Ed. Müller 1924. (32 S. m. 8 ganzs. Abb.) kl. 8°. Gm. 1.50.
Das kleine feine Heft führt uns das bedeutendste Baudenkmal
des deutschen Mittelalters nach seiner Entstehung, seiner künstlerischen
Eigenart, seiner kunstgeschichtlichen Bedeutung und seiner
Verwobenheit in die Zeitgeschichte vor Augen. Reicher Inhalt in
knappster Form und anschaulichster Darstellung, mit bedeutsamen
Ausblicken und Wertungen, die den genauen Kenner verraten. Unter
den 8 vortrefflichen Tafeln ist von besonderm Interesse ein wenig
bekannter Stich von 1636, der das Münsterinnere als evangelische!
Gotteshaus veranschaulicht.

Tübingen. Q. Anrieh.

Kutscha, Dr. Alfred: Die Stellung Schlesiens zum Deutschen
Reich im Mittelalter. Berlin: E. Ebering 1924. (VIII, 80 S.)
gr. 8°. = Historische Studien, Heft 15g. Gm. 2.50.

Kutscha zeigt in einem, soweit ich urteilen kann, vollständigen
und reich mit Tatsachen ausgestatteten Überblick, wie wenig sich
doch im Grunde das deutsche Kaiser- und Königtum um Schlesien
gekümmert hat, wie es namentlich eine Eroberungspolitik nicht betrieben
hat, so günstig doch die Verhältnisse zu Zeiten dafür gelegen
haben. Als deutsches Land kam es 1526 an die Habsburger als ein
Nebenland der Krone Böhmen. Deutsch war es geworden nicht
durch Eroberungen deutscher Könige und Kaiser, sondern durch die
friedlich wirkende Macht deutscher Kultur, durch Tüchtigkeit und
Fleiß deutscher Bürger und Bauern und ihrer weltlichen und geistlichen
Leiter. Auf das Kirchliche hat K. überall Bezug genommen, doch
spielt es keine bedeutende Rolle.

Kiel. G. Ficker.

Leube, Priv.-Doz. Lic. Dr. Hans: Die Reformideen In der
deutschen lutherischen Kirche zur Zeit der Orthodoxie.

Leipzig: Dörffling 8t Franke 1924. (VIII, 184 S.) gr. 8°.

Om. 4.50; geb. 5.50.

Rothert, Prof. D. H.: Der kirchliche Wiederaufbau nach dem
30jährigen Kriege. Gütersloh: C. Bertelsmann 1924. (77 S.)
8°. Om. 2-.

Leubes Arbeit verfolgt ein umfassenderes Ziel als
der Titel vermuten läßt: durch seine Untersuchung
der lutherischen Reformströmung will er der Geschichtsforschung
zu einem befriedigenden Verständnis
des orthodoxen Zeitalters im ganzen verhelfen,
weil dies bisher von Chr. Weismann (1719) bis auf
Karl Müller fehlt. Denn allen Darstellungen liegt das
dunkle Bild zu gründe, das Gottfr. Arnold gezeichnet
und in das erst Tholuck einige nicht ausgeglichene
Lichter gesetzt hat. Leube versucht die Berichtigung
durch ein Zweifaches. Zunächst will er nachweisen,
daß in der behandelten Zeit — etwa von Arnd bis
zu Spener — nicht einzelne Vorläufer des Pietismus
sondern so gut wie sämtliche nennenswerten Theologen
, kurz „alle kirchlich interessierten Kreise" nach
Reform streben. Darin findet er den Beweis, daß
es eine tote Orthodoxie überhaupt nicht gegeben hat.
Sodann aber entsteht nunmehr die Frage, ob bei so
massenhaften Klagen nicht erst recht von einer verderbten
Kirche geredet werden muß. Dies soll der
letzte Teil der Arbeit entkräften, der, um es scharf zu
sagen, nachweist, daß auf jene Klagen nicht viel gegeben
werden kann. Sie sind sämtlich hervorgegangen
aus dem Vergeltungsglauben der Generation des 30jäh-
rigen Krieges, die nach Gründen für Gottes Zornesrute
suchte, aus der Weltuntergangsstimmung, Luthers
Unglücksprophezeiungen und dem Eindringen der sittenstrengen
anglikanischen Literatur. In Wirklichkeit aber
ist das 17. Jahrh. eine Zeit kirchlicher und religiöser
Blüte gewesen, wie die Fülle von Kirchengesetzen, die
reichliche religiöse und profane Literatur beweisen.

Anerkennenswert ist die historiographische Untersuchung
, die das dunkle Bild dieser Periode auf G.
Arnold und Thomasius zurückführt: Pietist und Aufklärer
finden sich in dieser Kritik der Kirche. Nicht
weniger ist der die Reformströmung schildernde Hauptteil
aus gründlichster Kenntnis der Literatur hervorgegangen
und bereichert das bisherige Bild von der
Verbreitung und Vielfältigkeit der Reformideen, wie wir
es etwa bei Grünberg oder Koepp finden, an vielen
Punkten durch solideste gelehrte Arbeit. Die Erweiterung
dieser Untersuchung zur Skizze der ganzen Zeit
aber unterliegt einer ganzen Reihe von Bedenken. Zunächst
ist das Bild der Reformströmung teilweis konstruiert
. Eine oder zwei Reden eines Theologen über
Sitten- oder Kirchenreformen untergeordneter Art genügen
, um ihn den Reformern zuzurechnen. Die Kämpfe
gegen Arnd u. a. Opposition gegen die Reformer treten
fast völlig zurück. Die orthodoxe Kirche tritt hier als
einheitliche Größe auf, eine Scheidung in Obrigkeit,
Universität, Pfarrerstand, Laien wäre ratsamer gewesen.
Das Bild wäre komplizierter, aber wirklicher geworden.
Sodann ist der Versuch, die Klagen einfach zu eskamo-