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Ausgabe:

1924 Nr. 21

Spalte:

467

Autor/Hrsg.:

Minges, Parthenius

Titel/Untertitel:

Über Väterzitate bei den Scholastikern 1924

Rezensent:

Scheel, Otto

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4G7

Theologische Literaturzeitung 1924 Nr. 21.

408

ist, und dann dieselben nach der Reihenfolge der biblischen
Bücher geordnet. Irgend eine Art von biblischem
Kommentar ist doch dadurch nicht entstanden,
und die Äußerungen haben als wissenschaftliche Bibelerklärung
überhaupt keine Bedeutung; denn ein eigentliches
wissenschaftliches Studium der Heiligen Schrift
hat Kierkegaard immer mit großer Skepsis oder gar
mit Widerwillen betrachtet; und bei ihm kann es sich
deshalb nur um Anknüpfung eigener Oedanken an
Bibelworte handeln. Aber von solchen Äußerungen gibt
es in den „Nachgelassenen Papieren" eine große
Menge; Kierkegaard las jeden Tag einige Kapitel der
Heiligen Schrift, und die Gedanken, die dadurch und
durch Nachsinnen über die Sonntagsperikopen bei ihm
ausgelöst worden sind, hat er sofort auf Papier hingeworfen
. Einige seiner Notizen zielen direkt auf die
Verwendung eines Bibelwortes für die Predigt, und die
hier aufgebrachte Sammlung wird vielleicht auch homiletischen
Zwecken dienen können. Ihr Hauptinteresse
hat sie doch als Hilfsmittel, Sören Kierkegaard selbst
näher kennen zu lernen, besonders für diejenigen Leser
geeignet, welche die großen Ausgaben der „Nachgelassenen
Papiere" nicht erschwingen können. Sie ist
auch durchaus populär angelegt: die ursprüngliche
Orthographie ist modernisiert, die Kierkegaard-Zitate
sind in der Regel in einen erklärenden Rahmen eingefaßt
, ja bisweilen werden nur einige charakteristische
Sätze verbotenus wiedergegeben, und der Zusammenhang
dann in Kürze erwähnt; störend wirkt die Kritik
und Versuche einer Schätzung der Kierkegaardschen
Gedanken, die der Herausgeber auch dann und wann
beigefügt hat; übrigens findet sich am Schluß des
Buches angegeben, woher die verschiedenen Äußerungen
genommen sind, so daß seine Quellenbenutzung sich
verhältnismäßig leicht kontrollieren läßt. Als Ganzes
gibt das Werk einen starken Eindruck von der Bedeutung
, die Bibellesen und biblische Gedanken für
Sören Kierkegaard gehabt haben, und dieser Eindruck
wird durch ein als Anhang beigefügtes Verzeichnis
seiner sämtlichen „Erbaulichen Schriften" mit Angabe
der Bibelworte und biblischen Motiven, worüber sie
gestaltet sind, außerdem erheblich vermehrt.

Kopenhagen. Holger Mosbech.

Minges, P. Parthenius, O. F. M.: Über Väterzitate bei den
Scholastikern. Regensburg: J. Kösel & Fr. Pustet 1923. (19 S.)
8°. Gm. —30.

Minges hat bei seinen Studien, namentlich bei denjenigen über
Alexander von Haies und bei der beabsichtigten Herausgabe der noch
ungedruckten Metaphysik des Franziskaners Thomas von York ungezählte
Male die großen, jedermann bekannten Schwierigkeiten der
Verifizierung der Väterzitate empfunden. Zur Erleichterung der
Arbeit machte er sich manche Notizen über falsche und ungenaue
Zitate bei den Scholastikern. Die Notizen sind unvollständig, da
Minges nicht einmal alles, was er selbst fand, aufnotierte, ganz zu
schweigen von zahlreichen anderen Namen und Schriften, die er nicht
kontrollieren mußte (S. 4). Er will aber doch seine Notizen veröffentlichen
. Er selbst wäre sehr dankbar gewesen, wenn er von Anfang
an eine ähnliche Zusammenstellung, wie er sie jetzt vorlegt, gehabt
hätte. Vorgelegt werden falsche Zitate aus Augustin, Ambrosius,
Hieronymus, Gregor, glossa, Isidorus, Boethius, Bernhard, Hugo
von St. Victor, Innozenz III, Origenes, Gregor von Nazianz, Areo-
pagita, Johannes von Damaskus. Einige anonyme Autoren werden
identifiziert.

Kiel. Otto Scheel.

Schneider, Artur: Die Erkenntnislehre des Johannes Eriugena

im Rahmen ihrer metaphysischen und anthropologischen Voraussetzungen
, nach den Quellen dargestellt. II. Teil. Berlin: W. de
Gruyter & Co. 1923. (VIII, S. 69—128) 4°. = Schriften d. Straßb.
wissenschaftl. Gesellschaft in Heidelberg. N. F. H.7. Gm. 1.20.

Schneiders Arbeit bestätigt das herrschende Urteil
über Eriugena, betont aber vorhandene Unstimmigkeiten
nachdrücklich, weist auf empirische Bestandteile
hin, zeichnet anschaulich die starke Gegensätzlichkeit
in der Auffassung vom Ursprung der Erkenntnis und
lenkt die Aufmerksamkeit auf das Hervorbrechen der
kritischen Frage nach der Geltung der Erkenntnis. Der

extreme Realismus gibt dem Philosophieren Eriuge-
nas die charakteristische Note und seiner Weltanschauung
die historische Stellung. Der Kraft des Denkens
wird größtes Vertrauen entgegengebracht, sowohl dem
sich dialektisch betätigenden Denken der ratio wie dem
rein spekulativ und intuitiv vorgehenden Denken des
intellectus. Die Vernunft ist jeder Autorität überlegen
und hat das höchste Richteramt. „Darin kommt des
Philosophen eigentliche Denkrichtung zum Ausdruck."
Theologie und Philosophie sind nicht zwei verschiedene
Disziplinen, von denen die eine aus der Offenbarung
, die andere aus der vernünftigen Einsicht schöpft.
Der spekulative Philosoph ist der wahre Theolog. Dieser
Rationalismus kann freilich eine mystische Färbung
I erhalten, sofern der von Gott erleuchtete Verstand die
I Erkenntnis bringt. Die Frage nach dem Ursprung der
Erkenntnis hat aber Eriugena nicht einheitlich beantwortet
. Hier werden zwei entgegengesetzte Auffassungen
vorgetragen. Die Seele wird als eine unbeschriebene
Tafel angesehen, aber auch mit einem angebotenen Besitz
von Begriffen ausgestattet. Eriugena kann darum
einen empirisch bedingten, von unten nach oben verlaufenden
Erkenntnisprozeß annehmen und einen anderen
, der mit der Erkenntnis des Intelligiblen beginnt
und mit der des sinnenfällig Gegebenen abschließt.
Offenbar soll der Geist auf beiden Wegen zur gleichen
Wahrheit, zu Systemen symmetrischen Inhalts" gelangen
können. Die Durchführung dieser Gedanken leidet
aber an großen Unklarheiten. Und wenn auch Eriugena
dort, wo er die Seele als eine noch zu beschreibende
leere Fläche ansieht, von einer Entstehung der Begriffe
auf induktiv abstraktiver Grundlage reden kann,
so ist er dennoch von der Denkweise der Peripatetik
weit entfernt. Denn neben der von der sinnlichen Anschauung
ausgehenden Wissensentwicklung nimmt er
noch eine apriorisch intuitiv vorgehende an. Und in den
Ausführungen, welche die angeborenen Begriffe zur
Voraussetzung haben, ist der Rationalismus gradezu in
Reinkultur vorhanden. Jede innere Bedeutung der Sinneswahrnehmung
für die Entstehung der Begriffe wird hier
energisch abgelehnt. Die empirischen Bestandteile sind
darum nicht bezeichnend für die Philosophie des Eriugena
. In der kritischen Prüfung der Erkenntnisinhalte
unterscheidet sich Eriugena stark von seinen Vorgängern
und Nachfolgern. Die Frage, ob unser Erkennen
die Gegenstände so wiedergibt, wie sie unabhängig
vom Bewußtsein bestehen, oder ob unsere Erkenntnisinhalte
subjektive Züge enthalten, war vor ihm in der
frühmittelalterlichen Scholastik nicht erörtert. Bei Eriugena
tritt aber die Tendenz zu kritischer Untersuchung
der Geltung der Erkenntnis so energisch auf, daß sie
den Charakter des Systems wesentlich mitbestimmt.
Kiel. Otto Scheel.

Luyckx, Prof. Dr. P. Bonifaz Anton, O. P.: Die Erkenntnislehre
Bonaventuras. Nach den Quellen dargestellt. Münster i. W. :
Aschendorffsche Verlagsbchh. 1923. (XXIV, 306 S.) gr. 8. = Beiträge
z. Geschichte d. Philosophie d. Mittelalters. Hrsg. v. Clemens
Baeumker XXIII, 3—4. Gm. 10.40.

Die Untersuchung ist dem heiligen Thomas gewidmet
. Der Standort der Beurteilung und geschichtlichen
Einordnung wie der ganzen philosophiegeschicht-
lichen Linienführung ist der Thomismus. Nur Thomas
hat das erkenntnistheoretische Problem restlos gelöst
(138). Es gibt nur drei Philosophien: den Idealismus,
Realismus und Aristotelismus. Kant hat vergeblich versucht
, die unmögliche Synthese von Empirismus und
Idealismus herzustellen. Seine Philosophie ist überhaupt
im wesentlichen nichts mehr als eine formale
Logik. Lediglich Thomas hat die einzig mögliche Synthese
zwischen Idealismus und Empirismus gefunden,
Jahrhunderte vor Kant, der über den Idealismus nicht
hinauskam. Darum steht, so dürfen wir wohl im Sinne
des Verfassers schließen, auch die Philosophie Bonaventuras
höher als die Kants, denn wenn Bonaven-
ventura auch weit hinter Thomas zurückbleibt und dem