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Ausgabe:

1924 Nr. 21

Spalte:

477

Autor/Hrsg.:

Goedeckemeyer, Albert

Titel/Untertitel:

Aristoteles‘ praktische Philosophie 1924

Rezensent:

Jordan, Bruno

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477

Theologische Literaturzeitung 1924 Nr. 21.

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rung: „Kirchliche Verhältnisse in Deutschland nach der Revolution"
von L. Bäckströtn und III 90—97 sowie IV 112—116 in ihrer vielsagenden
Knappheit meisterliche Skizzen D. 1. Schneiders alles Gewünschte
nachholen. Sie werden ohne Zweifel eine dauernde Zierde
der kommenden Jahrgänge bleiben. — Das Zustandekommen und die
Durchführung der denk- und dankwürdigen „Samaritergabe 1922" und
vieles andre liest der Deutsche gern; so auch das vorbehaltlose Bekenntnis
des Rundschauers DDr. Rurik Holm zum Aufruf der schwed.
Bischöfe zur Ruhrbesetzung: „Es blieb der schwed. Kirche vorbehalten,
alle wahrhaft evangelische Anschauung angesichts dieser Frage auszulösen
." Und, nach Zeichnung des geringen äußeren Erfolges des
mutigen Schrittes: „Die Pflicht der Christen angesichts dessen, was
jetzt geschieht (seil. 1923), ist doch klar, und das Bewußtsein darum
wird lebendig gehalten" (IV 54).

Sind wir der eine, so ist England der andre Pol der kirclil.
Einigungsbestrebungen. Y. Brilioth gibt Aufsätze über England aus
erster Hand in II, III u. IV. Hier wie in der Arbeit K- B. Westmans
über „die gegenwärtige Lage der kirclil. Einigungsbestrebungen" (wo,
III 111, der Luthcrgesellschaft als das Luthertum einigenden Faktors
gedacht wird) ist wohl das Wesentlichste die Aussprache über das aus
persönlicher Amtsautorität erlassene, kirchenrechtlich nicht bindende
Schreiben der schwed. Bischöfe v. 20./21. April 1922 über die Bereitschaft
der schwed. Kirche, mit der anglikanischen in Abendmahlsgemeinschaft
zu treten (dem Erzbischof v. Cantcrbury überreicht am
15. 5. 1922, gedruckt zuerst englisch in Theolofry v. Juli 1922 (vergriffen
), jetzt in beiden Sprachen in Kyrkohislorisk Arsskrifl 1923).
Damit hat ein Beschluß der l.ambethcnnferenz 1920, der auf ein Gut-
achtfn von 1911 — auf Grund von Verhandlungen in Uppsala 1909 —
zurückgeht, Erfüllung gefunden. Das Schreiben ist eine ausgezeichnete
Selbstdarstcllung schwedischen Luthertums in seiner Vereinigung zweier
Momente: der Liebe zu den, treu und frei zugleich gewürdigten, üher-
kommnen Formen des Kirchentums, als des Gewands, in das Gottes
Liebesgedanke sein Geschenk an dies Kirchenvolk hat kleiden wollen,
und der Klarheit, mit der gefühlt und dargelegt wird, daß nicht Verfassungsformen
(apostol. Succession, Rangstufen im geistlichen Amt
etc.) das für Begründung einer Intercommunion Wesentliche sein
können, sondern die Schrift als normo normans für Leben und Lehre
und die Begründung des Heils allein auf die im Glauben ergriffene
Gnade Gottes, die als Grundlage auch in den 39 Artikeln zu finden
seien. Die von der englischen abweichende Amtsauffassung wird besprochen
, bessere Bereitung der englischen Konfirmanden gewünscht
und einer gesetzlichen Betrachtung das Wesen des lutherischen Adin-
phnron entgegengehalten. Abweichende Meinungen sind hier „als
Wunschziel, keineswegs als Bedingung der Abendmahlsgemeinschaft
zu betrachten". Gleiches haben auch die angl. Unterhändler für sich
ausdrücklich zugestanden. Damit ist dank den schwedischen Lutheranern
eine neue Stimme in die Unions-Partitur von Lambeth eingetragen
; möchte sie zur herrschenden werden! „Wir stellen uns vor,
daß die beiden Kirchen wechselseitig von einander zu lernen haben
möchten": der stille Zwang, den der, einmal ausgesprochne, Oedanke
ausübt, macht die auf Hoffnung gestellte Bedeutung des Schreibens
aus, dem vorerst einmal achtungsvolles Schweigen drüben antwortet.

Wie die schwedische Kirche auch sonst Erfordernissen der Zeit
mit der Tat begegnet, zeigt der Bericht über die Stiftung des Rad-
bechius-Fonds: spontan wurden im Frühjahr 1923 auf dem 11. freien
Kirchentag in Stockholm fast 150 000 Kronen gesammelt, um eine
exegetische Professur in Uppsala zu dotieren; damit schuf man die
Möglichkeit, eine durch die Regierung Brantings geschehne Lehrstuhlbesetzung
, die die Kirche als Fehlbesetzung empfindet, auszugleichen;
der sonst drohenden Bewegung auf eine „Qemeindefakultät" nach dem
Muster von Christiania ist damit vorgebeugt, und das ist weise.

Soweit damit ein Lob ausgesprochen werden kann: das ist Geist
von unserm besten Geiste, nicht von heute und darum dem Heute wie
<lem Morgen gewachsen. In mutlos annos!

Fahrenbach (Baden). Peter Katz.

Goedeckemeyer, Prof. Albert: Aristoteles'praktische Philosophie
. Leipzig: Dieterich'sche Vlgsbchh. 1922. (253 S.) gr. 8° =
Ethik und Politik. Gm. 4.50; geb. 6.50.

Der Verfasser gibt ein anschauliches Bild von der Ethik und der
Politik des Stagiriten. Im ersten grundlegenden Teil versucht er eine
in dieser Ausführlichkeit neue Darstellung des Glückseligkeitsbegriffs,
unter den er etwas gewaltsam alle anderen ethischen Bestimmungen
unterordnet. Der zweite technische Teil behandelt die Auffassung des
Aristoteles von den einzelnen Verfassungen, der Bedeutung und dem
Sinn ihrer Prinzipien. Die leider etwas kurze Kritik am Schluß
tadelt die Auffassung der höchsten Glückseligkeit als rein theoretischer
Tätigkeit, den Glauben an die sittliche Bedeutung des Staats
und die Bestimmung des Menschen als politischen Wesens. Die Darstellung
ist zwar gelegentlich etwas konstruktiv und einseitig, aber an
vielen Stellen und im ganzen fördernd und aufschlußreich.

Bremen. Bruno Jordan.

Zeilschrift für systematische Theologie. In Verbindung mit
anderen hrsg. von Prof. D. Carl Stange. 1. Jahrgang, 1923/1924,
4. Vierteljahrsheft. Gütersloh: C. Bertelsmann. (S. 609—788.)
gr. 8°. Om. 5—; im Abonn. Gm. 4.50.

Das vorliegende Heft enthält wieder eme Reihe
lehrreicher und jedenfalls höchst anregender Artikel,
über deren Inhalf hier in aller Kürze berichtet werden
möge.

Es wird eröffnet durch eine vom Herausgeber selbst
stammende Darstellung von „Novalis' Weltanschauung",
die angesichts des neu erwachten Interesses für den
„deutschen Idealismus" erhöhte Aufmerksamkeit in Anspruch
nehmen darf. Herausgehoben sei hier nur der
eine charakteristische, meines Erachtens auch durchaus
zutreffende, Satz: „Die geschichtliche Stellung, welche
Novalis in der Philosophie des deutschen Idealismus
einnimmt, wird dadurch bestimmt, daß er den Er-
kenntniswert der Dichtung im Zusammenhang der Weltanschauung
zur Geltung bringen will."

Der selbe Herausgeber, Carl Stange, handelt in
einem zweiten Aufsatz („Die Auferstehung Jesu") vom
Auferstehungsglauben, der, von Jesus bei dessen Lebzeiten
angeregt, nicht etwa in bloßen Visionen subjektiven
oder objektiven Charakters, sondern allein in einem
durchaus realen, geschichtlich nachweisbaren, Vorgang
seinen Grund haben könne. In einer tiefgreifenden Betrachtung
weist der Verfasser — und das ist das systematisch
Wertvolle der Arbeit — sehr nachdrucksvoll auf
die eminent religiöse Bedeutung dieses Auferstehungsglaubens
hin. So manche scharfsinnige und feinsinnige
Bemerkung nun aber auch in dem Ganzen mit unterläuft
, vermag Unterzeichneter doch nicht solchen leitenden
Grundgedanken wie dem, daß das „Credo quia absurdum
" das „universelle Motiv aller religiösen Gewißheit"
sei, beizupflichten, wenngleich der schroffe Satz für
denjenigen in etwas verständlicher wird, der Stanges
religionsphilosophische Ansichten kennt.

In einer kurzen Besprechung betreffend den „Gedanken
der Erziehung des Menschengeschlechts bei Irenaus
" bemüht sich Nathanael Bonwetsch-Göttingen noch
„bestimmter", als bisher geschehen ist, darzulegen, in
welchem Maß „die Anschauungsweise des Irenaus durch
jenen Gedanken beherrscht ist".

Unter dem Titel „Theologische Erinnerungen an
den jüngeren Blumhardt" schildert Erich Schaeder-Bres-
lau in fesselnder Darstellung die Anschauungen des
Boller Seelsorgers, während dessen sogenannter „mittleren
Periode", das heißt, in der Zeit, die zwischen der
Wirksamkeit im Geist und Sinne des Vaters und dem
Übergang zum demokratischen Sozialismus liegt. In
den anläßlich eines dreiviertel(jährigen täglichen Verkehrs
mit dem jungen Blumhardt von Schaeder einst
notierten und nunmehr mitgeteilten Äußerungen des Betreffenden
während dieser Periode treten immer deutlicher
bestimmte Eigentümlichkeiten hervor: entschiedene
Hinneigung zum „Aktivismus"; Verstärkung des
Gegensatzes zur Kirche und zum württembergischen
Pietismus; ausgesprochene Ablehnung einer spiritua-
listischen Deutung des „Reiches Gottes"; Zurückdrängung
des Begriffs des Glaubens hinter dem der
Buße; Wandlungen in der Beurteilung von Christi Person
und Werk, in der Auffassung vom „Wort Gottes",
vom „Geist", vom Gebet und anderes. Von aktueller
Bedeutung sind dabei einzelne Vergleiche, die Schaeder
zwischen Blumhardt und K. Barth anstellt. Gelegentlich
wird auf die Gefahr einer Degradierung des Christentums
zu einer nova lex hingewiesen, und in einer Schlußbemerkung
heißt es treffend: „Der Mann, dem wir
hier das Wort gaben, war ein großer Erreger von
Menschenseelen in der Richtung auf Gottes Willen und
Ehre. Daß er auch den Zugang zu der Kraft aufdeckte
, welche die Erregung zum gesammelten Ich und
Welt überwindenden Willen gestaltet, das kann man, im
ganzen genommen, nicht sagen."

Anders Nygren-Laud beschäftigt sich (Kant und die
christliche Ethik) mit der Streitfrage, ob die Christ-