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Ausgabe:

1924 Nr. 1

Spalte:

20

Autor/Hrsg.:

Leese, Kurt

Titel/Untertitel:

Die Geschichtsphilosophie Hegels 1924

Rezensent:

Schweitzer, Karl

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Seite 1

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Ii)

Theologische Literaturzeitung 1924 Nr. 1.

20

das gesamte kirchl. und gelehrte Leben nach Württembergischen
und Sächsischen Vorbildern um- und neuzugestalten
. Noch liegen von des letzteren Hand etliche Me-
moriale vor, die deutlich seinen großen Einfluß erkennen
lassen. Nur allzubald schied er aus Ansbach, vielleicht daß
er sich mit dem melanchthonisch gerichteten Generalsuperintendenten
doch nicht ganz verstand; so kam das ganze
Werk ins Stocken; man begnügte sich mit der Säkularisation
der Stifte Feuchtwangen und Ansbach, während
man Kloster Heilbronn noch bestehen ließ, da man hier
eine Fürstenschule als Ersatz für die Hochschule errichten
wollte. Wie weit hier Einflüsse von andersher
maßgebend waren, wäre erst noch zu untersuchen. Sind
hier aber die treibenden Persönlichkeiten einigermaßen
greifbar, so sind wir bezüglich der Konsistorialordnung
1594 ganz im Dunkeln. Soviel von ihr geredet wird,
so wenig hat man ihre Entstehung und Bedeutung bis
jetzt ganz zu beleuchten unternommen. Es ist aber klar,
daß auch sie nur der Abschluß eines längeren Prozesses
ist. Eine Lösung dieser Fragen würde auch dem Universitätsplan
1594/95 die rechte Stellung anweisen; denn
es geht nicht an, ihn aus einer Entwicklungsreihe herauszureißen
.

Hatte Jordan für die Zeit des Markgrafen Georg
Friedrich 1556/1603 fast das meiste fertig gestellt, für
die Zeit des Markgrafen Christian 1603/55 wenigstens
viel Material gesammelt, so hatte er für das folgende
Jahrhundert nur die großen Richtlinien geben können
. Der Herausgeber hat aber doch gut getan,
wenn er auch diese Zeit mit zum Drucke brachte, obwohl
er selbst nur zu gut gefühlt hat, daß gerade hier,
wie oben angedeutet ist, noch viel geforscht werden
muß.

Ich verzichte darauf, Nachträge oder Berichtigungen
zu geben, und möchte nur bemerken, daß das Verzeichnis
der Gelehrten S. 66 ff. noch einer strengen Sichtung mir
bedürftig erscheint; gebe aber der Hoffnung Ausdruck,
daß die Arbeiten Jordans doch noch zu einem völligen
Abschluß kommen werden.

Roth bei Nürnberg. K. Schornbaum.

Beck, Erich: Die russische Kirche. Ihre Geschichte, Lehre und
Liturgie mit bes. Berücks. ihrer Unterscheidungsichren und ihres
Verhältnisses zur röm. Kirche. Bühl i. Baden: „Unitas" 1922. (112
S.) gr. 8° Gz. 0.60.

Dankenswert ist die S. 89 ff. dargebotene Obersetzung der gebräuchlichsten
Form der russischen Liturgie. Die Abweichungen der
Lehre der russischen Kirche von der römisch-katholischen werden in
möglichst entgegenkommender Weise behandelt, aber ohne auf die
zu Grunde liegenden Anschauungen einzugehen. In der dem Ganzen
vorausgeschickten reichen Literaturübersicht werden nur vier Schriften
in russischer Sprache namhaft gemacht. Es fehlen die grundlegenden
Darstellungen der Kirchengeschichte Rußlands von Makarij
und Golubinskij (freilich auch das deutsche Werk von K. K. Graß.
Die russischen Sekten, Lpz. 1907 ff.). Die üblen Folgen einer solchen
Beiseitesetzung der russischen Literatur konnten nicht ausbleiben.
Auf fast keiner einzigen Seite der Darstellung der russischen
Kirchengeschichte ist nicht Ungenaues, Schiefes oder auch direkt Unrichtiges
zu beanstanden. Auf das Einzelne einzugehen verbietet
der Raum. Ich erwähne beispielsweise die Berichte über die angeblichen
Versuche im 11. und 12. Jahrh., die russische Kirche von Konstantinopel
unabhängig zu machen (S. 18f.); über des Metropoliten
Isidor „Plan" einer Union mit Rom, die auf religiösen Interessen
beruhend, aus weltlich politischen gescheitert sein soll, Isidor selbst
nur wie durch ein Wunder dem Feuertod entgangen; über Jagcllos
„Feuereifer für die christliche Lehre". Der Kiever Metropolit war
nicht „der Schiedsrichter über die russischen Fürsten" (so S. 29).
Natürlich ist auch noch zu lesen, daß der bekanntlich im, 18. Jahrh.
erdichtete Mönch Martin der Stammvater des russischen Sektenwesens
geworden sei (S. 27), Baschkin (verurteilt 1553), der gar
keine eigene Lehre hatte, „Anstifter" einer rationalistischen Ketzerei
(S. 28). Nicht hat eine starke Opposition gegen seine liturgische
Reform Nikon bestimmt, sich in sein Kloster zurückzuziehen, sondern
nur die Ungunst des Zaren (gegen S. 35). Daß die russischen
Mönche „eine weit bessere Bildung" besitzen als die Weltgeistlichcn
(S. 41), ist einfach Behauptung. Die Professoren der gcistl. Akademien
waren fast durchweg keine Mönche. Der Patriarchat stand
nicht mehr auf seinem Höhepunkt, als ihn Peter d. Gr. beseitigte

(gegen S. 45). Der gegenwärtige Patriarch heißt nicht Silvester
(so S. 82). — Doch ich breche ab.

Göttingen. N. Bonwetsch.

Leese, Lic. Kurt: Die Geschichtsphilosophie Hegels. Auf

Grund der neu erschlossenen Quellen untersucht und dargestellt.

Berlin: Furche-Verlag 1922. (313 S.) 8° Gz. 6—; geb. 9—.

Leese's gründliches Buch ist aus einem doppelten Gesichtspunkt
zeitgemäß und zu begrüßen. Einmal kann es die Kenntnis Hegels,
des Vielgeschmähten und selten Gelesenen, vermitteln helfen; zum
andern zeigt es, wenn es auch nur an einzelnen Stellen ausdrücklich
ausgeführt ist, die Mittel, mit denen Spengler wirksam zu bekämpfen
ist. Es wird hier endlich, was schon längst hätte geschehen
müssen, die starke, von ihm selbst seltsamerweise verschleierte
Abhängigkeit Spenglers von dem „vielleicht größten Philosophen
des Abendlandes", Hegel, nachgewiesen, der, wie Leese
hübsch schreibt, „entscheidende Gedankengänge Spenglers vorweggenommen
hat". „Längst hätte Spenglers groß gedachtes Buch nicht
die faszinierende Wirkung gehabt, wäre Hegels Geschichtsphilosophie
dem gebildeten Publikum, wie es scheint, nicht nahezu unbekannt geblieben
... Spenglers Geschichtsphilosophie, wenn man sie überhaupt
so nennen darf, enthält letzten Endes in methodischer Hinsicht
keinen Gedanken, der nicht bereits von Seiten Hegels wohl
erwogen oder doch in Betracht gezogen wäre", nur daß Spengler
„eine Seite der Hegel'schen Geschichtsphilosophie, die biologischorganische
, zur ausdrücklichen gemacht" hat (S. 92f.). Auch das wird
in diesem Zusammenhange klargestellt, wie schief es ist, wenn Spengler
sich auf Goethe beruft. Gerade in den entscheidenden Punkten,
in denen Spengler von Hegel abweicht, sind Goethe und Hegel einander
nahe verwandt.

Die eigentlich wissenschaftliche Leistung sieht der Verfasser aber
in der Aufgabe, „zum erstenmal eine Gliederung der Hegel'schen
Geschichtsphilosophie unter dem systematischen Gesichtspunkt ihres
leitenden Grundgedankens vorzunehmen". Dieser leitende Grundgedanke
ist die dialektische Methode (S. löff.). Wir lassen es dahingestellt
, ob hier wirklich zum ersten Mal dieser „Angelpunkt" gefunden
worden ist. Uns scheint, daß auch schon vor Leese keiner
ernsthaft in das Verständnis Hegels eingedrungen ist, der diesen Gesichtspunkt
übersehen hätte. „Die logische Struktur", auf deren
Herausarheitung es Leese allein ankommt, ist doch auch aus der von
Brunstäd besorgten Reclamausgabe deutlich genug zu lesen, auch wenn
sie dort nicht ausdrücklich im Inhaltsverzeichnis erscheint. (Dies
gegen das auf S. 143 Gesagte.) Immerhin soll das Verdienst dieses
Buches, das zum erstenmal die neue Lasson'sche Aufgabe mit berücksichtigt
, nicht geschmälert werden. Es enthält einen gründlichen,
alles Wichtige bringenden Auszug aus Hegel, und es ist wohl nicht
Zufall, daß der Verfasser, wenn er Hcgcl'sche Gedanken wiedergeben
will, unwillkürlich immer wieder wörtlich zitiert. Hegels prägnante
Ausdrucksweise wird eben durch jede Umformung abgeschwächt. Erfreulich
ist, daß im Unterschied von den seit langem üblichen Darstellungen
energisch dem schwer auszurottenden Irrtum entgegengetreten
wird, als habe Hegel „die empirische Geschichte vergewaltigt",
wo doch das Gegenteil nachweisbar ist. „So ist Hegel eines der
größten Genies philosophischer Konstruktionskraft und Systembildung,
zugleich einer der größten Empiriker geworden, ein Polyhistor von dem
erstaunlichsten Umfang des Wissens, darin nur mit Aristoteles etwa
zu vergleichen, obwohl er auch diesen noch um ebensoviel übertrifft,
wie Umfang und Tiefe der modernen Bildung die der Alten." (Kronenberg
bei Leese, S. 39.) „Man versteht Hegel nicht, wenn man unter
dem Schleier seiner reichlich formalistischen Ausdrucksweise das drängende
Leben nicht sieht, das dieser Philosoph des Lebendigen, selbst
durch die charaktervolle Methode der Dialektik kaum zu bändigen
vermag" (S. 219). Hegels Satz „Was vernünftig ist, das ist wirklich
, und was wirklich ist, das ist vernünftig" wird mit Recht so gedeutet
, daß unter Wirklichkeit nicht alles Existierende zu verstehen
ist. Ebenso wird der Hegel'sche Entwicklungsgedanke scharf vom
bloßen Fortschrittgedanken abgegrenzt. (S. 62 ff., S. 72) und Ranke
in nächste Nähe mit Hegel gerückt (S. 137, Anm.). Auch das Mißverständnis
, als habe Hegel mit seinem System das Ende der Geschichte
übeihaupt dekretiert, wird, wie schon von Brunstäd, aufgeklärt: „Mit
der christlichen Religion ist die absolute Epoche in der Weltgeschichte
eingetreten. Aber eben, weil es sich um ein absolutes Prinzip
handelt, ist seine Einbildung in die endliche ,Natur' seines
existierenden weltlichen Daseins eine niemals fertige, sondern eine,
man muß sagen, unendliche Aufgabe" (S. 3(16 f.). Im übrigen
enthält das ganze Buch, so wie Hegels Oeschichtsphilosophie selbst,
eine Überfülle von Anregungen, die es im höchsten Maße lesenswert
machen. Wir stimmen dem Verfasser durchaus zu, wenn er im Vorwort
schreibt „niemand sollte über Dinge, die in dieses Gebiet gehören,
reden oder schreiben, der nicht mit der ungeheuren Leistung Hegels
vertraut ist".

Potsdam. C. Schweitzer.