Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1924 Nr. 17

Spalte:

365-366

Autor/Hrsg.:

Harris, Rendel

Titel/Untertitel:

Testimonies 1924

Rezensent:

Dobschütz, Ernst

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

365

Theologische Literaturzeitung 1924 Nr. 17.

2. S. 21 usw.), statt daß wir angesichts unserer dürftigen
, sich über weite Zeiträume erstreckenden Quellen
vielmehr die entgegengesetzte Methode treiben müßten.
Die Beweisführung für die kühnen Hypothesen im einzelnen
ist keineswegs überzeugend, und Vf. zeigt sich bisweilen
nicht bloß stark konstruierend, sondern auch
flüchtig. Saul soll nach seiner Bluttat Qibea gemieden
haben, weil ihm der Boden unter den Füßen brannte;
tatsächlich sucht man ihn aber nach wie vor in Qibea
auf, wie Vf. selbst erwähnt; die seltene Erwähnung
seines Wohnorts ist in diesen Davidsberichten durchaus
begreiflich. Oibeat wird das einemal als möglicher
status constructus von Gibeon angeboten; ein
andermal ist Qibea kanaanitischer Vorläufer des israelitischen
Stadtnamens Gibeon. Daß Saul aus Sela' (seiner
ursprünglichen Heimat) nicht habe nach einer unweit
entfernten Stadt (dem heutigen telel-ful) als Residenzort
übersiedeln können, ist eine bloße Behauptung; übrigens
ist ed-dschib auch nicht viel weiter. Weil der Ausdruck
ba'ale Ri. 20, 5 von den Einwohnern üibeas gebraucht
ist wie in Ri. 9 von den kanaanitischen Einwohnern
Sichems, so schließt Vf., daß auch in Ri. 20 die Einwohner
Kanaaniter gewesen seien! usw.

Als Ergebnis möchte ich zusammenfassen: Die
Gleichsetzung des Heiligtums von Gibea (Gibeon) mit
Mispa (Nebi Samwil) wird abzulehnen sein. Ed-dschib
selbst ist ein beherrschender Hügel und die große
Bama Gibeons lag wohl auf der Höhe dieses Hügels
selbst. Nebi Samwil und Gibeon sind landschaftlich
nicht so dicht beisammen und gehören im Landschaftsbild
nicht so eng zueinander, daß man die Höhe von
Nebi Samwil als das Heiligtum von Gibeon betrachten
könnte. Ebenso könnte man Nebi Samwil und telel-ful
verbinden. Weiter sind abzulehnen die Gleichsetzung des
Heiligtums von Gibeon mit Nob und die Verlegung des
Frevels von Ri. 19 in die kanaanitische Zeit der Stadt.
Dagegen glaube ich auch, daß die Frage Gibeon-Gibea
und die Frage der Örtlichkeit Gibeas noch nicht abgeschlossen
ist, und ich gebe zu, daß in dieser Frage der
Vf. die Forschung stark angeregt und gefördert hat.
Leider kennt Vf. die amerikanische Ausgrabung des
tel el-ful von 1922 noch nicht und setzt sich mit ihr
nicht auseinander.
Tübingen. P. Volz.

Harris, Rendel : Testimonies. With the assistance of Vacher ßurch.
Cambridge, University Press I. 1010. 138 S. 8°. II. 1920. 150 S. 8°.

Dies Werk stellt sich neben A. von Ungern-Stern-
bergs sorgfältige Studie „Der traditionelle alttestament-
liche Schriftbeweis de Christo und de Evangelio in der
alten Kirche bis zur Zeit Eusebs von Caesarea," Halle
1913, worin die sich aus dem Consensus bei Justin,
Irenaeus und Tertullian ergebende Alternative: gemeinsame
Quelle als literarisches Produkt oder als nicht
festgeprägter Traditionsstoff, zugunsten der letzteren Annahme
entschieden worden war. Rendel Harris ist durch
seine Studien über die Geschichte der antijüdischen
Polemik bei den Christen, ohne v. Ungern-Sternbergs
Untersuchung zu kennen, auf die andere Seite der Alternative
geraten: ihm drängte sich die Vermutung auf, daß
seit alters ein Handbuch der Polemik, eine Sammlung
von alttestamentlichen Belegstellen existierte, dessen Benutzung
sich durch die ganze Controversliteratur hindurch
verfolgen läßt. Der 1. Band sucht dies alte
Manual aus den bekannten antijüdischen Schriften wie
Cyprians Testimonia, Gregor v. Nyssa adv. Judaeos,
aber auch schon Justin's Dialog und all den anschließenden
Dialogen wie der von Harnack einst 1883 für
Aristo von Pella in Anspruch genommenen Altercatio
Simonis et Theophili — ich habe dies Material anläßlich
der Veröffentlichung einer bisher unbekannten
Sammlung alttestamentlicher Testimonia adv. Judaeos
im Journ. of theol. Stud. XVI 61, 1914 Oct. 1—27 kurz
zusammengestellt — zu rekonstruieren, über Justin und
Barnabas bis auf den Anfang des 2. Jahrhunderts zurückzuführen
und (in Anlehnung an einen Gedanken
Burkitts über die ursprüngliche Bedeutung von ra löyia
im Papiaszeugnis =■ Alttestamentliche Orakel, Weissagungen
auf Christus) als Werk des Apostels'
Matthaeus zu erweisen. Der 2. Band geht dann der
Benutzung in der urchristlichen Literatur eingehend
nach: Spuren dieser Sammlung werden bei Paulus und
den Evangelisten, aber auch sonst im N.T. aufgedeckt
und sogar die Frage aufgeworfen, ob nicht schon Jesus
selbst eine solche Sammlung benutzt habe.

Eine Fülle wertvollen Materials und beachtenswerter
Anregungen ist hier geboten — ganz abgesehen
von den Mitteilungen aus bisher ungedruckten Texten;
aber es ist ähnlich wie bei den Arbeiten von A. Resch:
bewundernswerte Gelehrsamkeit wird verschwendet an
eine unhaltbare These. Man wird beim Lesen eine
Menge kostbarer Wissensbereicherung dankbar buchen,
aber das Ganze doch ablehnen. Schon im 1. Teil bleibt
Rendel Harrris den Beweis schuldig; im 2. Teil arbeitet
er vollends nur mit Möglichkeiten, denen schon zur
Wahrscheinlichkeit viel fehlt. Harris macht m. E.
die Fehler, daß er trotz theoretischer Betonung der Beweglichkeit
und Unterschiedlichkeit des Stoffes praktisch
überall die eine gleiche Zitatensammlung voraussetzt
, während doch offenbar jeder Leser des A.T.s
sich leicht eine solche anlegen konnte und viele sie angelegt
haben werden; daß er gar nicht mit der Macht
der Überlieferung rechnet, die in jener gedächtnisstarken
Zeit bei den Juden solche Stoffe durch Generationen
hindurch in immer neuen Verbindungen fortwälzt; daß
er gleiche Zitationsfehler oder Verknüpfungen von Zitaten
immer sofort als Beweise für die Benutzung einer
solchen Zitatensammlung ansieht, während sie sich oft
ganz leicht anders errklären z. B. Mk. 1,2 f. ist Mal.
3,1 aus Q. (Mt. 11,10; Lk. 7,27) interpoliert. Die
Verhindung von Ps. 110,3 und 71,6 bei Justin, Gregor
v. Nyssa und Barsalibi ist in der sachlichen Affinität
begründet; kann nicht Justin die merkwürdige Beziehung
von Hos. 10, 6 auf Christus vor Herodes entdeckt und Ire-
näus, Tertullian, Cyrill, Rufin sie von ihm übernommeil
haben? Warum soll ein falsches Zitat wie Mt. 27, 9 einem
Abschreiber der Zitatensammlung statt einem Gedächtnisfehler
des Evangelisten zur Last fallen? Harris
leitet die krausen Gedankengänge bei Barnabas aus den
angeblich auf das alte Testimonienbuch zurückgehenden
Titeln der cyprianischen Sammlung ab: danach hätte also
Cyprian selbst diese Überschriften abgeschrieben! Das ist
der Hauptfehler der Harris'schen Methode; sie mechanisiert
! Keiner der Späteren brauchte mehr zudenken und
in der Schrift zu suchen; es lag ja alles schon wohl vorbereitet
in dem uralten Testimonienbuch des Apostels
Matthäus vor! Das ist genau so unwahrscheinlich wie
das hebräische Urevangelium als Quelle aller Agrapha
bis in die spätesten Jahrhunderte. Es ist auch ganz unpsychologisch
: machen wir es denn so, daß wir immer
nur überkommenes aus alten Sammlungen abschreiben?
Schöpft Rendel Harris seine kühnen Kombinationen aus
alten Manualen? In meinem Beitrag zur Baudissin-Fest-
schrift 1918 über Prophetenbilder und Prophetensprüche
konnte ich zeigen, daß derselbe Gedanke immer wieder
in anderer Ausführung wiederkehrt. Auch hier ist eine
geistige Tradition, nicht ein literarisch fixiertes Schema
benutzt.

Halle a. S. von Dobschütz.

Li etzmann, Prof, D. Hans: An die Korinther I. II., erklärt. 2.,
neub. Aufl. Tübingen: J. C. B. Mohr 1923. (160 S.) gr. 8°.

Ders.: An die Galater, erklärt. 2., neub. Aufl. Ebd. 1923 (42 S.)
gr. 8°. = Handbuch zum Neuen Testament 9 u. 10.

Die ersten Auflagen dieser Kommentare sind
1907/1910 erschienen. Die neuen Auflagen sind in
ihrem Gesamtbilde kaum verändert. Geblieben ist die
äußere Form, nur daß die Übersetzung jetzt nur am
Kopf der einen Seite gegeben ist, was die Übersicht
über den Text erleichtert. Geblieben ist die Anlage der