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Ausgabe:

1924

Spalte:

16

Autor/Hrsg.:

Wolf, Gustav

Titel/Untertitel:

Quellenkunde der deutschen Reformationsgeschichte. III. Band: Namen- und Sachregister 1924

Rezensent:

Titius, Arthur

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Theologische Literaturzeitung 1Q24 Nr. 1.

16

unserer trüben Zeit wohl angebracht ist die Warnung
vor den ,trüben Historikern, die niemanden ertragen
können, der einen Kopf größer ist als sie selbst, und
die nicht ruhen, bis sie das Große klein, das Eigentümliche
glatt gemacht und alles Ungewöhnliche durch
vermeintliche Analogien beseitigt oder trivialisiert haben
' (S. 20).

Vielleicht darf ich bei dieser Gelegenheit noch eine Kleinigkeit
nachtragen. S. 104 u. 107 f. seines Werkes nimmt v. H. auch auf
Celsus (bei Origencs c. Cels.) Bezug, dort auf VII,25, hier auf
VI,74 u. V,54.' Allein nicht bloß VII,25, sondern all die Ausführungen
VII, IS ff. über den Widerspruch zwischen alttestamentlichen
und neutestamentlichen Geboten und Verheißungen lesen sich wie Abschnitte
aus den .Antithesen' Marcions. Ferner: zu .turpissimum dei
nativitas' (S. 110) vgl. VI, 73. Zu Adams Fall als Beweis für die
Schwäche des Weltschöpfers (S. 05) vgl. IV, 40. Und wenn Tertullian
dagegen erwidert, daß das auch Christus wegen des Verrats durch
Judas träfe, so hat der Jude bei Celsus diesen Einwand tatsächlich
erhoben (11,12).

München. Hugo Koch.

Hirsch, Prof. Dr. Hans. Die hohe Gerichtsbarkeit im deutschen
Mittelalter. Reiclienberg, Böhm.: Sudetendeutscher Verlag
in Komm. 1922. (XII, 241 S.) 8° — Quellen u. Forschungen a. d.
Gebiete der Geschichte. 1. Heft. öst. Kr. 30—.

Durch kundige Handhabung des „haarscharfen Werkzeuges
der diplomatischen Wissenschaft" im Verein mit
verfassungsgeschichtlicher Forschung hat H. Hirsch in
seinem Buche über die Klosterimmunität seit dem Investiturstreit
unsere Kenntnis der mittelalterlichen Gerichtsbarkeit
wesentlich bereichert. Neue wertvolle Ergebnisse
bringt das vorliegende Buch, welches den ganzen
schwierigen und vielgestaltigen Komplex von Fragen,
die sich an die hohe Gerichtsbarkeit knüpfen, eingehend
untersucht. Als das Hauptresultat seiner Forschungen
bezeichnet der Verfasser (S. 229), daß die hohe Gerichtsbarkeit
in den der Karolingerzeit folgenden Jahrhunderten
nicht so einheitlich gewesen sei, wie man bisher
angenommen habe. Zwei Grundanschauungen gingen
im Mittelalter nebeneinander her und fanden im Gerichtswesen
ihren Niederschlag: das Sühneverfahren, das dem
Amtsrecht entstammte, und die dem Rachegedanken huldigende
Kriminaljustiz, die im Volksrechte ihren Ursprung
hatte. Die Entwicklung nahm ihre Richtung auf
eine Verschärfung des Straf rechtes: das Bußensystem der
älteren Zeit wurde mehr und mehr zugunsten einer
peinlichen Justiz zurückgedrängt, indem der Begriff der
todeswürdigen Verbrechen immer mehr erweitert wurde.
Dadurch wurde die gesamte Gerichtsverfassung in Mitleidenschaft
gezogen. Die Grenze zwischen der Hoch-
und der Niedergerichtsbarkeit ging ursprünglich mitten
durch die blutigen Fälle, das sind die Vergehen, die mit
effusio sanguinis verbunden waren. Das Ende der Entwicklung
war, daß die Hochgerichte nur noch in Fällen,
in denen es um Leib und Leben ging, zuständig waren:
sie wurden zu reinen Blutgerichten. Der Dualismus der
fränkischen Gerichte machte in der nachkarolingischen
Zeit einer Dreiteilung in Grafen-, Vogt- und Niedergerichte
Platz. Charakteristisch für die Gerichtsordnung
dieser Jahrhunderte war, daß nicht so sehr eine Über-
und Unterordnung der Gerichte als vielmehr ein Neben-
und Ineinander mit sehr erheblichen zeitlichen und landschaftlichen
Unterschieden bestand. Der entscheidende
Wendepunkt der ganzen Entwicklung lag nach der Meinung
des Verfassers in der Regierungszeit Kaiser Heinrichs
IV.: in der Friedensgesetzgebung des dritten Saliers
kam die Anschauung zum Ausdruck, daß der Verbrecher
nicht im Interesse der privatrechtlichen Rache oder der
Genugtuung der Geschädigten, sondern im Interesse der
Allgemeinheit und des öffentlichen Friedens bestraft
werden müßte. Damals begann auch die Verschärfung
der Strafen und die Erleichterung des Verfahrens gegen
unehrliche Verbrecher, die nicht auf handhafter Tal ertappt
worden waren.

Es ist nicht möglich, den ganzen Reichtum des ausgezeichneten
Buches, das auch durch seine Methodik

lehrreich und vorbildlich ist, hier auszuschütten und zu
allen angeschnittenen Fragen und Problemen Stellung
zu nehmen. Nur auf zwei Institutionen, die für die mittelalterliche
Kirchenverfassung von besonderer Bedeutung
waren, sei noch kurz eingegangen: auf die Immunität
und den Königsbann.

Der Verfasser geht davon aus, daß alle niederen Gerichte das
Streben nach Aufwärts hatten. Die weltlichen und geistlichen Grundherrschaften
trugen durch die Leibherrschaft über die Unfreien bereits
Keime der Hochgerichtsbarkeit in sich. Gefördert wurde die Entwicklung
zur Hochgerichtsbarkeit durch die Verbindung der Grundherrschaften
mit öffentlichen Hochgerichtsherrschaften. Dabei wird das
persönliche Moment stark in den Vordergrund gerückt: die Edel-
freien, die nach frühmittelalterlichem Gewohnheitsrecht allein Hochge-
richtsbarkeit ausüben konnten, seien die Träger der Entwicklung gewesen
. Während nach der herrschenden Meinung die geistlichen Fürstentümer
durch die ottonischen Privilegien in den Besitz der vollen
Hochgerichtsbarkeit gekommen sind, sucht H. darzutun, daß den Kirchen
nur Sühnegerichtsbarkeit zum Zwecke finanzieller Stärkung verliehen
worden sei, während die Blutgerichtsbarkeit in größerem Maßstabe erst
in der Zeit des Investiturstreites in die Hände der Kirchen und Klöster
gelangt sei. H. nähert sich damit den Anschauungen Seeligers, der
ebenfalls der langsamen und organischen Entwicklung der hohen
Immunität das Wort geredet hatte, ohne freilich die Unterscheidung
zwischen Sühnegerichtsbarkeit und Blutgerichtsbarkeit zu machen.
Bahnbrechend seien die Privilegien der Hirsauer Reformklöster gewesen
, die von ihren grundherrlichen Gründern die Biutgerichtsbar-
keit erhielten. H. trifft sicher das Richtige, wenn er annimmt, daß die
Reichskirchen erst nach und nach durch Usurpation und Verleihung in
den Besitz der gesamten Hochgerichtsbarkeit gelangt seien; ich möchte
jedoch meinen, daß dieses bei der Mehrzahl der geistlichen Anstalten
bereits vor dem Invcstititurstreitc geschehen sei, selbst wenn man in
Betracht zieht, daß die Kirche dem Sühneverfahren mehr zugeneigt war
als der peinlichen Justiz. Es scheint mir schwer vorstellbar, daß die
weltlichen Grundherren früher in den Besitz der vollen Hochgerichtsbarkeit
gelangt sein sollen als die geistlichen Fürsten, die doch nicht
nur nach Erhöhung ihrer Einnahmen, sondern auch nach Herr-
schaftsrcchtcn strebten.

Neu sind auch die Anschauungen des Verfassers über den Königsbann
, der ursprünglich nichts andres gewesen sei als die königliche Ermächtigung
, Gebote und Verbote zu erlassen. Er sei anfangs nur ein
nutzbares Recht gewesen, welches den königlichen Kirchen verliehen
worden sei, und habe sich erst später zu einem Mittel zur Wahrung
der königlichen Gerichtshoheit entwickelt. Das geschah nach der Ansicht
des Verfassers im Investiturstreit. Um auf die dynastischen Klöster
Einfluß zu gewinnen und sie vor der Gefahr der Territorialisierung
zu schützen, verlieh der König den Vögten-den Königsbann. Da die
Klöster die Blutgerichtsbarkeit besaßen, traten Bann und Blutgericht
in enge Verbindung: aus dem Königsbann wurde der Blutbann.
Während H. den königlichen Privilegien für die Entstehung der hohen
Immunität keine besondere Bedeutung beimißt, sieht er in der Bannleihe
ein planmäßiges und wirkungsvolles Vorgehen des Herrschers,
um durch gesetzgeberische Maßnahmen politische Ziele zu erreichen.

Nach der Meinung des Verfassers war die zweite
Hälfte des 11. und das 12. Jahrhundert nicht nur nicht
eine Zeit des Verfalls, sondern die eigentliche schöpferische
Periode der deutschen Verfassungsgeschichte des
früheren Mittelalters. In ein besonders günstiges Licht
tritt die staatsmännische Bedeutung Heinrichs IV. H.'s
hohe Einschätzung der späteren Salier- und älteren
Hohenstaufenzeit berührt sich mit den Anschauungen
von Dungern und Rosenstock, die von einer anderen
Richtung her zu ähnlichen Ansichten gekommen waren.
Breslau. Manfred Stimming.

Wolf, Gustav: Quellenkunde der deutschen Reformations-
geschichte. III. Band: Namen- und Sachregister. Ootha: Friedrich
Andreas Perthes 1923. (IV, 79 S.) gr. 8" Crz. 5—

Das langerwartete Register bringt auf 79 Seiten Kleindruck sämtliche
Personen, soweit sie sich ermitteln ließen mit Vornamen und
zahlreiche Sach-Stichworte. Wie das Register den Reichtum des Werkes
aufschließt und bequemer Benutzung zugänglich macht, davon
überführt jede Probe, nicht nur der kunstvoll gegliederte Nachweis
s. v. Luther. Unter den Verfassernamen sind dankenswerter Weise
auch die einzelnen erwähnten Schriften und Besprechungen im allgemeinen
aufgenommen. Druckfehler in den Seitenzahlen sind mir bei
meinen Stichproben nicht aufgefallen. Ein Stichwort Protestanten oder
Protestantismus ist übrigens nicht vorhanden, während Luthertum und
Protestantenverein geboten werden. Aber auch bei kleinen Versehen
und „nachkriegsmäßigem", recht unühersichtlichem Spardruck wird
sich jeder Besitzer des Werkes auch des Registers freuen.

Berlin. Titius.