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Ausgabe: | 1924 Nr. 20 |
Spalte: | 452-453 |
Autor/Hrsg.: | Ellwood, Charles A. |
Titel/Untertitel: | Zur Erneuerung der Religion 1924 |
Rezensent: | Thimme, Wilhelm |
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Theologische Literaturzeitung 1924 Nr. 20.
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im Gerechtfertigten die Sünde irgendwie weiter alles Menschenwerk
mittut, so daß Luther die Vollendung der novitas erst dem Reiche
Gottes zutraut. Die „lutherische Schule" unterschied sich von der
„thomistischen Schule" (katholisch gesprochen) darin, daß erstere
dynamisch dachte, wo letztere statisch dachte, also erstere religiös,
wo letztere zugleich philosophisch blieb — und so unterscheidet sich
nun auch ihre Bibelauslegung, auch die von Ps. 32 (31 Vulg.). —
Die Auffassung von Ps. 87 (86 Vulg.) ist nicht mehr haltbar, seit
Wutz ihn als Hochgesang der Jerusalemiten wieder hergestellt hat
(vgl. Walde, Hochland, August 1924). An diesem Psalme wird einem
klar, daß auch ein praktischer Brevierkommentar unumgänglich eine
aus dem Hebräischen gemachte Übersetzung der Psalmen im Anhang
enthalten muß, nicht nur der wissenschaftlichen Zuverlässigkeit, sondern
auch der Beter halber. — Bei den Fluchpsalmen genügt zahlreichen
Betern die distinctio des Thomas v. Aquin nicht mehr. —
II 83 Gaude Maria virgo, cunctas haereses sola interemisti in universo
mundo entspricht weder den Tatsachen noch der kath. Dogmatik. —
In der Hagiologie müßte stets soviel gesagt sein, daß auch der nicht
an Bibliotheken angeschlossene Leser in der Lage wäre die Zuverlässigkeit
der Vita zu durchschauen. — Das Officium defunctorum
im Ganzen und die Job-Lesungen im Besonderen bedürfen eines viel
eingehenderen Kommentars. — Deresers deutsches Brevier ist schon
vielen zum Segen geworden; seine Prinzipien sind besser als die des
römischen Breviers, das allzuviel Willkürlichkeiten und Zufällen preisgegeben
war. — Paul von Samosata hat sich nicht „des Liedes zur
Verbreitung häretischer Ideen bedient", vielmehr die „origenistischen"
Lieder, in denen schon der Präexistente „Sohn Gottes" genannt war,
nicht im Gottesdienste zugelassen (vgl. jetzt Loofs, Paulus v. Samosata
, 1924).
Das römische Brevier könnte vielen vieles sein,
wenn a) die Jesu Wort Mt. 6,7ff. widersprechende
juristische Pflicht in eine Empfehlung und dringende
Bitte es zu beten gewandelt würde; b) die Kirchenväter
-Lesungen aus den besten und religiösesten Väterschriften
entnommen würden (Augustins Konfessionen!);
c) alle nicht zum Beten geeigneten Psalmen weggelassen
würden; d) nichts Unwahres und Halbwahres,
nicht einmal in der Häresiologie, geduldet würde; e) nur
dem Evangelium Jesu Entsprechendes vorkäme.
Magdeburg. Leonhard Fendt.
Charles, Prof. Pierre S. J.: La Robe sans Couture. Un essai
de Lutheranisme catholique. La Haute Eglise Allemande 1918—1923.
Museum Lessianum — Section Theologique. Brügge; Charles
Beyaert, Ed. Pont. 1923. (XII, 187 S.) 8°. belg. Fr. 8—,
Joh. 19,23 („Der Rock aber war ungenäht"), gedeutet auf die
unzerreißbare Einheit der Kirche, gibt dem in der Sammlung der
Löwener Jesuitenväter erschienenen Buch Titel und Gepräge. In
2 Kapiteln wird „der Hochkirche" an Hand ihrer Selbstkennzeichnungen
— I. „Nous sommes catholiques", (1—46); II. „Nous sommes
lutheriens" (47—84), meist in Aufsätzen ihrer Zeitschrift, deren
erste Hefte dem Verf. trotz seiner Bemühungen auf Bibliotheken unerreichbar
blieben (VII) — nachgegangen, stets mit eingeflochtenem
eignem Raisonnement; 2 weitere suchen selbst zu erheben, was diese
Ausdrücke bedeuten, III. Qu'est-ce qu'un lutherien? (83—124) und
IV. Qu'est-ce qu'un catholique? (125—161); den Schluß bildet die Prognose
: V. L'Avenir de la Haute Eglise allemande (162—184).
I sucht die Vorläufer der Bewegung in der Erweckung vor
100 Jahren, spricht von Claus Harms' Initiative, nennt Vilmar, Klie-
foth, Löhe, und schaut so Antirationalismus und Hinwendung zu
„katholischem" Wesen stark in eins. Die Beschäftigung mit einer so
kleinen und neuen Bewegung wie der HK wird durch die bescheidnen
Anfänge des Oxford Movement gerechtfertigt. II lobt die Einschränkung
auf die brauchbareren konservativeren Äußerungen Luthers,
gibt dabei zu bedenken, ob man damit nicht das Recht verliere, sich
nach ihm zu nennen, und sucht ein einzig auf dem Römerbrief aufgebautes
Christentum als unvollständig, ungehörig auf das Seligkeit
suchende Subjekt eingestellt, die Kirche der Versprechungen, des Endtriumphs
und der Apocatastasis, wie sie Irenaus beschreibe, und wie
sie einzig die Kirche von heute erkläre (83), wie die Bedeutung der
Ostertatsache zu Ungebühr verkürzend zu erweisen. „Versucht doch,
Rom. 8, 22 zu verstehen, wenn die ganze übernatürliche Welt im subjektiven
Glauben der Gläubigen beschlossen ist."
III ist dem Nachweis gewidmet, daß Luther zu wenig eine
Lehreinheit darstelle, als daß man sich nach ihm sinnvoll benennen
könne; eine autoritative Darlegung wie die W. Hermannsche Dogmatik
in Hinnebergs Sammelwerk, zusammengenommen mit Äußerungen aus
Harnacks Wesen des Christentums, zeige, daß jeglicher Glaubenskern
sich verflüchtigt habe. „La reduetion protestante est une destruetion"
(121). Diesem Bild in schwarz tritt das leuchtende der kath. Kirche
in IV gegenüber. „Ist mitten in einem Gewebe ein Faden gerissen,
kann man langsam die ganze bereits geleistete Arbeit zerstören. Man
braucht nur unablässig an diesem Faden zu ziehen, und ihn den
ganzen genommenen Weg zurücklaufen zu lassen." Und simple Logik
genügt, um am Ganzen des Protestantismus diese Auflösung zu vollführen
.
Logik, System, Umfassendheit, das sind Ch.s Maßstäbe. Er vermißt
in der HK vor allem andern den überragenden syst. Theologen,
der fähig wäre, die offenen Fragen der prot. Polemik aufzunehmen
und die allumfassende Glaubenslehre zu geben und zu verteidigen. Es
ist ihm zuviel, oft gesunder, wenngleich die Folgerungen umgehender,
Instinkt, zu wenig klärendes, auf den Grund gehendes Denken in der
HK. Ihre Gefahr scheint ihm, fromme Kreise nach Art der Pietisten
zu werden und die große Auseinandersetzung zu versäumen, die immer
von der Lehre auszugehen habe. Die Denker, bei denen die HK am
liebsten Anschluß suche, Männer etwa wie Heiler, Fendt, auch Otto,
ständen ihr fern und tasteten selber. Schließlich müsse sich die HK, so
scharf sie katholisch und römisch heute contrastiere, aus ihrer prot.
Kirche herausentwickeln.
Daß auf der Ebene des Gedankens, der syst. Theologie, die
Schlacht geschlagen werden müsse, ist wohl das wahrste an dem
ganzen Buch, das sich im Übrigen so prekärer Gedanken wie des
Newmanschen des organischen Wachstums der dogmatischen Einsichten
in der Kirche unbedenklich bedient. Richtig dürfte auch
sein, daß die HK diese Frage nicht selbst in Angriff nimmt. Sowie
wir aber in die Sache eintreten, fallen die beiden Seiten unüberbrückbar
auseinander. Die aquinatische Theologie des Summierens und
Auspendeins, das ganze via-media-Ideal dürfte, solange die emphatische
Selbstbezeichnung der HK als lutherisch zurecht besteht, nicht geben,
was auch wir heute vermissen und suchen. Wer Luther nennt und
kennt, dem hilft kein Gesetzbuch der Logik oder Geschichte, keine
in Jahrhunderten verfeinerte quantitative Kunst der Ausgleichung und
authentischen Interpretation; der hat, wo das Gewissen Gott begegnet
und sich seinem Gericht unterstellt, die, nicht durch Addition erreichte,,
ganze ausstrahlungsfähige Heilswahrhcit qualitativ gegenwärtig. Er
wird sie im Leben in Knechtsgestalt darstellen und, gebeugt, nie ihres
Ursprungs vergessen: „Ich glaube, lieber Herr; hilf meinem Unglauben
!"
Fahrenbach (Baden). Peter Katz.
Ellwood, Prof. Dr. Charles A.: Zur Erneuerung der Religion.
Gcscllschaftskundliche Betrachtungen. Autorisierte Übersetzung von
B. L. Frank-Wien. Stuttgart: W. Kohlhammer. (VIII, 330 S.) 8°.
geb. Gm. 5—.
Dies Buch ist von einem der bekanntesten amerikanischen
Soziologen (dem Präsidenten der amerikanischen
soziologischen Gesellschaft) geschrieben, und, wie der
Übersetzer in der Einleitung bemerkt, in Amerika mit
Begeisterung aufgenommen. Die am Schluß abgedruckten
sozialen Glaubensbekenntnisse der Bundesversammlung
christlicher Kirchen in Amerika beweisen,
daß die Gedanken der dortigen kirchlichen Kreise sich
in sozialer Hinsicht in gleicher Richtung bewegen, und
daß hier eine Einmütigkeit und Zuversicht des Glaubens
herrscht, die uns mit Neid erfüllen könnte, wenn wir
nicht der Überzeugung wären, daß wir Deutschen, denen
Welt und Leben so viel problematischer erscheint, der
Wahrheit und dem Geheimnis Gottes vielleicht doch
näher sind.
E. tritt für ein möglichst untheologisches, metaphysikfreies
Christentum ein, das sich von der Menschheitsreligion
A. Comtes nur dadurch unterscheidet, daß es
die Liebe, von der es sich durchdringen läßt und die es
zur weltumgestaltenden Macht erheben möchte, auch
in das Universum hineindeutet, m. a. W. an einen in der
Welt wirksamen und sie der Vollendung entgegen-
führenden Willen glaubt. Sein Inhalt ist also Jesu
Gottvaterglaube, ferner der große Grundsatz Jesu, daß
Gottesdienst und Nächstendienst ein und dasselbe sind,
sowie sein Ideal eines Gottesreichs brüderlicher Gemeinschaft
. Wenn das Christentum so sein Wesen bestimmt
, braucht es keinen Widerspruch der Wissenschaft
zu fürchten, arbeitet vielmehr mit ihr Hand in Hand,
indem die Wissenschaft, und zwar speziell die Soziologie
, Mittel und Wege zeigt, wie das Ideal praktisch
durchgeführt werden kann — E. tritt, nebenbei bemerkt,
nicht für Vollsozialisierung ein, sondern ein Kompromiß
von individueller Freiheit und sozialer Bindung, von
Privateigentum und Gemeinwirtschaft, das er sozialistisch
nennt, weil alle Personen, Dinge, Institutionen
dem allgemeinen Wohl dienstbar gemacht werden sollen:
— während Religion die dazu notwendige Gesinnung