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Ausgabe:

1924 Nr. 16

Spalte:

352

Autor/Hrsg.:

Seemann, Erich

Titel/Untertitel:

Hugo von Trimberg und die Fabeln seines Renners. Eine Untersuchung zur Geschichte der Tiefabel im Mittelalter 1924

Rezensent:

Ficker, Gerhard

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Theologische Literaturzeitung 1924 Nr. 16.

352

enigma', aber er ist berufen, in der Ökumenizität des
Kaiserreiches die Entfaltung der neuen religiösen Katho-
lizität anzubahnen. Aus seiner lichtvollen Erkenntnis
von der Erlösung durch ein göttliches Wesen, das sich
für die Menschen geopfert hat, erhob sich auf-den durch
die Predigt Jesu gegebenen soteriologischen und escha-
tologischen Grundlagen ein sozialer Bau, der dem Ansturm
aller weltlichen und dämonischen Mächte trotzen
sollte, die katholische Kirche. Sie ist darum nichts
anderes als ,die in der Geschichte organisierte Predigt
und Erlösung Christi'. Ihr Credo hat nie eine Veränderung
, ihr Ideal und ihre Disziplin nie eine wesentliche
Verkümmerung erfahren, vielmehr hat sich alles ganz
folgerichtig und geradlinig aus den Anfängen heraus
entwickelt. Im Gegensatz zum wunderbaren und organischen
System der katholischen Kirche schwankt die
Welt seit vierhundert Jahren durch dunkle Nacht, weil
die falsche Reformation an die Stelle des katholischen
Objektivismus die persönliche Heilserfahrung gesetzt
hat, und sie wird erst an dem Tage wieder Rettung
finden, wo sie zu den Füßen der katholischen Lehre
,reciterä la sua netta palinodia'. Wie man sieht, hat
diese kleine Apologie die dreifache kirchliche Genehmigung
, die ihr vorgedruckt ist, vollauf verdient. Der
Verlag Formiggini in Rom ist übrigens keineswegs einseitig
, da er ebenso Apologien des Buddhismus, des
Hebraismus, des Protestantismus und des Heidentums
herausgibt.

3. Das andere, ebenfalls mit dreifacher kirchlicher
Genehmigung veröffentlichte Bändchen, berührt sich mit
dem vorigen in Gedanken und Ausführungen sehr nahe,
nur daß es, in der Einsamkeit des Gebirges entstanden,
lyrischer und psychologischer gehalten ist. Es will
,dem Weg einer Seele nachgehen, die zwischen den
Klippen des Subjektivismus und Historizismus hindurchgegangen
und dem Rande des Relativismus nahegekommen
ist und dann die objektivistischen und realistischen
Grundlagen klarer erkannt hat, auf denen jede
Verteidigung der Religion im allgemeinen und der
christlich-katholischen Tatsache im besonderen • beruht',
sodann ,den Weg zeichnen, auf dem der Seele, die von
der Überzeugung vom Übernatürlichen ausgeht, als Zufluchtsstätten
des Lichtes, des Friedens und der Ruhe
sich Offenbarung und Kirche anbieten'. Also ein in die
Gegenwart übertragener Ps.-Clemens Romanus, Justinus
Martyr, Cyprianus ad Donatum! Jener erste Weg steht
unter dem Zeichen ,11 Padre', der zweite unter ,La
parola della salvezza' und ,La casa della pace e de!
riposo'. Auch hier wird für alle Verirrungen der Neuzeit
die Reformation verantwortlich gemacht, die aus
der, der ,kolossalen Synthese' Augustins — wie man
sieht, ist das ,kolossal' nicht mehr allein in Deutschland
zu Haus — entquollenen theologischen Überlieferung
einige Gedanken herausgegriffen und paradox
übertrieben hat ohne die Ergänzung, wodurch Augustin
seine Gnadenlehre in so glücklicher Weise mit der
Hochschätzung der Kirche verbunden hat. Zu diesen
Verirrungen gehören neben dem Subjektivismus, Rationalismus
, Nationalismus, Staatsabsolutismus, Monismus
auch der neuzeitliche Idealismus, der nichts anderes ist
als der religiöse Individualismus und Subjektivismus der
Reformation, übertragen auf das philosophische Gebiet.
.Allein die Wiedergeburt im [katholischen] Glauben
wird uns das große Ideal der mystischen allgemeinen
Solidarität zurückgeben.' Trotz alledem ist B. durch
Dekret des hl. Offizium vom 28. März 1924 exkommuniziert
und seiner priesterlichen Rechte für verlustig erklärt
, sind alle seine Bücher und Schriften verurteilt,
ist ihm, dem Professor an der staatlichen Universität
von Rom, verboten worden, über religiöse Gegenstände
zu schreiben, zu reden oder Unterricht zu erteilen
(Christi. Welt 1924 Nr. 18/19). In Rom scheint in
diesem Frühjahr nicht bloß in der Natur, sondern auch
an der Kurie ein scharfer Wind geweht zu haben, dem
ja auch die Werke des Abbe Vigouroux, des ehemaligen

Sekretärs der päpstlichen Bibelkommission, zum Opfer
gefallen sind. Es ist richtig, daß B. bei aller Verbeugung
vor der scholastischen Philosophie selber doch
nicht die Sprache des hl. Thomas von Aquin spricht
und bei aller Ablehnung der Reformation und ihrer
wirklichen oder vermeintlichen Folgen doch den neuzeitlichen
Fragestellungen und wissenschaftlichen Forschungswegen
aufgeschlossener ist, als es nach kuri-
alem Maßstab zulässig erscheinen mag. Auch in den
beiden kleinen Apologien finden sich Untertöne oder
vielleicht sogar Obertöne, die für ein hierarchisches
Ohr nicht gut klingen. So erscheint die Kirche mit
ihrer Hierarchie weniger als eine bewußte und ausgesprochene
Stiftung Christi, denn als die von Paulus eingeleitete
geschichtliche Selbstverwirklichung der Predigt
Jesu. Das erinnert neben anderem an Gedankengänge
in den bekannten katholischen ,Tat'-Heften, eine
Beobachtung, die von mir und hier ausgesprochen,
hoffentlich nicht als Denunziation wirkt oder aufgefaßt
wird. Angefügt mag noch sein, daß der Verlag Franco
Campitelli in Foligno eine von einem Stabe von Gelehrten
unter Führung B.s, ,des angesehensten Bannerträgers
dieser Studien in Italien', zu bearbeitende große
,Biblioteca di critica religiosa' ankündigt.
München. Hugo Koch.

Seemann, Erich: Hugo von Trimberg und die Fabeln seines
Renners. Eine Untersuchung zur Geschichte d. Tierfabel im
Mittelalter. München: Georg D. W. Callwey 1923. (308 S.) gr. 8».
= Münchener Archiv f. Philologie d. Mittelalters u. d. Renaissance
. H. 6. Gm. 12-.

Diese gründliche, sorgfältige und gelehrte Arbeit
ist auch für den Theologen von bedeutendem Interesse,
nicht nur weil sie in die umfangreiche, gedruckte und
ungedruckte, Tierfabelliteratur des späteren Mittelalters
gut einführt; sondern auch weil sie die Fabeldichtung
in geistlicher Auffassung kennen lehrt und damit an
einem interessanten Gegenstande zeigt, wie sich das
Mittelalter antike Kultur zu eigen machte. Die Ergebnisse
der exakten Untersuchungen der Quellen von
Hugos Fabeln brauchen, glaube ich, hier nicht vorgeführt
zu werden; es genügt, festzustellen, daß der Verf.
zeigt, daß die Beziehungen der Fabelsammlungen zu
einander viel verwickelter sind, als es die bisher herausgegebenen
Texte erscheinen lassen; der Verf. hat
sich große und erfolgreiche Mühe gegeben, die handschriftliche
Überlieferung aufzuspüren und auszuschöpfen
. Die Abhängigkeit Hugos und die Herübernahme
fremder Stoffe gibt ihm die Möglichkeit, seine künstlerische
Eigentümlichkeit zu charakterisieren; durchweg
sein Eigentum ist die Moralisation der Fabeln; die Tiere
spiegeln ihm die Vertreter sozialer Schichten wieder,
wie der Laien oder der Mönche, der Hofmänner oder
der Geistlichen, wobei in seiner Beurteilung die Laien
gegenüber den Geistlichen zu kurz kommen. Indem
der Verf. hierauf achtet, gibt er interessante Zeitbilder
; daß er auch die bildlichen Darstellungen berücksichtigt
, macht die Arbeit auch für den Ikonographien
wertvoll. In den Anhängen werden 2 bisher
ungedruckte Fabelbücher methodisch exakt herausgegeben
: der von Hugo erwähnte und benutzte Minor
Fabularius aus der Münchener Handschrift Clm. 7678,
und der „Darmstädter" Novus Avianus aus der Handschrift
27801 der Darmstädter Landesbibliothek, vielleicht
ein Alterswerk Hugos. Bei der Bedeutung, die
solche Bücher als Schulbücher gehabt haben, wird sie
jeder beachten müssen, der in den Geist des Mittelalters
eindringen will.

Kiel. Q- Fi oker.

Lateinische Gedühte des Mittelalters. Ausgew. u. hrsg. von
A. Kurfeß. Leipzig: B. G. Teubner 1923. (28 S.) 8". = Eclogae
graecolatinac. Fase. 6. Gm. —50.

Der Titel führt irre. Um eine „Ausgabe" handelt

es sich nicht; es werden 22 Hymnen und geistliche