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Ausgabe:

1924 Nr. 19

Spalte:

423-424

Autor/Hrsg.:

Vorländer, Karl

Titel/Untertitel:

Kant-Schiller-Goethe. Gesammelte Aufsätze. 2., verb. u. verm. Aufl 1924

Rezensent:

Rust, Hans

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423

Theologische Literaturzeitung 1924 Nr. 19.

424

solut oder in der Erfüllung eines Daseinszweckes begründet sein,
nicht aber beides zugleich. Die aus einem Zwecke „abgeleitete"
Unbedingtheit, die W. S. 66 in weiterer Entfaltung der in der Definition
ausgesprochenen Anschauung vom Sittlichen uns vorführt, ist das
bekannte aus Holz gemachte Eisen, c) Gern hätte ich die sprachliche
Neubildung Sollensgebot, die zunächst an den reitenden Kavalleristen
erinnert, erläutert gesehen. — S. 7 etwas weiter: „Ferner setzen wir
voraus, daß Religion die Erfahrung eines mit der Haltung der Ehrfurcht
und Liebe verknüpften, übermächtigen, unüberbietbaren, die
menschliche Sphäre transzendierenden Ganz-Anderen als Wirklichkeit
sei." Zunächst scheint mir, als ob nicht so ein Ganz-Andres selbst,
sondern allein die Erfahrung dieses Ganz-Andern mit der Haltung der
Ehrfurcht und Liebe verknüpft wäre. Sodann aber klingt mir
diese ganze Umschreibung der einfachen Aussage, ,Religion ist Erfahrung
von Gott' zwar pompös, aber einen bestimmten Sinn kann ich
mit ihr nicht verbinden. Am meisten paßt W.s Beschreibung des
Ganz-Andern noch auf einen über Menschenmaß hinaus gesteigerten
und dadurch Gott gewordenen Heros von etwas seltsamen Allüren. —
Weiter unten S. 7: „Dabei aber unterscheiden sie [Sittlichkeit und
Religion] sich grundsätzlich: das eine ist Erfahrung eines Objektiven
als Forderung; das andre Erfahrung eines Objektiven als tief Beeindruckenden
, auch als Gnade und Geschenk." Die erste Hälfte in
der Antithese setzt voraus, daß eine Forderung niemals tiefen Eindruck
machen kann; und das wird W. doch selbst-nicht meinen.
Außerdem wird man die Verwendung des Objektsbegriffs in diesem
Zusammenhang beanstanden; Gott und sein Wille gehören, streng

genommen, nicht in die Klasse der Objekte. — S. 8/9: .....so war

das Problem des Verhältnisses von Religion und Sittlichkeit damals
doch ein andres als heute, wo man Gedanken der Aufklärung weiter
verfolgend in weitesten Kreisen ganz radikal eine Emanzipation der
ethischen Grundsätze von der Religion verlangt, ja diese gradezu als
eine Vcrderbcrin der inneren autonomen Sittlichkeit bezeichnet....
Auch in theologischen Kreisen ist diese Emanzipation in gemilderter
Form doch auch als Kind der Aufklärung und des deutschen Idealismus
eingedrungen, indem man den Wert der Religion nur insoweit behaupten
zu können meinte, als diese sittliche Wirkungen hervorbringe."
Ich lerne aus dieser Ausführung mit Erstaunen, 1) daß die Behauptung
,Religion verdirbt die Sittlichkeit' und die andre ,Religion bringt
Sittlichkeit hervor' keine Gegensätze, sondern nur verschiedene temperierte
Spielarten der gleichen Aussage seien, 2) daß der Idealismus
den moralistischen Religionsbegriff der Aufklärung fortgepflanzt habe
(während in Wahrheit keiner der großen Idealisten der Religion sittliche
Wirkungen zugeschrieben hat) — Auf ähnliche Unklarheiten stößt
man durch das ganze Buch hindurch immer wieder. Das benimmt
gerade dem die Lust zur Auseinandersetzung, der an einer klaren
und scharfen Antithese an sich seine Freude hätte.

Und so schließe ich denn mit einer anderen Bemerkung
. Es tut mir leid um Ernst Troeltsch. Er ist
doch auch da, wo er irrte, ein so starker Anreger gewesen
(und gerade an dem irrenden Troeltsch habe ich
manches Wertvolle gelernt), daß er es verdient hätte,
einen besser gerüsteten, und vor allem einen von seinem
innerem Recht wirklich noch überzeugten Verteidiger
zu finden.

Göttingen. E. Hirsch.

Vorländer, Karl: Kant-Schiller-Goethe. Gesammeitc Aufsätze
2, verb. u. verm. Aufl. Leipzig: Felix Meiner 1923. (XIV, 306 S.)

Gm. 8—; geb. 10—.

In dem ersten Teile zeigt der Verf., daß Kants
ethischer Rigorismus wesentlich ein wissenschaftlich methodologisches
Prinzip ist, dessen abstrakter Charakter
demjenigen der Verstandeskategorien genau entspricht.
Ferner weist er die übliche Ansicht zurück, daß Schiller
den ethischen Rigorismus Kants ästhetisch gemildert
habe, und zeigt demgegenüber, daß sich bereits bei Kant
merkliche Ansätze zu einer Synthese des Outen und
Schönen finden, daß Schiller diesen Andeutungen nur
gefolgt und bei ihrer intensiveren Ausgestaltung extensiv
nicht über den Rahmen des ethischen Kritizismus
hinausgegangen ist. In dem zweiten Teil räumt der
Verf. mit der verbreiteten Vorstellung auf, daß Goethe
der Philosophie überhaupt abgeneigt, im besten Falle
nur Spinozist gewesen wäre, und weist demgegenüber
nach, wie hoch der Dichter Kant und seine Philosophie
schätzte und wieweit er mit ihr zusammenging. Es
erscheint begreiflich, daß Goethe Kants Kritik der Urteilskraft
am meisten studierte, und überraschend, daß
ihn hier nicht so sehr der ästhetische als vielmehr der
teleologische Teil anzog. Eine treffliche Übersicht

über die Berührungspunkte Goethes mit Kant auf
den Gebieten der Erkenntnislehre, Ethik, Religion
und Ästhetik findet sich S. 246—260. Daran schließt
sich S. 261—272 ein Aufsatz „Goethe und Kant"
aus den Kant-Studien Band XXIII 1919, wodurch
die zweite Auflage des vorliegenden Werkes
gegenüber der ersten erweitert und die Goethe-
Kant-These des Verfassers namentlich gegenüber Gundolf
verteidigt wird. Das Inhaltsverzeichnis berücksichtigt
leider diese Einschaltung nicht und gibt demzufolge
von hier an falsche Seitenzahlen (nämlich die
der ersten Auflage) an. Ein Anhang endlich unterrichtet
über Kants persönliches Verhältnis oder vielmehr
Nichtverhältnis zu Schiller und Goethe sowie über
die in Goethes Besitz gewesene philosophische Literatur.
Das Ganze ist eine pünktliche und sorgfältige Arbeit.
Königsberg, Rr. Hans Rust.

Kant, Immanuel: Briefwechsel. Mit Einleitung, Anmerkungen,
Personen- und Sachregister versehen von Otto Schöndörffer. I. Bd.:
Die Briefe von 1749 bis 1789. II. Bd.: Die Briefe von 1790 bis
1803. Leipzig: F. Meiner 1924. (XXXII, 433 S. u. S. 435—921.).
8°. = Philosophische Bibliothek Bd. 52a/b.

Gm. 15—; geb. 18—; Gesch.-Bd. 25--.

Der Herausgeber gibt das Verhältnis seiner Ausgabe
zur Akademieausgabe S. XXX f. selber redlich an.
Man kann es kurz dahin zusammenfassen, daß sie lediglich
ein Auszug aus der 2. Aufl. der Akademieausgabe
ist. Das gilt im Wesentlichen auch von den Anmerkungen
, welche aus denen der Akademieausgabe
redigiert worden sind mit höchst bescheidenen Zusätzen
und der wörtlichen Anlehnung ausweichenden
formellen Veränderungen. Als wirklich eigene Arbeit
des Herausgebers bleibt darum nur die Vornahme der
Auswahl der Briefe und die Hinzufügung eines (recht
guten) Sachregisters über. Ob ein so enges literarisches
Verhältnis, was die Anmerkungen betrifft, statthaft sei,
kann zweifelhaft sein. Mir wäre es der Sachlage eher
entsprechend erschienen, wenn von den Bearbeitern der
Akademieausgabe selbst und in deren Verlage die so
dringend erwünschte kleine Ausgabe erschienen wäre.
So muß man hoffen, daß Redaktor und Verlag dieser
kleinen Ausgabe wenigstens in Einverständnis mit
Herausgebern und Verlag der größeren gehandelt
haben.

Läßt man aber dies Verhältnis auf sich beruhen, so
kann man der vorliegenden Auswahl die Brauchbarkeit
gern zugestehen. Die Weglassungen betreffen überwiegend
Briefe a n Kant. Von Kant selbst sind weggelassen
nur die gedruckten Widmungsbriefe oder sonst
in den Werken sich findende Briefe, ferner alles, was die
Akademieausgabe anhangsweise bringt. Es ist, da Schreiber
und Datum der Briefe an Kant, welche weggelassen
wurden, nicht verzeichnet sind, natürlich für den Benutzer
nicht möglich, darüber, ob die Auswahl eine bestimmte
Korrespondenz vollständig bringe, ohne Zuhilfenahme
der großen Ausgabe Gewißheit sich zu verschaffen. Das
hätte sich durch genaues Verzeichnen der vollständig
aufgenommenen Korrespondenzen in der Einleitung erreichen
lassen. Die Rechtschreibung und Zeichensetzung
ist modernisiert (gegen die für Briefe geltenden Editionsgrundsätze
). Innerhalb der damit gegebenen Grenzen
aber ist die geschickt getroffene und
alles Wichtige bietende Auswahl, soweit
das bei einer Auswahl überhaupt der Fall sein kann, ein
auch für den nicht gar zu philologisch eingestellten
Fachphilosophen hinreichender Ersatz für die große
Ausgabe.

Güttingen. E. Hirsch.

Kutter, Pfarrer D. Hermann: Im Anfang war die Tat. Versuch
einer Orientierung in der Philosophie Kants und den von ihr angeregten
höchsten Fragen. Für die denkende Jugend. Basel: Kober
1924. (303 S.) 8". geb. Gm. 7.50.

Auch in diesem Buche will K., wie gelegentlich
durchblitzt, seinen alten Feind, den Mammon, treffen.