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Ausgabe:

1924 Nr. 17

Spalte:

379-381

Autor/Hrsg.:

Schneider, Johannes (Hrsg.)

Titel/Untertitel:

Kirchliches Jahrbuch für die evangelischen Landeskirchen Deutschlands 1923. 50. Jahrg 1924

Rezensent:

Schian, Martin

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Theologische Literaturzeitung 1924 Nr. 17.

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heit des Christentums wieder Einfalt des Denkens
und der Beobachtung. Er baut sie nicht methodologisch
noch durch eine Standpunktsphilosophie zu, er
wagt eine aufrichtige Diskussion. Und er verliert sich
in keine Künste, weder eigne noch des Gegners, sondern
bleibt sich der einen Entscheidungsfrage scharf bewußt
. Nicht umsonst verlangt er gerade hier das
Schwerste, wenigstens das dem Gelehrten Schwerste,
Naivität.

Besonders hinzuweisen ist in III auf die Auseinandersetzung mit
dem Hinduismus. Schon das, daß Schw. sie als viel dringlicher und
viel schwerer empfindet als die mit Brahmaiiismus und Buddhismus,
zeigt, wie modern er ist; und die Art, in der er ihn abtut, ist das
Glanzstück des Vortrages.

Umso schwerer ist nun die Aufgabe, den Fehler,
nicht in dem Manne, wohl aber im Denken des Mannes
sich deutlich zu machen. Diejenige christliche Gemeinschaft
, der Schw. innerlich am nächsten steht, sind
zweifelsohne die Quäker. Nur daß bei ihm das mächtig
erfahrene Leben im und aus dem heiligen Geiste einerseits
noch entschlossener und unzweideutiger aus dem
Wunder heraus und in das nur tief sich verstehende Allgemein
-Menschliche hinein verlegt ist, und er andrerseits
die Spannung zwischen diesem wahren Leben und der
Welterfahrung — darin ist er halt Deutscher — viel
schärfer als tragische Notwendigkeit empfindet und darum
die Hingabe an dies Leben von der Hoffnung auf
ein Reich Gottes hier auf Erden so gut wie löst. Hieraus
entnehme ich nun das Recht zu einer Frage: wenn
der Gegensatz wirklich so groß ist zwischen der inneren
Erfahrung des göttlichen Liebeswillens als der
Macht, der wir gehören und aus der wir wirken,
und der Erfahrung von der Welt sonst, sollte es
dann nicht nötig sein, über das Zustandekommen der
ersten Erfahrung als über etwas, das höchst merkwürdig
ist, nachzudenken ? Als das Kernstück evangelischer
Erkenntnis muß doch wohl die Beantwortung
der Frage gelten, quomodo detur Spiritus sanctus. Schw.
gibt in I von sich selbst, in II vom Neger genug Beobachtungen
, die auf eine andre Antwort hinführen als
die von ihm gegebene: der Strom dieses Lebens sei zutiefst
in jedem Menschen da; man müsse ihn nur
spüren und sich von ihm tragen lassen. Er erzählt von
sich, wie er durch Schuld und Scham in kleinen Dingen
gewendet wurde zur Liebe; er spricht von der Bekehrung
des Negers. Aber er sieht nicht, wie wichtig
diese Dinge sind für das Verständnis des Christentums;
er deutet sie nicht aus auf ein lebendiges den natürlichen
Sinn des Menschen erst bezwingendes Handeln
Gottes. Daher erklärt sich die Sprödigkeit Schw.s gegenüber
unmittelbar religiösen Begriffen, die bei ihm arg
im Unbestimmten bleiben. Daraus erklärt sich auch, daß
Schw. die Lebendigkeit Gottes nicht so anschaulich
heraustreten lassen kann, wie er es nach seinen eignen
Sätzen über den christlichen Gottesgedanken müßte.

Meine Anzeige verhüllt nicht, daß die drei Schriften
im strengsten Sinne nicht wissenschaftlich sind; aber
die Wissenschaft, insbesondere die Theologie, hat die
Kraft und die Pflicht, auch aus Nichtzünftigem zu lernen
, ohne darum von der eignen Art und Strenge zu
weichen.

Güttingen. E. Hirsch.

Jahrbuch, Kirchliches, für die evangelischen Landeskirchen Deutschlands
1923. Ein Hilfsbuch zur Kirchenkunde der Gegenwart. In
Verbindung mit Anderen hrg. v. Pfarrer D. J. Schneider.
50. Jahrgang. Gütersloh: C. Bertelsmann. (XII, 484 S.) 8°.

Gm. 8—; geb. 10—.

Der 50. Jahrgang des langsam, aber sicher bekannt
gewordenen Jahrbuchs gibt als Jubiläumsbeitrag
eine Geschichte des Buchs, die auf die grundsätzliche
Wertung der kirchlichen Statistik wie der Kirchenkunde
wie auf einige wichtigere Fragen der Organisation des
Werks (Frage der Objektivität) eingeht. Einen weiteren
Aufsatz über ein allgemein-kirchliches Thema, wie sonst
häufig, bringt der Jahrgang nicht; mir scheint, bei der

Knappheit des Raums sollten solche Aufsätze, so wertvoll
sie sein mögen, fortbleiben; sie sind nicht Aufgabe
gerade dieses Unternehmens. Der kirchl. Schematismus
und Personalstatus der Behörden ist diesmal fortgelassen
, was ich bedaure. Mindestens alle zwei Jahre
muß m. E. dieses Kap. erscheinen. Die übrigen Kapp,
finden sich wie immer: Gemeinde und Gemeindeorganisation
(Schian); Kirchliche Statistik (Schneider);
Innere Mission (M. Ulbrich); Heidenmission (P. Richter
); Juden und Judenmission (E. Schaeffer); Inner-
kirchliche Evangelisation (Bunke); Evang. Auslandsdeutschtum
(Schubert); Vereine (C. Frick); Kirche und
Schule (Bachmann); Kirchliche Zeitlage (Schneider);
Totenschau (Schneider). Natürlich kann man in manchen
Abschnitten die Stoffwahl kritisch beurteilen; das
gilt am meisten von den umfassendsten Gegenständen
wie Innere Mission, Vereine, Kirchliche Zeitlage. Das
Kap. Innere Mission wählt nur aus; es läßt vieles, auch
Wichtiges, beiseit (z. B. Apologetik, Volksmission usw.);
es enthält einen kleinen Abschnitt mit dem merkwürdigen
Thema: „Vereine und andere Organisationen", das
ja gerade so gut das Thema des ganzen Kap.s sein
könnte. Beim Kap. Vereine sind i. A. größere Vereine
besprochen, die sonst nicht vorkommen; aber wenn
der „Verein Philadelphia zur Pflege gemischter Ehen"
genannt wird, so mußten doch noch hundert andere genannt
werden. Bei der kirchlichen Zeitlage muß der
Bearbeiter in ganz besonderem Maße freie Hand in der
Auswahl des Wichtigen haben. Schneider greift vielleicht
manchmal etwas weit in den „Untergrund" hinein;
Kriegsschuldfrage und Ruhreinbruch würde ich nur
soweit, als das kirchliche Leben berührt wird, behandeln
, während er den Kreis viel weiter zieht. Sehr wertvoll
ist die Übersicht über die „Verfassungsfragen";
höchst lesenswert aber auch die Darstellung der innerkirchlichen
Zeitlage. Mein eigener Beitrag müßte, wie
ich gern einmal feststelle, die wirklichen Fortschritte
des Gemeindelebens viel umfassender buchen. Aber
über die im Kap. Statistik erörterten Themata hinaus ist
es fast unmöglich, dazu einigermaßen ausreichenden
Stoff zu bekommen. Das Geschehen auf dem Gebiet
freier Vereine ist ja sonderbarerweise leichter zu erfassen
als das auf dem Gebiet der organisierten Gemeinden
. Auch sonst hätte ich hier und da Wünsche.
Ich halte zwar die Kritik, die G. Dehn (Zwischen den
Zeiten 1923, Heft 4, S. 78 ff.) am 49. Band dieses
Jahrbuchs geübt hat, für durchaus ungerecht; und was
der Herausgeber S. 11 f. über die „Objektivität" des
Urteils sagt, ist sicher zutreffend; aber zuweilen würde
ich doch etwas stärkere Zurückhaltung empfehlen. Mißlich
ist, daß das vielgestaltige Material des Kap. Innere
Mission schwer übersehbar ist; eigentlich müßte es dazu
(und vielleicht zum ganzen Band?) ein alphabetisches
Register geben. Die Totenschau ist ein Schmerzenskind
des Herausgebers; ich würdige die Schwierigkeiten der
Sammlung des Stoffs durchaus. Aber sehr zu wünschen
wären ausgiebigere tatsächliche Mitteilungen (die allgemeine
Würdigung scheint entbehrlich) über Lebensgang
usw. Namen ohne stärkere Bedeutung sollten fortbleiben
. Der Verlag müßte besondere Mittel zur Erlangung
von Auskünften zur Verfügung stellen. Für
mehrere Kapp, gilt, daß ganz genaue Quellenangabe für
die gebotenen Mitteilungen vielen Lesern erwünscht
wäre; es fehlt in dieser Hinsicht durchaus nicht alles,
aber doch Mehreres. Aber diese Bemerkungen sollen nur
helfen, das treffliche, äußerst nützliche, jedem kirchen-
kundlich Arbeitenden wirklich unentbehrliche Jahrbuch
vielleicht noch ein wenig näher an das Ideal heranzurücken
. Der Herausgeber hat in letzter Zeit viel Dank
und Anerkennung für seine Arbeit erfahren; er hat sie
wohl verdient. Auch die theologische Wissenschaft muß
ihm danken. Er liefert der Kirchenkunde, der gesamten
Praktischen Theologie wertvollstes, höchst instruktives,
im Ganzen auch leicht handhabbares Material. Je
schwieriger infolge des Eingehens der Chronik der