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Ausgabe:

1924 Nr. 22

Spalte:

486-488

Autor/Hrsg.:

Hankamer, Paul

Titel/Untertitel:

Jakob Böhme. Gestalt und Gestaltung 1924

Rezensent:

Seeberg, Erich

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485

Theologische Literaturzeitung 1924 Nr. 22.

48G

Manitius, Karl: Naturwissenschaft im beginnenden Mittelalter
. Eine Studie an den fränkischen Geschichtsquellen der
Karolingerzeit. Crimmitschau: Rohland & Berthold 1924. (41 S.)
8". Gm. 1—.

Der Verfasser stellt aus den Schriftwerken der Karolingerzeit die
Äußerungen über Naturbeschreibung, Heilkunde und Astronomie zusammen
. Er will nur eine Vorarbeit liefern, einen Ansatz zur Gesamtwürdigung
des frühmittelalterlichen Geisteslebens, das sich im
Karolingischen Zeitraum zu seiner Blüte entfaltete. Er legt Wert
darauf, die Quellen reden zu lassen, und hält mit dem eigenen Urteil
zurück. Auf seine Zuverlässigkeit werfen die sauber gearbeiteten
Anmerkungen ein gutes Licht. Auch der Kirchenhistoriker kann
aus dem Schriftchen Lehrreiches entnehmen.

Gießen. O. Krüger.

Günther, Prof. Dr. Rudolf: Die Bilder des Genter und des
Isenheimer Altars. Ihre Geschichte und Deutung. II. Teil: Die
Brautmystik im Mittelbild des Isenheimer Altars. Leipzig:
Dieterich'sehe Verlagsbuchh. 1924. (II, S. 61—145 und 1 Bildtafel
.) gr. 8°. = Studien über christliche Denkmäler, hrsg. v. Johannes
Ficker. N. F. 16. Heft. Gm. 4.50; geb. 5.50.
„Matthias Grünewalds Isenheimer Altar gilt heute als das
Wunderwerk deutscher Malerei. Um so seltsamer muß es berühren,
daß das vielgerühmte Doppelbild der mittleren Ansicht, die Weihnachtsszene
mit dem .Engelkonzert', der eigentlichen Bedeutung nach
noch immer nicht erschlossen ist" (1). Offenbar ist, daß, wie in
anderen mittelalterlichen Altarwerken, so auch in der Gesamtschöpfung
Grünewalds die göttliche Heilsgcschichte in ihren Hauptereignissen
und in ihren Hauptträgern, an die sich auserwählte Heilige der
Kirche anschließen, dargestellt wird. Bezüglich des Mittelbildes,
dessen Verständnis im engeren Sinne des Wortes verloren gegangen ist,
legt Günther, der im ersten Teil seiner Doppelstudie die ikonographische
Erklärung der Bilder des Genter Altars erbracht hat (s. Th. Lit. Ztg.
1924, Nr. 6), in diesem zweiten Teil auf dem Wege umsichtiger Kritik
sowohl als förderlicher Auswertung der mannigfachen bisherigen
Deutungsversuche, insbesondere aber auch auf Grund weitausgreifender
mittelalterlich-religiöser literarischer und monumentaler Quellenkunde
dar, daß das Thema der Mittcltafel des Isenheimer Altars sich zusammenfaßt
in der Sponsa et Mater Filii Dei. Jene, dargestellt
in der bräutlich geschmückten anbetenden Maria links, ist zugleich
das mittelalterliche Symbol der Ecclesia und als solche durch
die kirchliche Halle, den Henkelkrug u. a. kenntlich gemacht. Beide,
Braut und Mutter Christi (bzw. Gottes), verbunden in dem Weihnachtsgedanken
, werden in unserem Bilde gegenüber- und zusammengeordnet
.

„Der Mangel aller bisherigen Erklärungen war, daß sie dem
Bild mit der verklärten Maria keinen selbständigen Inhalt geben
konnten. Entweder wiederholte man mit einiger Abwandlung die
Idee der Verkündigung, die in unmittelbarer Nachbarschaft bereits
verwirklicht war, und suchte das Besondere in der Vision, mit der
man den Vorgang ausstattete, oder man trug wohl einen neuen dogmatischen
Gedanken herzu, vermochte diesen aber zu dem Bild der
Mutter mit dem Kinde nicht in notwendige Beziehung zu setzen. Aber
wenn der Mater die Sponsa Filii Dei gegenübertritt — und das ist die
einzige symbolische Bedeutung Marias, die mit dem Weihnachtskreis
im Zusammenhang steht —, so kommt in das Gesamtbild die erforderliche
Spannung, der Gegensatz und die höhere Einheit beider
Marien, ein selbständiger Inhalt jeder Hälfte und doch der Zusammenschluß
beider zu einem Ganzen" (138). „Die Anlage Grünewalds
ist eine großartige Umbildung der Anbetung des Neugeborenen
durch Maria, zu der im späteren Mittelalter die Geburt Christi geworden
ist" (140). „In geziemendem Abstand von dem göttlichen
Bräutigam kniet Maria voll staunender Anbetung, in das unfaßbare
Olück ihrer hohen Berufung und wunderbaren Begnadigung still versunken
. Nicht die Vertrautheit zwischen Bräutigam und Braut kommt
zum Ausdruck, sondern die demütige Hingabe der Braut ... Die Hochzeit
wird zur Anbetung wie auf dem Genter Altar" (142). Neben dem
Festesjubel der musizierenden Engel („Engelkonzert") fehlen bei der
mystischen Hochzeit die Brautzeugen nicht: Mclchisedek, der den
Abraham segnet (im Bogenfeld über dem Eingang der Halle), David,
Propheten (Nathan, Ezechiel, Jesajas, Daniel?), als eigentlicher Para-
nymphus — die mächtige Gestalt des Täufers auf dem Kreuzigungsbilde
, in welchem die Brautidee des Mittelbildes nachklingt („Blum
oportet crescere, me minui": Abschluß des alten und Anbruch des
neuen Bundes) (142ff.).

Ist hiermit der Kerngedanke der Gr.schen Schöpfung glücklich
und klar herausgestellt, so tut es ihm keinen Eintrag, daß in den
Nebenmotiven nach wie vor einzelnes rätselhaft, einzelnes verkannt ist.
So kann Oünther über die beiden bärtigen Engel zu Seiten der
Hirten nur eine Vermutung aussprechen: er möchte in ihnen Elias
und Henoch erkennen (133 Anm. 181). Aber gibt es dafür ikonographische
Parallelen? Auch die auffällige Gruppe der vier
Putten-Engel in großer Aureole hinter dem erwachsenen geigenden
Engel ist nicht ohne Fragezeichen zu benennen, wiewohl der

buddhaähnliche Kopf des einen nach Günthers Meinung zu der Annahme
„zwingt", „daß hier eine Darstellung verschiedenartiger
Völkertypen beabsichtigt ist" (133). Allein wird man nicht sich der
vier Engel der Offenbarung Johannis c. 7,1 und 9,15 zu erinnern haben, die
ja auch in Dürers Apokalypse (B.66. 69) so bedeutsam hervortreten?
In dem Feigenbaum, der seine Äste zu Maria mit dem Kinde
herabneigt (69), erblickt Günther den Lebensbaum (137); in Wirklichkeit
kommt er in die Kindheitsgeschichte Jesu aus der apokryphen
Erzählung von der Palme auf der Flucht nach Ägypten PseudoMatthäus
c. XX (vgl. z. B. auch Dürers entsprechendes Blatt aus
dem Marienleben B. 89). Wenn Günther schließlich sagt, in altchristlicher
Zeit sei die „Kirche" als Stadt, verkürzt als Gebäude dargestellt
worden (139), so ist mir eine derartige Darstellung aus „altchristlicher
" Zeit nicht gegenwärtig, es sei denn, daß man die altchristliche
Zeit über das ganze Mittelalter sich erstrecken läßt.

Im übrigen ist G.s Doppelschrift auch im Äußeren mit größter
Sorgfalt gearbeitet; es dürfte schwer sein, ein Druckversehen aufzuspüren
. Um so mehr muß man bedauern, daß ihr ein höchst empfindlicher
Mangel anhaftet: es fehlt ihr ein Register, das gerade bei ihr
besonders unentbehrlich scheint. Es hätte nicht bloß dargetan, welche
Fülle von Material in ihr herangezogen ist, sondern dieses Material
wie den Gesamtinhalt des Doppelheftes zum Nutzen der Sache wie
der weiteren Forschung aufs vorteilhafteste erschlossen.

Berlin. Georg Stuhlfauth.

Strunz, Franz: Paracelsus. Eine Studie. Leipzig: H. Haessel
1924. (102 S.) kl. 8°. = Die Schweiz im deutschen Geistesleben,
27. Bdchn. geb. Gm. 2—.

Das vorliegende Büchlein gibt in allgemeinverständlicher
Weise eine knappe und gute Einführung in den
Stand der heutigen Paracelsus-Forschung, die bei dem
Erscheinen der großen neuen, von Sudhoff-Matthießen
besorgten, Ausgabe der Werke des Paracelsus — und
grade auch der theologischen Werke — gewissermaßen
in ihren Anfängen steht. Strunz führt die Forschung, an
der er selbst wesentlich beteiligt war, in dieser Studie
nicht weiter fort; aber er informiert gut über den
Lebensgang des Paracelsus, über seine ideale ärztliche
Tätigkeit, über seine naturwissenschaftlichen, religionsphilosophischen
und ethischen Anschauungen. Die Begriffe
sind nicht immer scharf und die Ausblicke, wie
mir scheint, nicht immer glücklich; aber alles, was zur
Ideengeschichte gesagt oder zur Charakteristik angedeutet
wird, beruht auf Kenntnis der Quellen und quillt
aus der Liebe zu dem lebensvollen Gegenstand, dem
wunderbaren Paracelsus, von dem die so rätselhaft arbeitende
Legende ein so entstelltes Bild erhalten hat. Die
Stellung des Paracelsus ist nicht bloß in der Geschichte
der Naturwissenschaften sondern vor allem auch in der
neueren Mystik — man denke allein an das Verhältnis zu
Böhme — von größter Bedeutung; und noch sind wir
nicht in der Lage, über die Traditionen, in denen Paracelsus
steht, auch also über seine Beziehungen zur
italienischen Renaissancephilosophie, zur Scholastik und
zu Augustin, worauf eben in dieser Studie Strunz hinweist
, Sicheres auszusagen, ebenso wie wir über die
Herkunft und die Bedeutung der Formel experimenta
et ratio (vgl. das alte auetoritas et ratio) und über den
letzten Sinn des naturwissenschaftlichen Erfahrungsbegriffs
, grade im Hinblick auf den theologischen, noch
nicht klar zu sehen vermögen. Diese Rätsel treten auch in
Str. Büchlein hervor, das, wie gesagt, eine Menge von
Hinweisen gibt, die für die künftige, mit reicherem
Material arbeitende Forschung wertvoll und fruchtbar
sein werden.

Breslau. E. Seeberg.

Hankamer, Paul: Jakob Böhme. Gestalt und Gestaltung.
Bonn: F. Cohen 1924. (427 S.) gr. 8°.

Gm. 10.50; Hlwd. 15—; Hldr. 20—.
Unter Gestalt versteht der Verf. eine Erscheinung
des Lebens, sofern sie unter dem Gesichtspunkt des Persönlichen
und des Werdens gesehen wird; Gestaltung
nennt er das Endgültige der Gestalt, d.h. also die Gestalt
als Sein oder als Idee verstanden, wobei das Persönliche
und Zufällige von ihr abfällt. Dementsprechend
ist das Buch gegliedert. In einem ersten Kapitel, das
den Ursprung Böhmes behandelt, werden die Gesichts-