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Ausgabe:

1924 Nr. 21

Spalte:

474-476

Autor/Hrsg.:

Hermelink, Heinrich

Titel/Untertitel:

Katholizismus und Protestantismus in der Gegenwart, vornehmlich in Deutschland. 2., erw. Aufl 1924

Rezensent:

Fendt, Leonhard

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Theologische Literaturzeitung 1924 Nr. 21.

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immer noch bemerken, daß der heilige Bischof sie gerecht gefunden
habe'. Hier hört, wie bei ,dem inneren nimmer streitenden Gefühl'
in geschichtlichen Fragen (I, 54), allerdings alles Rechten auf, und
es ist eine Kleinigkeit, wenn I, 59 eine Aussage bei Innocenz [. auf
den .apostolischen Stuhl' bezogen wird, obwohl sie nach dem lateinischen
Text deutlich auf den Apostel (Petrus) geht, oder wenn I, 61
,im sechsten Jahrhundert der Papst Anastasius alle christlichen
Völker meine Völker und alle christlichen Kirchen Glieder meines
eigenen Leibes nannte', und dazu zitiert wird ,Epist. Anast. ad. Joh.
Hyeron. apud Constant. epist. decret. in fol. p. 739'. Gemeint ist hier
die .epistula Anastasii Romanac urhis episcopi ad Johannem episcopum
Hierosolimorum super nomine Rufini', die u. a. auch bei Coustant
epp. pont. Rom. p. 723 und neuestens bei Ed. Schwartz, Concil.
Ephes. vol. V, pars prior, fasc. 1. 1924 p. 3 sq. abgedruckt ist. Sie
stammt natürlich nicht aus dem sechsten Jahrhundert, sondern ausnahmsweise
mal aus einem Jahrhundert früher. Der Papst nennt
darin aber nicht ,alle christlichen Völker', sondern, wie aus dem
Briefe deutlich hervorgeht, nur die abendländisch-lateinischen Völker
,meos populos' und .partes corporis mei', und es ist gerade lehrreich,
wie dieser Papst an der Wende des 4. Jahrhunderts sich lediglich als
Patriarch des Abendlands fühlt und nur für dieses die Verantwortung
übernimmt. I, 63 A. 1 wird schlankweg behauptet, daß can. 28 von
Chalcedon wegen seiner Verwerfung durch Leo I. ,in keiner Sammlung
, selbst nicht den orientalischen', aufgenommen worden sei. Das
.Unrecht des hl. Cyprian', das Augustin ,frei gestehet' (I, 79), ist
nicht sein Veihalten gegenüber Papst Stephan, sondern lediglich sein
Irrtum über die Ketzertaufe. Das sind Dinge, die in einer neuen
Ausgabe hätten nachgeprüft und richtig gestellt werden müssen. Auch
die Liebersche Übersetzung hätte da und dort Änderungen ertragen.
So durfte nicht ein so unmöglicher Satz stehen bleiben wie I, 31 (bei
Lieber 1822. I, 10f.): ,Es ist unbegreiflich, wie so ausgezeichnete
Männer zwei so sehr verschiedene Begriffe, wie sie das Verteidigen
einer Lehre mit dem Glauben haben verwechseln können' (Im Französischen
I, 12: ,ont pu confondre deux idees aussi differentes que
Celles de croire et de soutenir un dogme'). 1,54 heißt es: ,die Apostel
der vierten Artikel', bei Lieber I, 40: ,die Apostel der IV. Artikel',
im Französischen I, 43: ,les apötres des IV articles' (gemeint sind
die vier gallikanischcn Artikel). 1, 178 müßte es statt ,den es langweilt
' heißen ,der es überdrüssig ist' (franz.: ,1'ignorant qui s'ennuie
de Petre'). Das deutsche .inzwischen' hat jetzt nur noch zeitliche,
nicht mehr gegensätzliche Bedeutung, wie es noch von Lieber gebraucht
ist (I, 239 und II, 157). II, 161 A. 4 haben sich in dem
griechischen Zitat aus Tatian die Druckfehler von de Maistre über
Lieber zur neuen Ausgabe forterhaltcn. II, 153 muß es in der Überschrift
heißen .Nationalvorurteilc' st. ,Nationalvorteile', I, 164 ,andere
christliche Nationen' st. .Rationen'.

Was Bernhart selber über de Maistre und sein
Papstwerk, dessen Haltung, Quellen und Wirkungen
schreibt, ist sehr anregend. (Seine Einflüsse in Deutschland
, namentlich auf Qörres, wären noch näher zu
untersuchen II, 298 u. 312). In geistreichen Ausführungen
und der ihm eigenen Sprache entwirft B. ein
Bild vom Lebensgang und von der geistigen Eigenart
des Savoyarden, der mit mannigfachen Irrtümern (Freimaurerei
, weiße Magie, Mystik Saint-Martins, Traditionalismus
de Bonaids) strengste kirchliche Gesinnung
verbindet und in einem unfehlbaren Papst den einzigen
Hort des Christentums sowie aller staatlichen und sittlichen
Ordnung erblickt. Ihm ist ,die Suprematie des
Papstes das Hauptdogma, ohne welches das Christentum
nicht bestehen kann' (II, 151. Hier hat sogar der
Übersetzer Lieber in einer Anmerkung den Zusatz ,inbe-
zug auf die Hierarchie' zu ,Hauptdogma' für angezeigt
erachtet). Und ,die Unfehlbarkeit in der geistlichen und
die Souveränität in der weltlichen Ordnung sind zwei
ganz gleichbedeutende Wörter' (I, 23). Das ist in der
Tat, wie Bernhart II, 300 bemerkt, ,ein geschichtsphilo-
sophischer Staatsstreich zur größeren Ehre der Tiara'.
Überhaupt sind ,theologische Wahrheiten nichts als allgemeine
Wahrheiten, geoffenbart und als göttliche anerkannt
in dem geistlichen Kreise, sodaß man keine
angreifen mag, ohne ein Weltgesetz anzugreifen' (I, 23).
,Gibt es für die Vernunft sowohl als für den Glauben
irgend etwas keinem Zweifel Unterworfenes, so ist es
das, daß die allgemeine Kirche eine Monarchie ist'
<I, 25). Mögen ,die Zweifel an der Tiefe und Wärme
seiner Frömmigkeit heute, da die Tagebücher und Briefe
(vor allem seit G. Goyaus Einblick) vertraulicher als
früher zu uns sprechen, als behoben gelten' (B. 11,224),
im Papstbuch und zumeist auch anderwärts zeigt er eine

durchaus unreligiöse Denkart, die selbst Glaubenswahrheiten
und religiöse Dinge in politische Formen preßt
und mit politischen Maßstäben mißt. I, 28 empfiehlt er
seine Anschauung deutlich genug auch dem Unglauben,
wie sie denn rasch genug auf die Schule des Grafen
Saint-Simon und später auf den Positivismus Comtes
gewirkt hat und heute noch in Frankreich — und anderwärts
! — in Kreisen nachwirkt, wo man ,katholisch,
ja päpstlich ohne Herrgott sein kann' (B. II, 300. 306.
309 f.). Nimmt man noch dazu seinen Haß gegen
Bibeln in der Volkssprache (II, 282), gegen den Protestantismus
(II, 279) und gegen Preußen (II, 263), dann
hat man so ziemlich alle Bestandteile des ,Ultramon-
tanismus' schon bei seinem ,Vater' beisammen. B. meint
allerdings, mit dieser spitzigen Aufschrift sei sein Bild
allzurasch für deutsche Augen abgetan (II, 222) und er
schreibt: ,Von Revolutionen erschütterte, unterwühlte
Zeiten vermögen in Anwälten des katholischen Universalismus
wie Maistre tieferes Streben und edlere Sorgen
aufzufinden als mit dem Anwurf Klerikalismus und
Ultramontanismus ausgesprochen ist' (II, 272). Allein
abstoßend wird sein Bild für einen religiös gestimmten
Deutschen ohne Unterschied des Glaubensbekenntnisses
stets bleiben. Das Anziehendste an ihm ist immer
noch seine Charakterfestigkeit und die Treue, mit der
er seinem König auch in den Tagen des Unglücks, und
da erst recht, auch ohne Anerkennung und Belohnung,
gedient hat. Aber gerade diese rühmenswerte Eigenschaft
ist nicht auf alle seine geistigen Nachfahren
übergegangen. Und in dem tatsächlichen Beweise dafür,
daß das unfehlbare Papsttum und seine Anhänger die
sichersten Stützen der staatlichen Ordnung seien, haben
wir in den Stürmen unserer Tage schmerzliche Lücken
entdecken müssen.
München. Hugo Koch.

Hermelink, Prof. D. Dr. Heinrich: Katholizismus und Protestantismus
in der Gegenwart, vornehmlich in Deutschland.

2., erw. Aufl. Gotha: F. A. Perthes 1924. (IV, 144 S.) 8°. =
Bücherei der Christlichen Welt 2. Gm. 2.50.

Hermelink setzt sich zur Aufgabe, das veränderte
Bild des Katholizismus darzustellen; auf diese Weise
will er einmal zur Klarheit über die praktischen Aufgaben
der interkonfessionellen Haltung kommen, sodann
aber auch zu neuen Fragestellungen über die
Wesensbestimmung des Protestantismus.

Das veränderte Bild des Katholizismus gewinnt H.
aus 6 Tatsachenreihen, die gegen früher neu sind, und
aus der Schilderung der äußeren Lage in den verschiedenen
Ländern. Die 6 Tatsachenreihen sind diese: 1)
Der „monastische Frühling": die Benediktiner, Zisterzienser
, Trappisten, Prämonstratenser, Karmeliter, Jesuiten
besetzen teils bisher säkularisierte Klöster wieder
, teils gründen sie neue Niederlassungen; die Dominikaner
treten mehr zurück. Neue Orden sind in Deutschland
nicht zu verzeichnen, außer den Canisius-Schwe-
stern, die als Druckerinnen, Setzerinnen, Buchbinderinnen
für eine billige katholische Presse sorgen. 2) Die
katholische Jugendbewegung: der Quickborn; der Verband
kath. Jugend- und Jungmänner-Vereine, eingegliedert
in die Weltkongregation kath. Jungmänner; nicht
mehr die alte Kongregationsform, nicht mehr der Gesellenverein
ist vorbildlich, sondern man hält auf Selbstverwaltung
und direkt religiöse, speziell eucharistische
Abzweckung. 3) Der eucharistisch-liturgische „Frühling
": die einst schwer getadelte Kinderkommunion
ist heute in Ehren; Quickborn und Jungmännerverein
sind eucharistisch orientiert, die eucharistischen Kongresse
Weltangelegenheit. Die liturgische Bewegung
will für Mönche und Intellektuelle Leben im Lichte und
den Kräften der Liturgie, die sie darum durch archaistische
Einschöbe zu verbessern sucht; für das Volk Erneuerung
des Mysterien-Charakters der Messe (Benediktiner
) gegenüber dem am ausschließlichen Opfergedanken
erwachsenen individuellen Beten (Jesuiten). 4)
Der Katholizismus, insbesonders in Deutschland, in die