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Ausgabe: | 1924 |
Spalte: | 25-30 |
Autor/Hrsg.: | Troeltsch, Ernst |
Titel/Untertitel: | Der Historismus und seine Probleme 1924 |
Rezensent: | Tillich, Paul |
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Postalischer Erscheinungsort Marburg
Theologische Literaturzeitung
Begründet von Emil Schürer und Adolf von Harnack
Herausgegeben von Professor D. Ematlliel Hirsch unter Mitwirkung von
Prof. D. Wilh. Heitmüller, Prof. D. Dr. G. Hölscher, Prof. D. Arthur Titius, Prof. D. Dr. G. Wobbermin
Mit Bibliographischem Beiblatt, bearbeitet von Lic. theol. Kurt Dietrich Schmidt, Göttingen
Jährlich 26 Nrn. Verlag: J. C. Hinrichs'sche Buchhandlung, Leipzig.
Bezugspreise für das Ausland vierteljährlich 12.50 s. Fr.; 38.75 fr. Fr.; 45— b. Fr.; 10 sh.; 2.25$; 6— FI.;
12.50 d. Kr.; 15— n. Kr.; 8.20 s. Kr.; 50— Lire; 75— tsch. Kr.; 85— finn. Mark.
in Inhtvr Nr 7 Manuskripte und gelehrte Mittellungen sind ausschließlich an Professor D. H irs ch in Göttingen, ff. lanilflr 1074
Vf. Jalirg. nr. L. Nikolausbergcr Weg 31, zu senden, Rezensionsexemplare ausschließlich an den Verlag. OaUUal lyiVI-.
Troeltsch t, Oer Historismus und seine Probleme
(Tillich).
Mi Ti, des Sozialethikers, und seiner Schüler
philosophische Werke (Haas).
Seidenstücker, Pali-Buddhismus in Obersetzungen
(Pranke).
Schomerus, Die Hymnen des Mänikka-
Väsaga (Franke).
Staerk, Die jüdische Gemeinde des Neuen
Bundes in Damaskus (Beer).
Staerk u. Leitzmann, Die Jüdisch-Deutschen
Bibelübersetzungen (Petsch).
D e i Ii m a n n , Licht vom Osten (Dibelius).
Oerhardt, Der Stern des Messias (Hoennicke).
Schmitz, Die Vorbildlichkeit der urchristlichen
Gemeinden für die Kirche der Gegenwart
(Windisch).
Goodenough, The Theology of Justin Martyr
(Ders.).
Posch mann, Kirchenbulie und correptio
secreta bei Augustinus (Koch).
Wade-Evans, Life of St. David (Jülicher).
Lehma n n , Die Parodie im Mittelalter (Wenck).
Parodistische Texte (Ders.).
Pull an, Religion Since the Reformation (Hirsch).
Lübeck, Die Christianisierung Rußlands (Bon-
wetsch).
H udal , Die serbisch-orthodoxe Nationalkirche
(Mulert).
Cathrein, Die katholische Weltanschauung
(Ders.).
Fischer, Charakterisierung und Beurteilung
des römisch-kathol. Moralsystems (Ders.).
Mitteilung.
Aristides, Apologie 15,6-16,1 im Urtext
(Krüger).
Troeltsch, Dr. D. Dr. Ernst t: Der Historismus und seine
Probleme. 1. Buch: Das logische Problem der Geschichtsphilosophie
. Tübingen: J. C. B. Mohr 1922. (XI, 777 S.) gr. 8°
= Gesammelte Schriften III. Gz. 20—; geb. 24—.
Nun ist bald ein Jahr vergangen, seit Ernst
Troeltsch von uns genommen ist. Eine Anzeige im
üblichen Sinne kommt für sein Buch — das letzte seiner
Werke — nicht mehr in Frage. Es ist längst bekannt
und übt seine Wirkungen, wie alle Schriften des Verfassers
. Unsere Aufgabe kann es nur sein, einerseits
denen, die das Buch noch nicht gelesen haben, und
vielleicht in nächster Zeit keine Gelegenheit haben, es
zu lesen, einen Eindruck von der Fülle und Bedeutsamkeit
seines Inhaltes zu vermitteln, andererseits in eine
Diskussion einzelner Punkte einzutreten, um auf diese
Weise an der Fortführung der von T. angeregten Probleme
mitzuarbeiten.
Das ist um so mehr eine Pflicht, als T. selbst auf die Mitarbeit
und Weiterarbeit der jüngeren Generation in seinem Vorwort hingewiesen
hat und sein Werk, wie alle seine Werke, des letzten positiven
Abschlusses entbehrt: Der angekündigte vierte Band, die inhaltliche
Ausführung der Geschichtsphilosophie, fehlt.
I. Das erste Kapitel handelt von dem „Wiedererwachen
der Geschichtsphilosophie". T. hat es als einen
historischen Moment empfunden, als er vor etwa zwei
Jahren zum ersten Male seine Vorlesung über Geschichtsphilosophie
hielt. (Es war fast hundert Jahre
her, seitdem zum letzten Mal eine derartige Vorlesung
an der Berliner Universität angekündigt wurde.) Aus
der Krisis der Gegenwart, die insonderheit Krisis des
der Welt, dem „Naturalismus". Von beiden Begriffen will er den
schlechten Nebensinn lösen und sie als die beiden großen Wissenschaftsschöpfungen
der modernen Welt in ihrem Verhältnis zueinander
und in ihrer gemeinsamen Wurzel betrachten. Dadurch wird der
Titel des Werkes verständlich. Historismus ist für T. ein Kampfbegriff,
der von vornherein dem Naturalismus gegenüber die volle Gleichberechtigung
der historischen 'Wirklichkeit zum Ausdruck bringen will.
Freilich wird es kaum möglich sein, den Begriff dauernd von seinem f
schlechten Nebensinn zu befreien, abgesehen davon, dall die philo-
sophische Arbeit doch niemals bei dem endgültigen Dualismus
zweier Wirklichkeitsbetrachtungen stehen bleiben kann und versuchen
muß, irgendwie über beide Standpunkte hinauszukommen. — Der
Gegenstand, von dem T. in Wahrheit handelt, ist die Geschichtsphilosophie
, und zwar in doppeltem Sinne: die formale Geschichtsphilosophie
oder Geschichtslogik, und die materiale Geschirhts-
philosophie oder Geschichtsdeutung. Die Probleme beider, ihr Verhältnis
zueinander und zur Naturphilosophie bilden den Hauptinhalt
des ersten, grundlegenden Kapitels.
Eine Sinndentimg der Geschichte ist nicht möglich
ohne einen Maßstab der Sinndeutung. Darum spricht
das zweite Kapitel „über Maßstäbe zur Beurteilung
historischer Dinge usw." T. unterscheidet einen ersten
und einen zweiten Maßstab. Den ersten Maßstab verwendet
die Historie, wenn sie historische Sinneinheiten
aus ihrem eigenen immanenten Sinn versteht. Aber dieser
Maßstab ist unzureichend, denn jede historische Darstellung
enthält einen übergreifenden Entwicklungsbegriff
; und es erhebt sich die Frage, woher der Maßstab
für die Sinndeutung der historischen Entwicklung als
solcher zu nehmen ist. Troeltsch weist an zahlreichen
Philosophen nach, daß es unmöglich ist, einen allgemein-
Historismus ist, geht der 'neue Anstoß zur geschichts- gültigen Maßstab zu finden, wenn man gleichzeitig die
philosophischen Problematik hervor. In den ungeheu- i Individualität des Historischen festhalten will. Jeder
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ren Spannungen des gegenwärtigen historischen Er
lebens ist eine Geschichtsbewußtheit geboren, die etwas
wesentlich anderes ist als geschichtlicher Sinn.
Sie ist das Bewußtsein, in der Geschichte zu stehen,
für die kommende Geschichte verantwortlich zu sein
und darum zurückblicken zu müssen, deutend und sinngebend
, auf die vergangene Geschichte. Namentlich
die Jugend ist getragen von einer solchen Geschichts-
bewnßtsein und drängt von da aus zur Geschichtsphilosophie.
T. nennt die geschichtliche Betrachtung der Wirklichkeit „Histo-
r i s m u s" im Unterschied von der naturwissenschaftlichen Betrachtung
derartige Versuch ergibt künstliche Synthesen, in denen
entweder eine der beiden Seiten geopfert wird, oder die
bei dem Versuch der Realisierung auseinanderbrechen.
Es gibt nur einen wirklichen Maßstab, an dem auch in
Wahrheit alle große Historie orientiert ist, die gegenwärtige
Kultursynthese, ganz gleich, ob sie
mehr als gegeben oder mehr als gefordert empfunden
wird. Nicht ein abstrakter Wert, sondern die individuelle,
schöpferische Wertverwirklichung ist die Lösung, sowohl
des Wert- wie des Geschichtsproblems. Einer solchen
Synthese kommt freilich nicht die rationale Objektivität
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