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Ausgabe:

1924 Nr. 21

Spalte:

464

Autor/Hrsg.:

Walleser, Max

Titel/Untertitel:

Sprache und Heimat des Pali-Kanons 1924

Rezensent:

Franke, R. Otto

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463

Theologische Literaturzeitung 1924 Nr. 21.

464

drängt wird, die Feststellung umgehen, daß H. sich
einer Selbsttäuschung hingegeben hat, die angesichts
der Versprechungen des Vorworts ein wenig peinlich
wirkt. H. hat den versprochenen Beweis nicht geführt.
Die dürftigen paar Stellen aus Rgv. und Avesta sind
nichtssagend oder haben anderen Sinn, als H. glaubt.
Und H. hätte sich nicht verhehlen dürfen, daß, um so
sonderbare Auffassungen von Himmel, Sonne, Mond
und Sternen zu erweisen, ein Beweismaterial von klarster
Evidenz und größter Reichlichkeit nötig gewesen
wäre. Wenn in Rgv. VII, 88, 5 des universalen Gottes
Varuna Palast „tausendtorig" heißt, müssen dann mit
den tausend Toren wirklich die Sterne gemeint sein?
(12; 35; 49). Es ist vielmehr seine Größe, sein Wirken
nach allen Seiten, seine Allgegenwart und ähnliches
damit angedeutet, dhl („Andacht" etc.) in Rgv.
VIII, 63, 1 soll „Flammen" (des Tores) bedeuten! Die
Stelle ist dunkel, das gibt doch aber nicht das Recht,
solche Dunkelheit zugunsten so gewagter Auffassungen
auszunutzen! Wenn in Rgv. V, 56, 4 gemeint wäre, daß
die Maruts, die Sturmgötter, das Himmelsgewölbe ziehen
und so weiterbewegen (42, und nicht vielmehr, daß
sie in ihrem rasenden Laufe Felsen und Bergspitzen mit
sich reißen), dann wäre ihre Vergleichung mit schlecht-
gejochten Stieren (über die darum der Lenker die Gewalt
verloren hat, oder meinetwegen auch, die durch den
Druck des Joches wild gemacht sind) gar nicht am
Platze. Die Stellen, die davon sprechen, daß die Seele
des Toten die Sonne oder den Mond durchbrechend in
die noch höhere Stätte der Seligkeit eingeht (45 f.),
fußen auf der Anschauung, daß auch die Himmelskörper
Hingangsstätten der Seelen sind, über die man
aber hinausgelangen kann, gewissermaßen die gewöhnliche
Grenze, Sonne und Mond, noch durchbrechend.
Das Verbum „durchbrechen" (bhid) beweist ja, daß
nicht an Tore gedacht war, sondern gerade an das
Gegenteil. In Mund. Up. I, 2, 11 freilich steht wirklich
einmal sOryadvärena „durch das Tor der
Sonne", was doch aber nur für den betreffenden Gedankenzusammenhang
und nicht etwa gemeinhin gemeint
ist. Mit anderen Worten: die Sonne ist nicht in
Beziehung zum Himmel Tor, sondern zu den Erlösten,
avarodhanam in Rgv. IX, 113,8 bedeutet da nicht
„Verschluß (des Lichthimmels)", sondern „abgesonderte
Stätte, das Innerste", wofür ja auch das Wort ava-
r o d h a = Päli, orodha „Harem" spricht. In den
Stellen, in denen die Morgenröte oder das (vor Sonnenaufgang
angezündete) Opferfeuer in bildlich zu nehmender
Weise das Tor oder das Tor des Dunkels aufschließt
oder den zum Opfer kommenden Göttern das Tor öffnet
(47 ff.; 57 ff.), sind natürlich ebenfalls weit davon
entfernt, zu beweisen, daß die Sonne als Tor gedacht
worden wäre. Die Stelle Rgv. X, 98, 1: „Brhaspati,
...., ob du nun Mitra, Varuna oder Püsan bist..., als
solcher laß den Parjanya .. regnen" (natürlich ein Ausdruck
für den großen Gedanken der Götter-Einheit)
will mit den Worten „als solcher" sagen: „Welcher
spezielle Göttername für dich, den einzigen Gott, auch
immer der rechte sein mag, höre, wenn du als der Betreffende
angerufen wirst, und laß regnen", nicht aber:
„in deiner Eigenschaft als Herr des Feuerhimmels"
(49). Daß der Name Brhaspati „Herr des Feuerhimmels
" bedeute, ist überdies wohl keine glückliche Annahme
. Es ist zu verstehen und durchaus zu begrüßen,
daß H. nicht mehr als bloßer Pancatantra-Spezialist
„verschrien" sein will, was er früher „in den Kauf genommen
" habe (II QF. III, 6), und auch anderen Gebieten
der Indologie seine textkritischen Fähigkeiten
zugute kommen lassen möchte. Rgveda ist aber schließlich
nicht Pancatantra. Wer dem trotz allen Schuttes
doch noch spürbaren hohen Geistesschwunge des Rgv.
gerecht werden will, der muß, um mit Kant zu reden,
ein philosophisches Auge mitbringen.

Königsberg i.Pr. R. Otto Franke.

Walleser, Max: Sprache und Heimat des Pali-Kanons. Heidelberg
1924. In Komm, bei O. Harrassowitz, Leipzig. (24 S.) gr.8°.
= Materialien zur Kunde des Buddhismus, 4. Heft.
W. wird Schwierigkeiten haben, allseitige Billigung
für das zu finden, was er in diesem Heftchen nachweisen
will: daß die Bezeichnung der alten Text-
Schicht des südbuddhistischen Kanons als „Päli" nicht
von päli „Reihe" (mag es damit nun stehen wie es
will), sondern von pätali, dem ersten Bestandteil des
Stadtnamens Pätaliputra herzuleiten sei und daß
darauf auch der Terminus für Abkürzungen wiederholter
Textstücke p e y y ä 1 a m und die Bez. für Textstücke
pariyäya (im Rhabraedikt paliyäya) zurückginge
. Schon die Menge von Vermutungen, auf
die er seine Beweisführung aufbaut, würde einer solchen
Erklärung die Verläßlichkeit nehmen. Was meint
W. außerdem (S. 11 f.) damit, daß in der Stadt Pätaliputra
„die Bhikkhu (Mönche) bald nach dem Tode
des Buddha sich vereinigten", und daß sie „für lange

Zeit der Mittelpunkt des buddhistischen Lebens____

werden sollte"? Denkt er an das 3. buddhistische
Konzil? Das soll doch aber erst mehr als 200 Jahre
nach Buddhas Tode stattgefunden haben; oder hat er
Räjagaha, wo das 1. Konzil abgehalten worden sein
soll, die alte Hauptstadt, mit der neuen, P., verwechselt
? Auch seine Ansicht, daß die „Sprache" „der
östlichen Asokainschriften" „dem Päli außerordentlich
nahe steht", ist ein Irrtum (Vgl. mein Buch „Päli und
Sanskrit auf Grund der Inschriften und Münzen" S.
132 f.). Epigraphische Beweisführungen sind für die
indische Sprachgeschichte die zuverlässigsten, und Ergebnisse
daraus werden nicht durch Vermutungen aus
der Welt geschafft. Mit einigen anderen Thesen steht
es ebenso. W.'s Arbeitseifer und Sachinteresse erkenne
ich selbstverständlich gerne an.

Königsberg i.Pr. R. Otto Franke.

Rosenberg, Prof. Dr. Otto f: Die Weltanschauung des modernen
Buddhismus im fernen Osten. Aus dem Russischen
übers, von Dr. Ph. Schaeffer. Mit einer biograph. Skizze von
Prof. Th. Stcherbatsky. Heidelberg 1924. In Komm, bei O. Harrassowitz
, Leipzig. (47 S.) gr. 8°. = Materialien zur Kunde des
Buddhismus, 6. Heft. Om. 2—.

Was der leider viel zu früh dem Schaffen entrissene
Verf. über den neueren Buddhismus Ostasiens, also
namentlich (23 ff.) über die drei buddhistischen Hauptsekten
Japans (Singon, Zen und Jedo) und deren
Buddhismus sagt, ist ganz dankenswert. Mit mehr
Vorsicht sind seine vorausgeschickten Darlegungen über
den Sinn des alten Buddhismus aufzunehmen. Es handelt
sich in der Kausalitätsreihe nicht um drei aufeinander
folgende Existenzen (17ff.), avidyä ist nicht
„Unwissenheit" (19), sondern „Nichtwissen", sam-
skära nicht „das Geschaffene" (17) oder „das Begehen
der Handlungen" (19), sondern etwa „Vorstellungen
" oder „Gedankengebilde", trsnä nicht „Geschlechtstrieb
" (18), sondern „Sucht '(' nach Sein)",
u p ä d ä n a nicht „Streben nach einem Ziel", sondern
„Erfassen" (der Erscheinungen), bhava nicht „Periode
des vollen Lebens" (18), sondern einfach „Existenz",
Nirväna nicht ein „Überdasein" (22), überhaupt kein
Sein und auch kein Nichtsein, sondern Aufhören der
Idee sowohl von Sein wie Nichtsein und Aufhören von
Begehren und Abneigung. Das Rad-Symbol deutet auch
nicht darauf hin, daß „die Lehre Buddhas das Dunkel
zerstreut", „wie ein auf dem Wege rollendes Rad die
Steine zertrümmert" (34), sondern ist ein altererbtes
Symbol der Universalität. — Stcherbatskys biographischer
Skizze entnehmen wir Nachrichten über wichtige
hinterlassene japanisch- und chinesisch-buddhistische Arbeiten
Rosenbergs.

Königsberg i. Pr. R. Otto Franke.