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Ausgabe:

1924 Nr. 19

Spalte:

419-420

Autor/Hrsg.:

Brettle, Sigismund

Titel/Untertitel:

San Vicente Ferrer und sein literarischer Nachlass 1924

Rezensent:

Rückert, Hanns

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419

Theologische Literaturzeitung 1924 Nr. 19.

420

Kreis der Untersuchuung einbezogen sind; über diese
Ausscheidung vermag auch nicht ganz das Versprechen
hinwegzuhelfen, daß diese Übersetzungen zusammen mit
der Vulgata in einer besonderen Arbeit untersucht werden
sollen. Im Ganzen aber bleibt dem Beurteiler im
Angesicht eines Werkes, das Jahre entsagungsvoller
Mühe und hingegebenen Fleißes verschiedener Gelehrter
beansprucht hat und weiterhin beansprucht, der Dank
für alles Gebotene, in den sich hier vielleicht nur ein
Gran des Bedauerns mischt, daß die überall hervortretenden
Linien einer sachlichen Geschichte des Begriffes
Sakrament nicht in einem geschlossenen Bilde
festgehalten sind. Indes wird gerade in der strengen Begrenzung
, die sie sich auferlegt, diese Arbeit zu dem,
was sie ist und sein will: zu dem seit Jahren dankenswertesten
Beitrag zu dem großen und noch in unge-
wissti Zukunft verschwebenden Werke eines neuen und
erschöpfenden Du Cange.

Breslau. Ernst Lohmeyer.

Brettle, Sigismund: San Vicente Ferrer und sein literarischer
Nachlass. Münster i. W.: Aschendorffsche Verlh. 1924. (XIV,
214 S.) gr. 8°. = Vorreformationsgeschichtl. Forschungen Bd. 10.

Om. 7.25.

Der Hauptteil (S. 69—195) der umfassende Vorarbeiten
verwertenden und sorgfältig, oft etwas weitschweifig
geführten Untersuchung B.'s beschäftigt sich
mit dem literarischen Nachlaß des Vincentius Ferrerius.
Vier Gruppen werden nach sachlichen Gesichtspunkten
unterschieden und nacheinander behandelt: die kirchenpolitischen
, die homiletischen, die erbaulichen und die
prophetischen Schriften.

Unter scharfer Kritik an seinen Vorgängern, besonders an deren
letztem, H. Fages, verrichtet B. hier anerkennenswerte Aufräumungsarbeit
. Fünf bezw. sechs bisher unter dem Namen V.'s laufende
Schriften werden z. T. unwiderleglich als unecht nachgewiesen (S.
71 ff., S. 105 Anm. 2, S. 33 Anm. 10, S. 157 ff., S. 164 ff.). Für
die übrigbleibenden echten Schriften werden die Handschriften zusammengestellt
, beschrieben, kritisiert und klassifiziert, und auch hier
ist es dem Verfasser gelungen, Neues zu finden, Irrtümer zu berichtigen
und in Verworrenes Klarheit zu bringen.

Von jeder der drei letzten Gruppen werden Kostproben
dargeboten (S. 118 ff., 128 ff., 140 ff., 177 ff.).
Wenn das freilich geschieht, um zu zeigen, daß V.'s
„Gedanken auch heute noch nicht veraltet sind" (S.
118), so verfehlt es bei dem, der mit den Ansprüchen
eines Evangelischen an Predigten und Erbauungsliteratur
herangeht, seinen Zweck. Überhaupt tritt häufig
eine — menschlich begreifliche — Neigung bei B.
hervor, seinen Helden zu überschätzen.

So wenn er, mit aller Vorsicht zwar, gern eine Abhängigkeit der
„Exercitia spiritualia" des Ignatius von den beiden erbaulichen
Schriften des V. feststellen will (S. 132ff., 154ff.). — Die Pa-
rallelisierung von Stücken des „Tractatus de vita spirituali" mit
Vorschriften des Ignatius über das Essen und Trinken (S. 137 ff.) ist
schon insofern irreführend, als sie bei V. die Reihenfolge der Gedanken
nicht einhält und nebeneinander stellt, was sich inhaltlich nicht
berührt (vgl. den letzten Abschnitt S. 139). Zudem scheinen hier
wie auch da, wo es sich um den „Tractatus de vita Christi" handelt
, die Gedanken, die einander gleichen, zu wenig originell, als daß
man eine literarische Abhängigkeit mit ihnen beweisen könnte, und
gerade da, wo Eigentümliches hervortritt, weichen beide von einander
ab.

Interessanter, aber auch problematischer ist der
erste Teil der Arbeit. Hier unternimmt es B. nach einer
Kritik der Akten über den Kanonisationsprozeß V.'s und
seiner Biographen (S. 1—31), selbst die „Lebensgänge
" des Dominikaners zu zeichnen (S. 32—69).
Auch hier bedeutet seine Darstellung einen Fortschritt,
insofern er rückhaltlos alles Legendarische aufgibt, was
sich an die Lebensgeschichte V.'s angesetzt hat. (Vgl.
S. 13, 25, 31. — S. 69 wird auch das Sprachwunder,
das Zöckler RE3 VI 50 f. noch stehen läßt, in den
Bereich der Legende verwiesen.) B. meint, überhaupt
kranke die ganze V.-Forschung daran, daß sie über
dem Apostel, Propheten und Wundertäter den Menschen
vergesse, der sich entwickelt, der mitten drin-

steht in den Ereignissen seiner Zeit und an ihnen zum
Kirchenpolitiker wird. Und er versucht energisch, diese
| Lücke auszufüllen. — Aber dabei gerät er in eine
, schwierige Lage: Die Zeit, an deren Ereignissen V.
aktiv teilnimmt, sind die letzten Jahrzehnte des Schismas
, und die Tatsache, daß ein Heiliger lange Jahre
hindurch für Avignon arbeitet, ist ebenso peinlich wie
die, daß er schließlich umfällt und 1415 in Perpignan
mit die Veranlassung gibt, daß Spanien im Sinne des
Konstanzer Konzils Benedikt XIII. die Obedienz kündigt,
j Und — das verschlimmert die Lage noch — inzwischen
gab es eine Zeit, in der V. am Papsttum überhaupt
irre geworden war (S. 62). — Wenn auch nicht alles
überzeugend klingt, was B. anführt, um Charakter und
Orthodoxie des Heiligen zu retten— es muß anerkannt
werden, daß er den Schwierigkeiten nicht aus dem
Wege geht, sondern sie offen aufzeigt, und daß die
psychologischen Konstruktionen, die er aufführt, um
ihrer Herr zu werden, nicht gänzlich außerhalb des
Bereichs der Möglichkeit liegen.

Berlin. Hanns Rückert.

Wendlandt, Hans Carl: Die weiblichen Orden und Kongregationen
der katholischen Kirche und ihre Wirksamkeit in
Preußen von 1818 bis 1918. Paderborn: F. Schöningh 1924. (XI,
532 S.) gr. 8°. Gm. 9—.

Wäre das Buch von einem Katholiken verfaßt, so
könnte sich die Besprechung auf folgende Sätze be-
| schränken: Das dargebotene statistische und historische
j Tatsachenmaterial ist, was Preußen betrifft, zuverlässig,
weil aus gut gearbeiteten Handbüchern und aus ins einzelne
gehenden Monographien mit gelegentlicher Unterstützung
durch private " Informationen zusammengeschrieben
. Daher stellt das Buch ein brauchbares Nachschlagewerk
für das von ihm behandelte, zeitlich und
räumlich beschränkte Gebiet des katholischen Ordenswesens
dar. Jedoch ist, wenn man nicht fleißiges
Kompilieren für Wissenschaft ansieht, die wissenschaftliche
Leistung gleich Null. —

Als Beleg für dieses Urteil eine Übersicht über den Inhalt des
Buchs: 1. Abteilung: Die katholischen Frauenorden und Kongregationen
nach dem kanonischen Recht (S. 14—42): ein wörtlicher Abdruck
der einschlägigen Canones des Codex iuris canonici in amtlicher
deutscher Ubersetzung. Anhang: Erklärung einiger später verwendeter
Fachausdrückc (S. 44—52): geht abgesehen von dem Paragraphen
über den klösterlichen Habit (S. 49 ff.), der ohne Bilder
(vgl. S. VI) unanschaulich bleiben mußte, im wesentlichen über das
von Heimbucher (1,1 ff.) Gebotene nicht hinaus. Den Kern der Arbeit
bilden 5 Abteilungen (2—6) über die krankenpflegcnden (S.
52—200), die unterrichtenden (S. 207—287), die sozial tätigen
(S. 288—323), die Mission treibenden weiblichen Genossenschaften
(S. 324—352) und endlich die kontemplativen Frauenorden (S. 353 bis
404), In jeder Gruppe werden die zu ihr gehörigen Kongregationen in
einzelnen Paragraphen nacheinander besprochen. Die Tabelle am Anfang
, die über die gesamte Verbreitung der betreffenden Genossenschaft
Auskunft gibt, nimmt ihre Angaben meist aus Heimbucher; wo
sie Zahlen bringt, stammen sie z. T. aus demselben Werk, z. T. aus
denen von Krose, Liese, Zak und Arens und beziehen sich daher auch
auf alle möglichen verschiedenen Jahre von 1907—1920. Der dann
in jedem Paragraphen folgende historische Teil beginnt meist mit
der Geschichte des Stifters, die in dem sattsam bekannten Stil der
katholischen Heiligen-Vita, wie sie überall zu haben war, erzählt
wird (ein besonders schönes Exemplar das Leben der Angela
Merici S. 225ff.), berichtet dann gegebenenfalls kurz, über die Entwicklung
vor der Niederlassung in Preußen und dann ausführlicher
über die preußische Zeit. Hier sind wiederum Heimbucher und neben
ihm Monographien, die in der Regel von Angehörigen der betreffenden
Kongregation verfaßt sind, die „Quellen". Die Darstellung strotzt von
Namen und Zahlen, und wenn sich das durch 71 Paragraphen über
etwa 350 Seiten immer in demselben Schema wiederholt, dann fällt
es dem Leser schwer, noch empfänglich zu bleiben. Wo der Gegenstand
wirkliche Größe aufweist und der Verf. das zum Ausdruck
bringen will, stößt der unsachlich-rhetorische Stil, in dem das geschieht
, auch da noch ab. An dritter Stelle folgen Angaben über
Regel, Pflichtenkreis, Habit und sonstige Eigentümlichkeiten der
Kongregation bis herab zum Wappen und zur Devise. Hier beruhen
die Kenntnisse des Verf. wohl im wesentlichen auf brieflichen Mitteilungen
der betreffenden Orden. (Vgl. die Literaturangabe zu fast
jedem Paragraphen.) Den Beschluß macht eine Statistik über die
Zahl ihrer Niederlassungen und ihrer Schwestern in Preußen nach