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Ausgabe:

1924 Nr. 16

Spalte:

359

Autor/Hrsg.:

Sapper, Karl

Titel/Untertitel:

Das Element der Wirklichkeit und die Welt der Erfahrung 1924

Rezensent:

Jordan, Bruno

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359

Theologische Literaturzeitung 1924 Nr. 16.

360

ganz vollwichtig, aber er operiert mit einem künstlich entleerten
Kirchenbegriff, wenn er Kirche einfach
gleich Verband mehrerer evangelischer Gemeinden
setzt. Dieser Kirchenbegriff steht zweifellos nicht
nur mit dem ganzen katholischen Kirchenrecht
sondern auch mit dem älteren protestantischen im
Widerspruch, und wird von den meisten Kirchenrechtlern
der Gegenwart nicht anerkannt. Vielmehr behaupten
sie, daß zum Wesen der Kirche die Übereinstimmung in einer
religiösen Überzeugung und in einem Bekenntnis gehört. Der Evangelische
Oberkirchenrat geht nun gerade von dieser Begriffsbestimmung
aus und deduziert aus der Tatsache, daß eine Kirche die verschiedenartigen
evangelischen Gemeinden ihres Gebietes umschließt, auch dies,
daß diese Gemeinden alle eine Religionspartei, eine Bekenntnisgemeinschaft
bilden, innerhalb deren die fortdauernden Unterschiede
des lutherischen und reformierten Bekenntnisses nur den Charakter
eines Zusatzes, eines Attributes zur Substanz haben. Es wird sehr
schwer sein, diese Kontroverse mit rein juristischen Mitteln zu
schlichten. Darf sich der Evangelische Oberkirchenrat, der in
Marssons Schrift das Objekt schwerer Angriffe ist, nicht darauf berufen
, daß die M.'sche Verwischung des Begriffs der Kirche ganz
unerträglich ist? Und ferner darauf, daß er mit der inneren Entwicklung
des deutschen Protestantismus im letzten Jahrhundert doch besser
im Einklang ist als jener? M. sieht in der Verwischung der Bekenntnisunterschiede
zwischen Lutheranern und Reformierten nur eine
Fehlentwicklung. Richtig ist, daß die Landeskirche Preußens keine
einheitliche Religionspartci darstellt, daß deshalb die Behauptung der
Landeskirche, eine Bekenntnisgemeinschaft zu sein, eine Fiktion und
die künstliche Verhüllung eines tatsächlich vorhandenen Dissensus
darstellt. Aber die Lösung aus dieser Lage muß nach unsrer Meinung
gerade in der M.s Absichten entgegengesetzten Richtung liegen,
nämlich in der, die das preußische Kirchenregiment, wenn auch hinter
einer leidigen Kulisse verfolgt, diese Unterschiede der Formung der
religiösen Idee des Protestantismus nicht zu verfestigen, sondern ins
Unwesentliche zurückzuschieben. Man denke sich einmal in die
Praxis hinein. Wenn jeder einzelne evangelische Christ, der seinen
Wohnsitz ändert, erst zu der Überlegung gezwungen würde, ob er die
Gemeinde, die er dort vorfindet, als bekenntnisgleich zu betrachten
habe! Denn der Name der betreffenden Gemeinde kann dafür doch
nicht ausschlaggebend sein. Der Evangelische Oberkirchenrat kann
sich unsres Erachtens nach doch darauf berufen, daß die ungeheure
Mehrzahl der evangelischen Christen innerhalb der Landeskirche nicht
mehr lutherisch oder reformiert, sondern evangelisch sein will, und
daß das Heimatsgefühl des Einzelnen in einer Gemeinde nicht davon
abhängt, welchen Namen die betreffende Gemeinde führt, sondern
was darin geboten wird.

Frankfurt a. M. Erich Foerster.

Sapper, Karl: Das Element der Wirklichkeit und die Welt
der Erfahrung. Grundlinien einer anthropozentrischen Naturphilosophie
. München: C. H. Beck 1924. (XV, 250 S.) 8°. Gm.6—.
Die Schrift erhebt den Anspruch „eine in ihrer Art neue Auffassung
des Naturgeschehens zu bieten": sie will mit Hilfe des Ente-
lechiebegriffsdieGrundziigeeines Bildes vom Naturgeschehen rein theoretisch
darstellen, hält aber die praktische Brauchbarkeit des genannten Begriffs
für den entscheidenden Maßstab für seinen Wert oder Unwert.
Trotz dieser anfechtbaren „methodischen" Grundsätze und Grundgedanken
geht der Verfasser mit unbeirrtem Wagemut an die Konstruktion
einer anthropozentrischen Naturphilosophie, die „aus den
Tatsachen der inneren Erfahrung des Menschen einen neuen Elementbegriff
ableitet". „Die Ichrealität als einfache, zielstrebig wirkende,
qualitativ bestimmte, wissende und wertende Größe gilt als Prototyp
aller Naturelcmcntc; wir nennen es Entclcchie." Es ist klar, daß sich
daraus andere Erklärungsprinzipien ergeben als aus der atomistisch-
mechanistischen Naturauffassung. Besonders bemerkenswert erscheint,
daß die zunächst für das Reich des Organischen zugeschnittene
Deutung auch auf die Welt des Anorganischen übertragen wird. Im
allgemeinen gewinnt man bei wiederholter Lektüre den Eindruck, daß
nicht aus den „Tatsachen" Theoreme entwickelt werden, sondern umgekehrt
an eine vorhandene „Hypothese" zwecks Unterordnung Materialien
herangebracht sind.

Bremen. Bruno Jordan.

Schlund, Dr. P. Erhard, O. F. M.: Die philosophischen Probleme
des Kommunismus, vornehmlich bei Kant. München:
Dr. F. A. Pfeiffer & Co. 1922. (VIII, 287 S.) gr. 8°. Om. 5.50.
„Die vorliegende Arbeit ist gedacht als der erste Teil einer geschichtlichen
und philosophischen Untersuchung über die im modernen
Kommunismus liegenden philosophischen Prohleme. Sie behandelt
in erster Linie Kant. Der Kommunismus wird nämlich mit
Recht „auch als geistige Bewegung" gedeutet. Es wird in eingehenden
gründlichen Untersuchungen etwa folgendes festgestellt: Kant darf
weder als Vertreter desjenigen Kommunismus betrachtet werden, der
das kollektive Eigentum will, noch desjenigen Kommunismus, der die
menschliche Gesellschaft und ihr Kulturleben allein auf dem Oemein-
schaftsprinzip aufzubauen sucht. Im ersten Fall ist zu betonen,
daß Kant mit Hilfe des Begriffs der Communio originaria gerade das
Sondereigentum rechtsphilosophisch sicherstellen will. Im zweiten
Fall: Kant anerkennt zwar durchaus die Bedeutung der Gemeinschaft,
will aber keineswegs das Individuum zugunsten der Gemeinschaft
verdrängen. Auch der religiöse oder gar der chiliastische Kommunismus
dürfen nicht an Kant anknüpfen. Selbst eine reine Gemeinschaftsethik
lehnt der Verfasser für Kant (wie ich glaube in dieser Schärfe
mit Unrecht) ab. Kant wollte aber auch kein Kommunist sein und
hätte keiner sein können. Er gab „beiden ihre Rechte, der Gemeinschaft
und dem Individuum". Die Arbeit des katholischen Verfassers
fällt durch besondere Wärme für Kant auf.

Bremen. Bruno Jordan.

Die neuesten Grabungen in Palästina.

1. In Beisan (Scythopolis) hat C. G. Fisher (nach Amer.
Journ. of Archaeology 1924 S. 87) sehr wichtige Funde gemacht, vor
allem unter einer großen Basilika, die 361 n. Chr. verhrannt wurde,
Überreste einer Festung, die bis 1300 v. Chr. zurückgeht. Eine Stele
von Seti I. berichtet von einem Sieg, den er im ersten Jahr seiner
Regierung gewann; auf einen Hilferuf der Bewohner von Beisan
sandte er drei Divisionen, eine nach Beisan, die andere gegen ihre
Feinde in Hamath, die dritte gegen Jenoam am Fuß des Libanons.
Die Schlacht wurde an einem einzigen Tage gewonnen. Eine Stele
Ramses II. berichtet von einem Feldzug im 9. Jahr seiner Regierimg
und erwähnt, daß er die Semiten sammelte, um die Stadt Ramses
für sich zu bauen („mentions that he collected the Semitcs to build
the city of Ramses for him"). Dazu kommt eine lebensgroße
Statue Ramses III. Die Festung wurde um 1000 v. Chr. durch
Feuer zerstört. Fisher ist jetzt mit reichen Mitteln aus Amerika zu-
rüekgekehrt, um eine gründlichere Ausgrabung vorzunehmen.

2. In Jerusalem gräbt Raymond Weill (nach „Syria"
1924 S. 78) auf dem Optici, wo er das Südende der jehusitischen
Umwallung bloßgelegt und ihren Lauf genau verfolgt hat. Ein großes
Grab, das sicher zur königlichen Nekropole vor Hiskia gehörte, ist
entdeckt worden, leider leer, aber besser erhalten als die drei Gräber
von 1914, die durch römischen Steinbruch fast vollständig zerstört
waren. Macal ister gräbt weiter nördlich auf dem Ophel. Über
seine bisherigen Ergebnisse berichtet die ZAW. 1924 S. 158 f., die
bequem zugänglich ist. Nach „Syria" 1924 S. 78 hat er dort jetzt
ein Lager aus dem „Bronzezeitalter" gefunden, das bereits zahlreiche
Keramik- und Architekturstücke geliefert hat. Nah um Slusch hat
den Sockel des Absalomgrahes bloßgelegt und die Grabkammerii
wieder entdeckt, die dem sogenannten Josaphat-Grabe entsprechen.
W. F. Alhright, Director der American School of Oriental
Research in Jerusalem, berichtet von einem Grabfund südlich von

| Silwan, der zahlreiche Ossuarien ans Licht förderte; ein Dutzend
von ihnen tragen Namen und Genealogien, sämtlich einer und derselben
Familie gehörig, die um die Zeit Christi lebte. Ein Tumulus bei
Malha (sw. von Jerusalem) lieferte zahlreiche Scherben aus dem
Eisenzeitalter um 1100 v. Chr.

3. In Gezer hat Raymond Weill Gräber verschiedener
Zeiten wiedergefunden, deren Inhalt unberührt war und die deshalb
unsere Kenntnisse erweitern werden. In Tantura (Dor) hat die
British School of Archaeology Entdeckungen gemacht, die lehren, daß
dieser Ort schon im 2. Jahrtausend v. Chr. besiedelt war (Ant.
J. 1923 p. 378). In Cäsarea wurde ein römischer Sarkophag gefunden
mit Darstellungen: auf der einen Langseite zwei Greife in
heraldischer Stellung, auf der anderen eine Schlacht zwischen
Griechen und Amazonen (London Times, weekly edition, Nov. 22,
1923 p. 554 f.).

Bcrlin-Schlaehtensee. Hugo Oreßmann.

Erklärung.

Ich erfahre, daß ich in meinem „Paulus von Samosata" (Leipzig
1924, S. 110) einem Irrtum zum Opfer gefallen bin. Herr Professor
Dr. Eugene de Faye stammt nicht, wie ich gesagt habe, aus Genf; er
ist in Lyon geboren und erst nach seiner Studienzeit, als sein Vater sich
nach Genf zurückgezogen hatte, in Berührung mit der Schweiz gekommen
. Seine Familie stammt aus dem Poitou.

Halle a. S. am 8. Juli 1924. Friedrich Loofs.

Die nächste Nummer der ThLZ erscheint am 23. August 1924.
Beiliegend Nr. 16 des Bibliographischen Beiblattes.

Verantwortlich: Prof. D. E. Hirsch in .Göttingen, Nikolattsberger Weg 31.
Verlag der J. C. Hinrichs'schen Buchhandlung in Leipzig, Blumengasse 2. — Druckerei Bauer in Marburg.