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Ausgabe:

1924 Nr. 19

Spalte:

428

Autor/Hrsg.:

Wobbermin, Georg

Titel/Untertitel:

Religionsphilosophie 1924

Rezensent:

Schmidt, Fr. W.

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427

Theologische Literaturzeitung 1924 Nr. 19.

428

Adolph, Priv.-Doz. Lic. Dr. Heinrich: Die Weltanschauung-
Gustav Theodor Fechners. Mit einem Bildnis. Stuttgart:
Strecker & Schröder 1923. (XI, 172 S.) 8°.

Verf. beginnt mit einer Skizze des Lebens Fechners.
Der darauf folgende Hauptteil, die Darlegung der
Grundgedanken der Fechner'schen Philosophie, zeichnet
sich durch Übersichtlichkeit und Klarheit aus. Doch
empfinde ich die allzu detaillierte Zergliederung der
Gedankenmassen als Schönheitsfehler. Die wohl durch
den zur Verfügung stehenden Raum gebotene Beschränkung
auf das Wichtigste und die Knappheit der
Darstellung bewirkt, daß der Leser doch nicht den
vollen Eindruck von der liebenswürdigen Feinheit des
Fechner'scnen Geistes und dem Reichtum seiner spielenden
Phantasie erhält. Die im Schlußteil gebotene
Würdigung hebt in methodischer Hinsicht als Fechners
philosophiegeschichtlich großes Verdienst die Begründung
der induktiven Metaphysik, als seine Hauptschwäche
die zu verwegene Handhabung des Analogieschlusses
hervor. Im Einzelnen werden besonders der
im Interesse der Allbeseelungslehre zu weit gespannte
Begriff des Organischen und der psychophysische Par
rallelismus beanstandet, sicherlich mit Recht. Der religiösen
Auseinandersetzung mit Fechners Position fehlt,
wie mir scheint, die nötige Schärfe. Stempelt der optimistische
Panentheismus, die originelle Unsterblichkeitslehre
, die Bereitwilligkeit des Philosophen, Jesus als
Herold der Liebe einen Ehrenplatz im geistigen Pantheon
anzuweisen, diese Weltanschauung zu einer christlichen
? Die Frage hätte angesichts der heute um sich
greifenden strengeren Fassung der Eigenart des
Christentums zum mindesten ernstlich erwogen werden
sollen. Dagegen wäre das verhältnismäßig reichlich
ausführliche Kapitel, das Fechner und Nietzsche in
Vergleich stellt, wo doch abgesehen vom Persönlichen
nicht ganz viel zu vergleichen ist, sehr wohl entbehrlich
gewesen.

Iburg. W. Thimme.

Brunner, Lic. E.: Die Grenzen der Humanität. Habilitationsvorlesung
an d. Univ. Zürich. Tübingen: J. C. B. Mohr 1922.
(27 S.) gr. 8°. = Sammlung gemeinverständlicher Vorträge u.
Schriften a. d. Gebiete d. Theologie u. Religionsgeschichte 102
„Religion innerhalb der Grenzen der Humanität"
ist eine Formel, die verstanden worden ist im Sinne der
Begründung der Humanität, der Idee der menschlichen
Vollendung durch die Religion. Brunner greift die Formel
auf, um ihren Sinn nach entgegengesetzter Richtung
zu entwickeln. Religion ist Einsicht in die Grenzen
der Humanität, Greifen nach einem Jenseits der
Humanität, aber nur ein Greifen, das nicht zur Erfüllung
kommt, auch nicht im religiösen Erlebnis, ein
Greifen, das umgekehrt aber nicht nur im engen Bezirk
der religiösen Erfahrung statt hat. Nur in der
Zwiespältigkeit, in der tragischen Anerkennung der
Grenze, wird die Grenzsetzung erfaßt. „Jene unerreichbare
Voraussetzung unserer geistigen Akte ist als solche
die treibende Kraft derselben." Um der Universalität
dieser Voraussetzung willen richtet sich Brunner gegen
Schleiermachers Abgrenzung der Religion zu einer besonderen
Provinz, um ihrer Transzendenz willen gegen
Hegels Apotheose des menschlichen Geistes und der
Kultur.

Ein „Nachwort für Theologen" nimmt gegen
„Psychologismus" und Schleiermachersche Traditon in
der Theologie den Kampf auf, den Brunner nunmehr in
seinem neuesten Werk „Die Mystik und das Wort"
(Tüb. 1924) durchgeführt hat. Dabei ist bemerrkens-
wert, daß der Vf. hier noch in unverhüllter Anerkennung
auf den universaleren Gottesbegriff Schleiermachers in
der Dialektik hinweist. Damit ist ein Programm entworfen
, daß m. E. in dem neuesten Werk — leider —
nicht zur Durchführung kommt. Die Dialektik Schleiermachers
gibt in der Tat eine universal-kritische Begründung
der Gottesidee. Daß trotzdem, wie Br. mit
Recht hervorhebt, der Inhalt des Glaubens nicht transzendental
ableitbar ist (pg. 23), gerade das liegt
Schleiermachers Glaubenslehre zugrunde, gerade das
fordert neben der transzendental-kritischen Besinnung
eine Glaubenslehre, in der der Inhalt des weder konstruktiv
noch destruktiv, sondern an der contingenten Erfahrung
(Jesus Christus) gewonnenen Glaubens entfaltet
wird. Über seinem (nicht unberechtigten) Protest gegen
den humanistischen Idealismus verbaut sich Br. die
Einsicht in die innere Einheit des Schleiermacherschen
Denkgefüges. Gerade Schleiermacher reißt in der Dialektik
die Religion aus der Gedankenlosigkeit bloßer
Erregung heraus und stellt die Frage nach der (religiösen
) Wahrheit der Glaubensinhalte hinein in die umfassende
Frage nach der Wahrheit überhaupt.

Jena. Th. Siegfried.

Wobbermin, Georg: Religionsphilosophie. Berlin: Pan Verlag
R. Heise 1924. (248 S.) 8°. = Quellen-Handbücher der Philosophie
, 5. Bd. Gm. 3.30; geb. 4.50.

Daß in den Quellen-Handbüchern der Philosophie
gerade Wobbermin das Bändchen über Religionsphilosophie
herausgegeben hat, ist schon darum außerordentlich
zu begrüßen, weil er am energischsten gegen
alle konstruktive und rationalisierende Vergewaltigung
der Religion in der modernen R Ph das methodische
Prinzip der religiösen Erfahrung geltend gemacht und
damit zugleich eine übergreifende Basis für religionsphilosophische
und system.-theol. Arbeit zu schaffen
sich bemüht hat. In kurzer Einleitung entwickelt zunächst
er selbst programmatisch die Grundgedanken
seines Hauptwerkes über Begriff, Aufgabe und Methode
der R Ph, ihm schließt sich als Mitherausgeber
an sein Schüler R. W i n k 1 e r mit einer knappen
historischen Charakterisierung des Sinnzusammenhangs
der rel.-phil. Arbeit seit Kant, der zugleich in einer
Tafel veranschaulicht wird. Darauf folgen die treffend
ausgewählten Quellenauszüge, die bei aller gebotenen
Kürze ein gutes Bild der Entwicklung von Kant zur
jüngsten Gegenwart gewähren.

Das instruktive Buch verpflichtet zu großem Dank.

Selbstverständlich kann eine Auswahl nur typische Vertreter
berücksichtigen. So fehlen unter den Philosophen z. B. selbst
Wundt oder Heinr. Maier. In der Einleitung von Winkler hätten,
unter den Schülern Ritschis etwa Reischle und E. W. Mayer doch wohl
genannt werden können, auch wenn von ihnen keine ausgeführte
RPh vorliegt. An Druckfehlern ist mir aufgefallen: S. 24
Hofman statt Hofmann, S. 99 oben „uns" st. „und" und S. 243 Brun-
städt st. Brunstäd. Im Literaturverzeichnis vermisse ich den von mir
herausgegebenen Band der Ges. Aufsätze von W. Herrmann.

Halle a. S. F. W. Schmidt.

Höffding, Prof. Harald: Erlebnis und Deutung. Eine vergleichende
Studie zur Religionspsychologie. Übersetzt von Erwin
Magnus. Stuttgart: Fr. Frommann 1923. (117 S.) gr. 8°.

Gm. 2—; geb. 2.50.
Kein Erlebnis ohne bewußte oder unbewußte Deutung
— diese Erkenntnis bildet den Ausgangspunkt der
gebotenen Untersuchungen. Am Faden psychologischer
Analysen, die von den Ekstasen der totemistischen Stammesweihen
über den Prophetismus und die mittelalterliche
Mystik bis zur heiligen Teresa und der bekannten
Patientin Flournoys, Mlle Cecile Ve führen, zeigt der
bekannte dänische Psychologe und Religionsphilosoph,,
wie erst die Deutung dem Erlebnis die für das innere
Leben entscheidende Bedeutung gibt, wie zugleich diese
Deutung von der Weltanschauung des Erlebenden bestimmt
ist. Es „melden sich" bei der Deutung der
Ekstase sofort „die überlieferten Vorstellungen", die
Visionen aber, die aus zunächst nicht bildhaft Verdichteten
Erregungszuständen allmählich sich entfalten, stimmen
durchgehend „mit dem ganzen geistigen Horizont,
innerhalb dessen das visionäre Individuum lebt", überein
. In der christlichen Mystik steht die Deutung unter
dem inneren Zwang, den Inhalt des Erlebnisses der
kirchlichen Norm einzupassen. Um so wichtiger wird
für den Vf. das Beispiel der modernen Mystikerin
Cecile, die um den psychologischen Mechanismus ihrer