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Ausgabe:

1924 Nr. 19

Spalte:

412-413

Autor/Hrsg.:

Leipoldt u. a., Johannes

Titel/Untertitel:

Handbuch der Religionswissenschaft. 9. Heft 1924

Rezensent:

Wobbermin, Georg

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Theologische Literaturzeitung 1924 Nr. 19.

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eigentliche Mysterien waren also im vorgriechischen
Ägypten noch nicht vorhanden; Sourdille (Herodote et
la religion de l'Egypte 1910, 333 f. 387) dürfte also
mit seinem entsprechenden Urteil doch recht gehabt haben
. Auch die Deutung des Festes Sed als bestimmt
a rinnovare periodicamente l'energia vitale del sovrano,
facendolo partecipare alle energie vivificatrici sprigio-
nantisi dai riti della resurrezione osirica (S. 158) ist
zweifelhaft; wenigstens hat zuletzt von Bissing (die
Reliefs vom Sonnenheiligtum des Rathures, münch.
Sitzungsberichte, philos.-hist. Kl. 1914, 9, 14) geurteilt,
das Sedfest sei keine Osirifikation, sondern ein Dankfest
des Horus-Königs an alle Götter des Landes gewesen
. Daß bei Apulejus, met. XI, 17 nicht jc'/.oia<ptoia
gelesen werden kann, ergibt sich deutlich aus dem
ganzen Zusammenhang.

Daß es bei den Semiten keine eigentlichen Mysterien
gab, erklärt P. selbst wenigstens in der Vorrede und im
Schlußkapitel (vgl. auch S. 330 Anm. 25), wennschon
er in dem ihnen gewidmeten Kapitel mit der entgegengesetzten
Möglichkeit rechnet. Aber auch bei den
neuerdings von Thureau-Dangin, Le rite du kalü,
Revue d'assyriologie 17, 53 ff. geschilderten Gebräuchen
handelt es sich nicht um jene, sondern nur im Geheimen
vorgenommene Riten.

Ebenso läßt P. in Persien (dadurch, daß man bei
dem mit Mithra vielleicht wegen seiner himmlischen
Natur in Verbindung gebrachten Stieropfer, das eigentlich
ein Fruchtbarkeitszauber gewesen sei, Haomö getrunken
und sich in der Trunkenheit in eine andere
Welt entrückt geglaubt habe) die trasformazione sote-
riologica des Gottes nur beginnen und sich erst in
den Mithrasmysterien vollenden, dies letztere offenbar
unter griechischem Einfluß. Auch ob die Spekulation
über den Zrvan akarana aus dem Babylonischen stammt,
ist wohl zweifelhaft (vgl. neuestens Luise Troje, Aich,
f. Rel.-Wiss. 22, 87 ff.), und daß der löwenköpfige
Gott ihn bedeutet, ist wenigstens von Legge in den
Proceedings of the Society of Biblical Archaeology
1912 bestritten worden. In dem von Firmicus, de err. 5
überlieferten Symbol ist nach Zieglers letzter Meinungsäußerung
in der Berliner philologischen Wochenschrift
1909 avvali^ie zu lesen; für die Erklärung darf ich
vielleicht noch einmal auf meinen Artikel im rhein.
Museum 1920 verweisen. Richtig ist aber, daß Mithra
im Unterschied von anderen Mysteriengottheiten immer
dem Menschen gegenüber transzendent blieb, daß man
nicht Angleichung an ihn, sondern Freundschaft mit
ihm erstrebte.

Endlich im letzten Kapitel wird noch einmal die
Entwicklung der Mysterien, wie sie sich P. denkt, geschildert
; werden dann Vegetationskulte, wie sie sich
namentlich bei den Kelten finden, als vormysteriöse
oder mysteroide Bildungen bezeichnet, so ist das natürlich
auch nur unter derselben Voraussetzung (daß die
Mysterien an verschiedenen Stellen unabhängig von einander
aufgekommen sind) ganz berechtigt. Zum Schluß
wird das Verhältnis der Mysterien zum Christentum,
von dem schon vorher manchmal (S. 141. 191. 272f.)
die Rede war, ausführlicher und doch nicht so gründlich,
wie es in anderem Zusammenhang hätte geschehen
müssen, untersucht: P. betont zwar die Unterschiede,
rechnet aber dann trotzdem wohl schon das neutesta-
mentliche Christentum zu den Mysterienreligionen und
denkt dabei besonders an einen Einfluß des Adonis-
kults (mit dem doch, soweit wir wissen, gar keine
Mysterien verbunden waren), indem er sich auf die bekannte
Notiz bei Hieronymus, ep. 58 beruft und meint,
wir könnten das Alter dieses Kults nicht feststellen.
Joh. Weiß (Jesus von Nazareth 29) und Schmaltz (Zeitschrift
des deutschen Palästinavereins 1919, 147 f.) dürften
gezeigt haben, daß das doch möglich ist, d. h. daß
ein solcher Kult erst sehr spät aufgekommen sein
kann; zur Erklärung des Christentums darf also gerade
er nicht herangezogen werden.

So ist allerdings an dem Grundgedanken des
P.'sehen Buches und manchen Einzelheiten Kritik zu
üben, aber diese Ausstellungen treten doch durchaus
zurück hinter der bewundernden Anerkennung, die man
ihm als Ganzem zollen muß. Wie für seine früheren
Arbeiten, so hat P. auch für diese fast die gesamte
einschlägige Literatur berücksichtigt und mit sicherem
Blick aus ihr fast durchweg die richtigen Antworten
auf die mancherlei Fragen, die die Mysterien aufstellen,
herausgelesen. Seine Diktion ist auch hier äußerst gewandt
und lebendig; ein Versehen ist mir nur auf S. 3,
sofern da Völkerpsychologie im Wundtschen Sinne als
gleichbedeutend mit Folklore gilt, und auf S. 101, sofern
hier von W. statt von E. Schürer die Rede ist, aufgefallen
; auch der Druck ist so gut wie fehlerlos. Natürlich
wird jeder Leser das Buch mit Cumonts orientalischen
Religionen im römischen Heidentum vergleichen;
aber es kann sich neben diesem Werk durchaus mit
Ehren sehen lassen und ergänzt es in manchen Beziehungen
— nicht nur durch die ersten beiden Kapitel, die
ja bei C. selbstverständlich überhaupt keine Parallele
haben.

Bonn. Carl C leinen.

L e i p o 1 d t, Johannes u. a.: Handbuch der Religionswissenschaft.

9. Heft: Religionspsychologie, Theol. Lage der Gegenwart, Kirchen
und Sekten, Christentumsfeindliche Strömungen in der Gegenwart
von Friedr. Beta, Erich Schaeder, Otto Lempp f, Karl Heim.
Berlin: Vossische Buchh. 1922. (105 S.) 8°. = Slg. wiss. Handbücher
f. Studierende und den praktischen Gebrauch III. Bd.
9. Heft.

Über den Wert des Leipoldtschen Handbuches im
allgemeinen wird sich erst urteilen lassen, wenn sämtliche
Abteilungen abgeschlossen vorliegen. Ich enthalte
mich daher einstweilen jeder Äußerung über das Grundprinzip
und die Anlage des Handbuches als solchen; ich
beschränke mich auf einen kurzen Bericht über das hier
allein in Frage kommende 9. Heft.

Dieses 9. Heft umfaßt sehr verschiedenartige Gegenstände
. An erster Stelle steht die „R e 1 i g i o n s -
Psychologie", behandelt von Friedr. Beta (Pfarrer
in Burg bei Magdeburg), der sich schon durch seine
Übersetzung des vielgenannten Starbuckschcn Buches bekannt
gemacht hat. Beta gibt zunächst einen Überblick
über einige Hauptwerke und verbreitet sich dann über
die Anwendung der Religionspsychologie in Theologie
und Kirche. Die sehr knapp gehaltene Skizze gibt eine
wesentlich objektive Orientierung, läßt aber in prinzipieller
Hinsicht die nötige Schärfe in Fragestellung und
Zielbestimmung vermissen. Wie eine rechtmäßig als
„r e 1 i g i o n s psychologisch" zu bezeichnende Denk-
und Arbeitsweise von einer allgemein-psychologischen
Behandlung religiöser Probleme zu unterscheiden ist,
wird nicht klargestellt. Daher wird dann auch weder
auf die psychologische Struktur des religiösen Bewußtseins
als solche, noch auf ihr Verhältnis zu seiner logischen
Struktur die Aufmerksamkeit gelenkt. Das Verhältnis
der religionspsychologischen Arbeit zum Wahrheits
-Interesse des religiösen Glaubens wird zwar als
Problem genannt, aber die übergreifende Bedeutung
dieser Frage wird nicht herausgestellt und es wird daher
auch kein Versuch gemacht, Richtlinien für ihre Beantwortung
zu bieten.

An zweiter Stelle spricht Erich Schaeder über die
„theologische Lage der Gegenwart". Auch
hier ist die Behandlung zu skizzenhaft, als daß sie eine
tiefere Einführung in den Stand der Probleme vermitteln
könnte. Sehr erfreulich ist aber, daß Schaeder die gemeinsamen
Voraussetzungen aller heutigen evangelischtheologischen
Arbeit stark unterstreicht: jeder Gedanke
an eine äußerlich autoritative Bindung des Glaubens und
mit ihm der Theologie an das kirchliche Dogma habe
aufgehört; die Theologie stehe und falle mit den Gesichtspunkten
der persönlichen Glaubensgewißheit, des
Glaubenserlebnisses oder der Glaubenserfahrung. Von
hier aus gibt dann Schaeder auch seinem Programm