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Ausgabe:

1924 Nr. 16

Spalte:

353

Autor/Hrsg.:

Grupp, Georg

Titel/Untertitel:

Kulturgeschichte des Mittelalters. III. Bd. 3., verm. u. verb. Aufl. hrsg. v. Anton Diemand 1924

Rezensent:

Ficker, Gerhard

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353

Theologische Literaturzeitung 1924 Nr. 16.

354

Lieder im 1.Teile, und im 2.Teile unter der Überschrift:
„Ernstes und Heiteres" aus der Profanliteratur unter 10
Nummern 13 Gedichte ganz oder teilweise nach den
brauchbaren Ausgaben abgedruckt. Der kritische Apparat
fehlt; dafür ist eine Art Kommentar gegeben, der
zumeist aus Wortübersetzung besteht. Wie 22 Hymnen
genügen sollen, einen Einblick in die Entwicklung der
Hymnenpoesie zu geben, ist mir unverständlich. Ich
vermag auch nicht zu ersehen, für wen ein Kommentar
berechnet sein soll, der es für nötig hält (S. 6), anzumerken
, daß salvator = Erlöser sei, und nicht für nötig,
den Charakter der leoninischen Hexameter (S. 28, Nr.
10 b) irgendwie zu erläutern. Andechavis S. 28 heißt
auch nicht „zu Angers", sondern „in Angers". Durch
solche dilettantenhafte Leistungen wird das Verständnis
des Mittelalters nicht gefördert.

Kiel. Q. Ficker.

Grupp, Georg: Kulturgeschichte des Mittelalters. 3. Band.
3., vorm. u. verb. Aufl. herausgegeben von Dr. Anton Diemand.
Paderborn: F. Schöningh 1924. (VIII, 421 S. m. 22 Illustr.) gr. 8°.

Gm. 10.20.

Die Besorgung der 3. Auflage von Grupps Kulturgeschichte
ist nach dem Tode des Verf. (f 21. Aug.
1922) dem f. Oberarchivrat Diemand in Wallerstein
von dem Kloster Beuren, an das Grupps Manuskripte
übergegangen sind, übertragen worden. Die 3. Aufl.
zeigt den 3. Bd. um rund 80 Seiten dünner, was durch
Kürzungen und engeren Druck ermöglicht ist. Der Aufbau
des Bandes und der Inhalt sind im Wesentlichen
die gleichen geblieben. Er geht aus von dem germanischen
Heidentum und reicht bis zum Ende der romanischen
Zeit. Viele Änderungen, Ergänzungen, Zusätze
sind gemacht worden; die neuere Literatur wurde herangezogen
und verwendet. So wird die reichhaltige
Stoffsammlung auch in der neuen Auflage gute Dienste
leisten können. Die Abbildungen, die ich wegen Ihrer
Kleinheit und Undeutlichkeit nicht recht schätze, sind
um eine vermehrt worden: S. 141 segnender Bischof
aus dem Maihinger Benediktionale des ll.Jhs. Aus
der 2. Aufl. sind einige Druckfehler übernommen worden
, S. VIII, Z. 8 v. u. Bohault für Rohault; S. 19
wird der Grieche Psellos ins 10. Jh. gesetzt, während er
doch ins 9. oder ins 11. Jh. gehört.
Kiel. G. Ficker.

Vömel, Alexander: Joh. Caspar Lavater 1741—1801. Ein Lebensbild
. Elberfeld: Buchh. d. Erziebungs-Vereins Chr. Buyer 1923.
(211 S.) 8°. kart. Gm. 2—; geb. 2.40; Lwd. 2.80.

Pfarrer Vömel beschäftigt sich seit längerem mit den religiösen
Bewegungen, die an der Überwindung der Aufklärung gearbeitet
haben. Er hat u. a. 1905 Briefe seines Urahnen Jung - Stilling an
seine Freunde, darunter (S. 1—63) auch dessen Briefwechsel mit Lavater
, mit kurzer Einleitung herausgegeben. Auch der Wert seiner
jetzt vorliegenden Lavaterbiographie liegt darin, daß er in ihr Lavater
selbst aufgrund guter Kenntnis seiner Schriften und des Briefwechsels
ausgiebig zu Wort kommen läßt. Im Übrigen bleibt aber
das Büchlein hinter den Erwartungen zurück, da es auf die notwendigen
geistesgeschichtlichen Problemstellungen so gut wie ganz verzichtet
. Dazu hätte Wernles Geschichte des Schweizerischen Protestantismus
im 18. Jahrh., die dem Verfasser unbekannt geblieben
ist, ihm Anregung geben können. Es geht auch in einer an weitere
Kreise sich wendenden Biographie L.s nicht an, ihm nur innerhalb des
Pietismus seinen Platz anzuweisen und ihn nur von da aus verstehen
zu wollen, obwohl V. ja selber genug nicht dorthin gehörige Persönlichkeiten
, mit denen L. in geistigem Austausch gestanden hat, kennt
und nennt, — aber ohne die nötigen Konsequenzen daraus zu
ziehen. Daß auch Basedow und Lavater anderthalb- Jahrzehnte hindurch
in einem 1768 durch Isaak Isclin vermittelten brieflichen und
persönlichen Verkehr gestanden haben, scheint V. entgangen zu sein
(vgl. die Studie Friedr. Fischers über „B. und L", 1912 Straßburg;
aufgrund des Briefwechsels beider im Züricher Lavatcrarchiv).

Breslau. Leopold Zscharnack.

Vigener, Fritz: Ketteier. Ein deutsches Bischofsleben des 19. Jahrhunderts
. Mit einem Titelbild. München: R. Oldenbourg 1924
(XV, 751 S.) gr. 8°. Gm. 18 ; Hlw. 20-.

Als Vigener in dieser Zeitung 1912, Sp. 18 f.,

mein Charakterbild Kettelers zur Anzeige brachte, stellte

er genauere Darlegungen für die nächste Zeit in Aussicht
. Es hat immerhin zwölf Jahre gedauert, bis eisern
Versprechen einlösen konnte. Dafür hat er uns jetzt
ein Werk geschenkt, auf das sein Verfasser und — ich
sage das mit Bedacht — die deutsche Historiographie
mit ihm stolz sein dürfen. Ich gestehe, daß es mich seltsam
berührte, in einer Notiz über das Buch, die mir
jüngst vor die Augen kam, zu lesen, daß Vigeners
Werk, weil es Kettelers Persönlichkeit und Wirken
vielfach in andere Beleuchtung stelle, seine "Berechtigung
neben der umfassenden Darstellung von Pfülf erwiesen
habe. Meiner Meinung nach können diese beiden
Bücher nur deshalb in einem Atem genannt werden
, weil sie den gleichen Gegenstand behandeln. Im
übrigen: Pfülf in allen Ehren. Er hat, wie Vigener
selbst im Vorwort anerkennend hervorhebt, einen außerordentlich
reichen Stoff meist in übersichtlicher Darstellung
, oft in willkommener Unberührtheit dargeboten
. Er war in der Lage, Kettelers Nachlaß durchforschen
zu dürfen, während Vigenern nicht nur dieser,
sondern alles, was das bischöfliche Mainz Kettelers unmittelbar
an Akten, Briefen, Büchern hinterlassen hat,
verschlossen blieb. Insofern hat also Pfülf eine für den
kritischen Biographen unentbehrliche Vorarbeit geleistet
, und Vigener würde, trotzdem nun ihm wiederum die
Schätze des Darmstädter und — für den Propst Ketteier
— des Berliner Archivs bereitwillig zur Verfügung
gestellt waren, ohne Pfülf mehrfach in arge
Verlegenheit geraten sein. Nun aber boten ihm Pfülfs
und die eigenen erschöpfenden Vorstudien die Grundlage
, eben die kritische Biographie zu schreiben, die
Pfülf nicht geschrieben hat und, seiner ganzen Einstellung
nach, nicht hätte schreiben können.

Wer die von Pfülf und Vigener gezeichneten
Lebensbilder vorurteilslos und mit der erforderlichen
Sachkenntnis gerüstet vergleicht, der wird bei diesem
überall finden, was er bei jenem vermissen muß: den
richtigen Abstand. Mit dem parteiischen Enthusiasmus,
den Goethe vom Biographen verlange, meint Vigener
selbstkritisch, habe er sein Buch nicht geschrieben. Ich
möchte dem entgegenhalten, daß ich die innere Wärme
und das einfühlende Verständnis, was denn freilich zwei
unbedingt erforderliche Eigenschaften des Biographen
sind, durch das ganze Buch hindurch wohltuend empfunden
habe, und ich wage zu sagen, daß zwar nicht
jeder Bewunderer Kettelers, wohl aber dieser selbst
das Bild, das Vigener von ihm entworfen hat, als in
seinen Hauptzügen getreu und in den Beigaben mindestens
vertretbar anerkennen würde. Übrigens war Ketteier
eine in sich so geschlossene und nach außen eindeutige
Persönlichkeit, daß von einem Schwanken seines
Charakterbildes in der Geschichte füglich nicht geredet
werden darf. Urteile wie die eines leidenschaftlichen
Gegners von der Art Bluntschlis, daß im Wirken dieses
Bischofs die Religion sehr wenig, die Politik sehr viel
bedeutet habe, richten sich selbst. Vigener ist im Recht,
wenn er den Satz umkehrt: „In der Religiosität, in der
kirchlichen Frömmigkeit, in der Kirchlichkeit liegt die
Macht, die dieses Mannes Dasein am stärksten bestimmt
hat." Und es darf hinzugefügt werden, daß er auch da,
wo er den Äußerungen dieser Frömmigkeit, der Betätigung
dieser Kirchlichkeit im öffentlichen Leben von
einem in ganz anders gearteten Voraussetzungen wurzelnden
Standpunkt glaubt entgegentreten zu müssen,
sein Urteil über den Gegner auf dessen eigenes Gesichtsfeld
einzustellen vermag.

Da ich hier keinen Aufsatz, sondern die Anzeige
eines Buches zu schreiben habe, kann ich diese verführerische
Gedankenreihe nicht fortsetzen. Auch hat
Vigener ja nicht nur ein Charakterbild entwerfen, sondern
uns das Leben seines Helden im Zusammenhang
der Zeitgeschichte allseitig betrachtet vorführen wollen.
Und hier vollends bewährt sich die Überlegenheit des
seinen Gegenstand geistig durchdringenden Historikers
gegenüber dem fleißigen, aber mit eignen Gedanken