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Ausgabe:

1924 Nr. 2

Spalte:

528

Autor/Hrsg.:

Nef, Willi

Titel/Untertitel:

Die Philosophie Wilhelm Wundts 1924

Rezensent:

Heinzelmann, Gerhard

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Seite 1

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527

Theologische Literaturzeitung 1924 Nr. 23/24.

528

Rfckert, Heinrich: Kant als Philosoph der modernen Kultur.

Ein geschichtsphilosophischer Versuch. Tübingen: J.C.B. Mohr
1924. (XI, 214 S.) gr. 8°. Gm. 5—; geb. 7—.

Ein Buch, wofür die Theologie dem verdienten
Philosophen zu besonderem Dank verpflichtet ist. Klar
und großzügig und von einer Sorgfalt in der Methode,
die gelegentlich amusisch wird und ans Pedantische
streift. Es legt dar, daß für die moderne Kultur 3 Momente
konstitutiv sind, die in Griechenland entsprungene
Wissenschaft, der spezifisch römische Staats- und Rechtsgedanke
und die christliche Religion. Im Mittelalter
wurden sie nicht ohne Vergewaltigung durch die Kirchenautorität
zur Synthese zusammengezwungen; ihr
Aus- und Nebeneinandertreten bezeichnet die Zeitenwende
der Moderne. Zunächst freilich war man, obgleich
man die Eigenart und Lebensmacht jener 3 Kulturelemente
neu erfahren, noch nicht imstande, die damit
gestellte Aufgabe theoretisch zu lösen. Intellektualismus
, Skeptizismus, Gefühlsirrationalismus rangen
um die Herrschaft. Da ist Kant der Philosoph der modernen
Kultur geworden. Er hat den verschiedenen
Kulturzweigen zu ihrem Recht verholten, indem er der
Theoretiker nicht nur der reinen, sondern auch der praktischen
Vernunft ward, und indem er im Bereich des
Atheoretischen auch dem bisher heimatlosen Irrationalen
seinen Platz anwies. Zwar kleben ihm noch intellektu-
alistische Eierschalen an, zwar ignoriert er auf dem
Gebiete der Moral den durch das Christentum aufgewiesenen
irrationalen Faktor (Liebe) und mißversteht die
Religion in moralistisch-rationalistischem Sinne — klar
erkannt und in seiner Eigenart gewürdigt hat er das
Irrationale lediglich in der Kunst — aber es ist nun nicht
mehr schwer, seine Schranken zu überwinden und das
moderne Kulturbewußtsein in seiner Differenziertheit
und Einheit auszubilden. Allerdings soll die Einheit
mehr sein als bloßes Erleben, so erhebt sich ein neues
schwer zu lösendes Problem, um welches die Philosophie
der Gegenwart noch zu ringen hat. Doch gibt
bereits Kant, und deutlicher nach ihm Fichte, den rechten
Fingerzeig, indem er einleuchtend zu machen weiß, daß
die fragliche Synthese vom Praktischen her (R. selbst
sagt deutlicher von der Religion her) erfolgen muß.

Das Referat der R.sehen Gedanken, die sich im Ergebnis
mit Kaftans Philosophie des Protestantismus berühren
, mußte kurz sein. Die kritische Auseinandersetzung
vollends mag sich, nach Hervorhebung der
Übereinstimmung in allem Wesentlichen, auf einen Punkt
beschränken. Zwar scheint mir die sorgfältige Auseinanderhaltung
der Begriffe Intellektualismus und Rationalismus
bei R. außerordentlich wertvoll und klärend —
Intellektualismus ist falsche Kürzung oder Leugnung der
atheoretischen Werte, aber auch atheoretische Werte
widerstreben nicht der Rationalisierung — aber der Gebrauch
der Begriffe rational und irrational erscheint mir
nicht ganz einwandfrei. R. gibt zu, daß auch der Wert
der Wahrheit letztlich irrational sei (S. 80), und das
Gleiche gilt natürlich vom Wert des Rechts und der
Religion. Nun, so sehe ich hier in dieser Hinsicht keinen
grundsätzlichen Unterschied und meine, die verschiedenen
Wertgruppen, die theoretische und die atheoretischen
, sind sämtlich wesenhaft irrational, aber relativ
rationalisierbar. Demnach wäre Wissenschaft der rationalisierte
irrationale Wahrheitswert. Das ethische Liebesprinzip
dürfte, trotz R.s Widerspruch, so gut rationalisierbar
sein wie das der Gerechtigkeit. Ja sogar in dem
Grundgedanken des Christentums „Gott ist die Liebe"
scheint mir Irrationales rationalisiert zu sein, und der
Versuch, die Religion überhaupt zu rationalisieren, soweit
dies möglich ist, heißt die Glaubenslehre.

Iburg. W. Thimme.

N.'ef, Willi: Die Philosophie Wilhelm Wundts. Leipzig- F
Meiner 1923. (X, 358 S.) gr. 8". Gm. 10-; geb. 12.50.

Das Buch von Willy Nef ist eine pünktliche Zusammenstellung
der Hauptgedanken W. Wundts über die
Fragen der Philosophie im engeren Sinne (die Psychologie
wird nur nach ihren Prinzipien berücksichtigt, die
Völkerpsychologie bleibt [sehr zu Unrecht] ganz beiseite
.) Hauptabsicht des Verf.'s ist, den Universalismus
Wundts zur Geltung zu bringen. In 5 Abschnitten werden
wir an der Hand reichlicher Zitate durch das
System hindurchgeführt (I. Wes. u. Aufg. der Philosophie
II, Erk.-Theorie, III. Nat.-philos. u. Psychologie
IV. Ethik, V. Metaphysik). Darauf folgt S. 317—346
eine kurze Zusammenfassung und Kritik. Wer sich
scheut, die umfangreichen Werke W. Wundts selbst zur
Hand zu nehmen, kann sich durch Nef bequem orientieren
lassen. Weiter reicht aber die Bedeutung seiner, in
ihrer Art höchst sachlichen, Arbeit nicht. Besonders die
Kritik am Schluß ist unzureichend und kommt über
Einzelausstellungen nicht hinaus. Was wir brauchen, ist
nicht ein neuer kompeniarischer Auszug aus W.'s Schriften
, wie ihn Nef abermals gegeben hat, sondern eine
wirkliche philosophiegeschichtliche Analyse der entscheidenden
Ideen, die Wundts Denken bestimmt haben. Dabei
wird sich m. E. zeigen, daß der Philosophie W.
Wundts nicht die „histor. Größe" zukommt, die ihr der
Verf. nach einem Wort J. Burckhardts zubilligt. Dafür
schwankt sie zwischen Positivismus und Idealismus zu
unsicher hin und her.

Zu bedauern ist, daß Nef weder die Lebensgeschichte W.'s berücksichtigt
, noch eine Ubersicht über sein Schrifttum gegeben hat.
Basel. Gerh. Heinzelmann.

Schüler, Gustav: Splegelscherben vom Ewigen. Gedichte.
Basel: F. Reinhardt 1924. (159 S.) kl. 8°. Gm. 2—; geb. .3—.

Ein Buch der Zeit: Seelennot, Volksnot, Gottesnot,
Not zu Gott. Viel Gleichnisse aus schmerzhaft stürmendem
Naturerleben, ein Drängen auf Unmittelbarkeit
des kennzeichnendsten Wortes. Der „Schüler" des
Nachkriegs: seinen vielen Freunden ein neues Geschenk
zu manchem frühern; jedem ein Klang, der aufhorchen
macht, ein eigner, ein, auch wo er sich wandeln will,
wiederkehrender: Aufbäumen und Stillwerden-müssen.
auch -wollen. Durchgängig religiös, christlich bestimmt
aus der Wurzel, erfreulich oft erfolgreich zur innern Ge-
formtheit hinfindend; Kind der Zeit, Sang des Einzelnen
, der nach der Heimat fragt: hier wie dort.
Fahrenbach (Baden). Peter Kat/.

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Deutsche Predigten

aus den Jahren vaterländischer Not 1918—1922

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Die nächste Nummer der ThLZ erscheint am 13. Dezember 1924.
Beiliegend Nr. 23 und 24 des Bibliographischen Beiblattes

Verantwortlich: Prof. D. E. Hirsch in Göttingen, Nikolausberger Weg 31.
Verlag der J. C. H i n r i c hs'schen Buchhandlung in Leipzig, Blumengassc 2. — Druckerei Bauer in Marburg.