Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1924

Spalte:

469-470

Autor/Hrsg.:

Grabmann, Martin

Titel/Untertitel:

Hilfsmittel des Thomasstusiums aus alter Zeit 1924

Rezensent:

Scheel, Otto

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

4i)!>

Theologische Literaturzeitung 1924 Nr. 21.

470

Augustinismus treu geblieben ist, so hat er doch mit
den Augustinern des 13. Jahrhunderts von Aristoteles
gelernt. Die Eigenart der aristotelischen Erkenntnislehre
ist ihm freilich verborg-en geblieben, und schließlich
hat er Aristoteles zur Bekräftigung eines Systems
eingeführt, das Aristoteles stets bekämpft hat. Bonaventura
ist keinen Schritt weiter gegangen als sein
Lehrer Alexander von Haies. Unter dem Einfluß der
arabischen Philosophie wurde Augustin teilweise verlassen
. Augustin hatte die Aktivität des menschlichen
Verstandes ausnahmslos festgehalten. Bonaventura dagegen
läßt im Anschluß an Aristoteles die Sinne passiver
Natur sein. Denn sie werden von außen her „ak-
tuiert". Das gilt darum auch von der ratio inferior.
Sie ist von Haus her ein unbeschriebenes Blatt und
muß von außen her vermittelst der äußeren Sinneseindrücke
und der abstractio quididativa des intellectus
agens aktuiert werden. Bonaventura vermag aber nicht
wie Thomas den aristotelischen Satz vom intellectus
agens bis zur letzten Konsequenz durchzuführen. Er
kennt darum auch nicht wie Thomas nur eine Quelle
für die Erkenntnistätigkeit des menschlichen Verstandes,
kann nicht wie Thomas das ganze menschliche Wissen
allein aus der Erfahrung der äußeren und inneren
Sinne ableiten, die den Stoff für alle Verstandeserkenntnis
bieten. Vielmehr überträgt er, was Augustin dem
Verstände als solchem und selbst den Sinnen zuschrieb,
auf die ratio superior. Der Mensch wird zwar unwissend
geboren. Aber nicht alles, was er weiß, erwirbt
er unmittelbar oder mittelbar durch die Sinne vermittelst
der abstractio quididativa. Nur die ausgedehnte
Körperwelt erkennt er auf diese Weise, nicht jedoch
das Geistige. Denn dies ist nicht im Körperlichen enthalten
, kann darum nicht aus ihm ausgestrahlt werden.
Wenn die höhere Vernunft ihre Erkenntnisse genau
durchforscht, so entdeckt sie in sich die absolute Wahrheitssicherheit
. Diese gewinnt sie nicht aus sich selbst.
Denn sie besitzt nicht die Unveränderlichkeit. Sie wird
sich darum bewußt, daß diese Wahrheitssicherheit nur
von dem stammt, der allein die Unveränderlichkeit hat.
Sie wurzelt in einer besonderen Einstrahlung Gottes.
Somit vertritt Bonaventura nachdrücklich den Illuminationismus
, dem Thomas zwar in seinem Sentenzenkommentar
etwas Zuneigung bezeugt hatte, den er
aber in seinen späteren Werken mit Hilfe des inneren
intellectus agens als einer zureichenden Kraft vollständig
überwunden hatte. Indem sich Bonaventura zwar
nicht, wie man gemeint hat, zum Ontologismus bekennt
— denn die Ideen werden nicht in Gott selbst
geschaut, Gott verleiht vielmehr durch besondere Einstrahlung
die allgemeine Wahrheitssicherheit — wohl
aber entschlossen den Illuminationismus vertritt, wird
der Gegensatz zur thomistischen Erkenntnislehre vollständig
. Bonaventura nimmt darum zwei Quellen der
Erkenntnis an und teilt die menschliche Erkenntnis in
zwei verschiedene, getrennte Bezirke. Die Erkcnntnis-
lehre der niederen Vernunft behandelt die stoffliche
Außenwelt, während die Erkenntnislehre der höheren
Vernunft das Geistige zum Gegenstand hat. Die Einzelheiten
dieser reichlich ausführlichen — 306 S. —
aber ersten monographisch vollständigen Darstellung
der Erkenntnislehre Bonaventuras brauchen hier nicht
skizziert zu werden. Wohl aber dürfte dem Verlag nahe
gelegt werden, einem Bande wie diesem eine bessere
Ausstattung zu geben. Ist es wirklich nötig, daß der
Käufer für sein gutes Geld ein Exemplar erhält, das
sofort auseinander bricht, wenn er es aufschlägt?
Kiel. Otto Scheel.

Grabmann, Prof. Dr. M.: Hilfsmittel des Thomasstudiums
aus alter Zeit. (Abbreviationes Concordantiae, Tabulae). Auf
Grund handschriftl. Forschungen dargestellt. Sonderabdruck aus:
Divus Thomas, III. Serie, 1. Jahrg. Freiburg, Schweiz: St. Paulus-
Druckerei 1923. (67 S.) gr. 8°.

Grabmanns neue Arbeit, ein wertvoller Ertrag seiner
unermüdlichen handschriftlichen Forschungen, vermehrt

nicht nur das uns bisher bekannte Material beträchtlich,
sondern vermittelt auch einen guten Einblick in die
älteste Thomistenschule und die schulmäßige Bearbeitung
der thomistischen Schriften. Denn diese „Hilfsmittel
des Thomasstudiums" sind nicht private Liebhabereien
, sondern erwachsen aus dem Bedürfnis des
theologischen Unterrichts. Sie gehören darum zur Organisation
des Studiums, gehen zum Teil auf einen
höheren Auftrag zurück und lassen uns erkennen, wie
die das Thomasstudium fordernde Ordensgesetzgebung
ausgeführt wurde. Das verleiht dem Material auch dort,
wo es trocken und nüchtern ist, einen historischen Reiz.
Und will man sich überzeugen, mit welcher Gründlichkeit
insonderheit die jungen Theologen in die Gedanken
Th.'s eingeführt wurden und mit welcher Gewissenhaftigkeit
man versuchte, die Schriften des Aqui-
naten beherrschen zu lernen, so kann man an diesen
„Hilfsmitteln" nicht vorbeigehen. Fast ganz im Dienst
der unterrichtlichen Aufgabe haben die Exzerpte gestanden
, die nicht das Studium der Originalwerke ersetzen,
sondern erleichtern sollten. Dies bisher nicht untersuchte
und gesichtete Material führt Grabmann unter
dem Titel der Abbreviationes vor. Große zusammenhängende
Texte wurden aus den Schriften Th.'s herausgenommen
, auch in der Weise, daß für eine bestimmte
Frage Texte aus allen Werken Th.'s zusammen gestellt
wurden. Wichtiger als die Literaturform der Exzerpte
sind die Abbreviationen, welche die Gedanken und Beweisgänge
thomistischer Hauptwerke kurz und klar skizzierten
. Unter ihnen befindet sich auch eine griechische
btXoyr des konstantinopolitanischen Patriarchen Genna-
dios II. Eingehend wird die abbreviatio des Johannes
Dominici behandelt, die Gr. jetzt vollständig nachweisen
kann. Auch neue Mitteilungen über den Verfasser
kann er machen. In den Abbreviationen und Kompendien
hat sich die wissenschaftliche Initiative zum
Teil recht stark entfalten können, wie am Kompendium
Heinrichs von Gorkum nachgewiesen wird. Hier wird
die Abbreviation zu einem gedrängten Kommentar und
einer vorzüglichen Einführung in die theologische Summe
. Die wachsende bevorzugte Stellung der Summe
erkennt man an der Tatsache, daß die Abbreviationen
sich allmählich auf die theologische Summe beschränken
. Die Konkordanzen, die schon Mandonnet eingehend
untersucht hatte, über dessen Untersuchungen
hinaus aber Gr. Ergänzungen und Korrekturen bringt,
wollen hauptsächlich die Differenzen zwischen dem Sentenzenwerk
und der Summe ausgleichen. Sie sind das Ergebnis
eines umfangreichen vergleichenden Thomasstudiums
und besonders wertvoll, weil sie fast mechanisch getreu
die Differenzen zusammenstellen, die den Verfassern
im Wortlaut der thomistischen Schriften aufgefallen waren
. Die Tabulae sind alphabetische Thomaslexika, alphabetisch
geordnete Register zu den Werken Thomas'. Auch
hier hat Gr. das Material vermehrt. In den Schulen des
Ordens waren die Tabulae ein sehr willkommenes Hilfsmittel
des Unterrichts. In einem Nachtrag befaßt sich
Gr. mit der Annahme Pelsters, daß Thomas noch in
seinen letzten Lebensjahren eine eigene Konkordanz
zu seinen Schriften verfaßt habe: De concordantia dic-
torum Thomae, mit dem Incipit „Pertransibunt plurimi".
Grabmann kann Pelster nicht beipflichten, wie ich meine,
mit guten Gründen. Auch Mandonnet hat Pelsters Annahme
abgelehnt.

Kiel. Otto Scheel.

The Church Quarterly Review. Vol XCv,~XCVII Okt. 1922
bis Januar 1924. (= Nr. 189, 190; 191, 192; 193, 194.)
Ich berichtete über diese gediegene englische, von „Members of
the Faculty of Theology, King's College. London" herausgegebene
Zeitschrift erstmals hier 1922, Nr. 21 (Okt.). Die neueren drei Bände
sind so inhaltreich und ansprechend wie die früheren. Die „Review"
will nach diesem ihrem Namen beurteilt sein, sie bringt in der
Hauptsache Aufsätze im Anschluß an irgendwelche neueren
literarischen Erscheinungen, oder aber „Übersichten" über irgend ein
kirchliches Lebensgebiet. Von letzterer Art, zugleich eine Probe der