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Ausgabe:

1924 Nr. 1

Spalte:

13-14

Autor/Hrsg.:

Machen, J. Gresham

Titel/Untertitel:

The Origin of Paul‘s Religion 1924

Rezensent:

Bultmann, Rudolf

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Seite 1

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L3

Theologische Literaturzeitung 1924 Nr. 1.

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örterung zu Antiochien' (S. 60). Demnach scheint der Vorwurf der
.Heuchelei' (Qal. 2,12 f.) ein Ausdruck größter Hochachtung zu sein.
Zu den .Hochgipfeln der Heiligkeit' gehört jetzt auch Bellarmin
(S. 120). Herzlichen Glückwunsch! Wie das NT., so versteht D. auch
das neue kirchliche Gesetzbuch zu deuten, nur daß er dieses auch
einmal bischöflich umbiegt. In Kanon 100 ist nämlich klar gesagt,
daß die Obergewalt des Papstes unmittelbar von Gott kommt, sobald
die Bedingungen der rechtmäßigen Wahl und ihrer Annahme durch
den Gewählten erfüllt sind, während in den übrigen Graden der
Leitungsgewalt die .kirchliche Sendung' stattzufinden hat. Trotzdem
läßt D. nicht nur den Papst, sondern auch die Bischöfe .unmittelbar von
Gottes Gnaden' sein (S. 13). Nun beruht freilich der Episkopat, d. h.
das Bischofsamt ebenso wie der Primat, das Papsttum, auf göttlicher
Einsetzung (Kanon 108 § 3, vgl. S. 131 A. 3), aber die einzelnen
Bischöfe erhalten ihre Gewalt nach can. 109 offenbar nicht unmittelbar
von Oott, sondern vom Papst durch die missio canonica.

München. Hugo Koch.

Machen, Prof. J- Gresham, D. D.: The Origin of Paul's Religion.
The James Sprunt lectures delivered at Union Theological Semi-
nary in Virginia. New York: The Macmillan Company 1921. (329
S.) 8». $ 3-.

Das Buch enthält eine Auseinandersetzung mit den
Auffassungen des Paulinismus in den letzten Jahrzehnten
und bemüht sich, zu zeigen, daß nur eine „supranaturalistische
" Erklärung die Religion des Paulus verstehen
könne, während alle „naturalistischen" Erklärungsversuche
scheitern müßten. Von letzteren unterscheidet der
Verf. drei Spielarten, die „liberale", die wesentlich in
der Ritschlschen Schule geübt worden sei und die ihre
Repräsentation in von Harnacks „Wesen des Christentums
" finde, und die beiden „mehr radikalen", die
durch Wrede und Brückner einerseits, durch Bousset
andrerseits repräsentiert werden. Die „liberale" Erklärung
sieht in Jesus den großen Menschen, dessen Personbild
und dessen Religion in seiner Gemeinde, speziell bei
Paulus weiterlebe, aber eingesponnen in eine Theologie,
in der er selbst als göttliches Wesen zum Objekt des
Glaubens gemacht sei. Dieser Auffassung gegenüber sei
die Kritik Wredes im Recht, wenn sie die Trennung von
Religion und Theologie bei Paulus bestreite und als den
Mittelpunkt seines Glaubens nicht die Gedanken des
„liberalen" Jesus finde, sondern das vom himmlischen
Christus vollbrachte Erlösungswerk. Der Irrtum Wredes
(und Brückners) sei jedoch der Versuch, den Christusglauben
des Paulus aus seiner vorchristlichen Messiastheologie
ableiten zu wollen. Demgegenüber seien
Bousset und seine Genossen im Recht, die die Unmöglichkeit
dieser Ableitung bestreiten, aber nun wieder
irregehen, wenn sie die paulinische Religion aus dem
Hellenismus, speziell aus den Mysterienreligionen verstehen
wollen. Da alle diese Wege ungangbar sind,
bleibt die einzige natürliche Erklärung (der Verf. scheut
diese Paradoxie nicht) die „supranaturalistische". — Ich
kann diese Anschauung nicht teilen, die zum Verständnis
der Geschichte des supranaturalen Faktors als eines Faktors
neben anderen bedarf, und die das supranaturale
Geschehen so gut wie das natürliche der methodischen
geschichtlichen Betrachtung unterwirft. Als „Naturalist"
im Sinne des Verf. bin ich der Meinung, daß in der
Fragestellung des Historikers schon der Verzicht auf die
Annahme supranaturaler Faktoren vorausgesetzt ist; und
ich glaube, daß der Konflikt zwischen dem „naturalistischen
" Verständnis der Geschichte und ihrer „supranaturalistischen
" Deutung auf anderem Boden ausgetragen
werden muß als dem der methodischen, historischen
Erforschung der Quellen und der darauf gegründeten
Rekonstruktion des Geschichtsverlaufs.

Doch versuche ich, eine Würdigung des Buches
abgesehen von diesem prinzipiellen Dissensus zu geben.
Daß seine Kritik der „liberalen" Pauluserklärung, vor
allem seine Betonung des engen Zusammenhangs von
Religion und Theologie bei Paulus und seine energische
Auffassung des Paulinismus als Erlösungsreligion richtig
ist, ist auch meine Meinung. Und daß der Verf., in
der Kritik der „radikalen" Auffassungen auf manche
Versehen und noch ungelöste Fragen hinweist, glaube ich

auch. Trotzdem kann ich sein Buch nicht wirklich als
eine Förderung der Forschung ansehen; denn in seiner
Kritik kommt nichts zur Geltung, was nicht in den bisherigen
Debatten über Wrede, Bousset u. a. schon erörtert
worden wäre, es sei denn ganz einzelnes wie der
Versuch, für die Urgemeinde nicht nur die Bezeichnung
Jesu als des Herrn, sondern sogar den Gebrauch des
griechischen xvQiog wahrscheinlich zu machen. Auch
kann ich nicht anerkennen, daß der Verf. die Schwierigkeit
der historischen Problematik stark genug empfindet.
Besonders in der Auseinandersetzung mit Reitzenstein
und Bousset scheint sich mir zu zeigen, daß sein Verhältnis
zur hellenistischen Religionsgeschichte kein wirklich
intimes ist. Hier macht sich die Schwäche seiner
Argumentationsweise am stärksten geltend: die isolierte
Diskussion einzelner Punkte statt eines Verständnisses
der Einzelheiten aus zentraler Erfassung der Gesamterscheinungen
; die Entscheidung komplizierter Fragen
mittels einer Logik, die die Dinge von außen betrachtet.
Der Hauptwert des Buches besteht m. E. in der übersichtlichen
und ruhigen Darstellung der Entwicklung der
Forschung, in der klaren Herausarbeitung von Für und
Wider bei den einzelnen kritischen Fragen. Und in dieser
Hinsicht hat das klare und durch geschickte Formulierungen
ausgezeichnete Buch Anspruch auf Dank.

Eine Obersicht über die einzelnen Abschnitte sei hinzugefügt. Nach
der Entwicklung des Planes und der Grundsätze und nach der Erörterung
der Quellenfrage in c. 1 behandelt c. 2 die Entwicklung des
Paulus bis zur Bekehrung. Dabei wird die Bedeutung des Hellenismus
als Faktors der Entwicklung bestritten und ebenso die Erklärung der
Bekehrung aus der natürlichen Konstitution oder der psychologischen
Entwicklung des Paulus; sie sei zu verstehen nur aus seinem persönlichen
Kontakt mit Jesus, c. 3 diskutiert im wesentlichen die Fragen
des Verhältnisses der Apostelgeschichte zum Galaterbrief (Apostelkonzil
), c. 4 will die Einheit des Christusglaubens des Paulus mit
dem der Urgemeinde erweisen und vor allem die Einheit des pauli-
nischen Evangeliums mit der Predigt Jesu. c. 5 enthält die Auseinandersetzung
mit Wrede und Brückner über das Verhältnis des Christusglaubens
des Paulus zum jüdischen Mcssiasglauben und mit Windisch
über sein Verhältnis zur jüdischen Weisheitspekuiation. c. 6 gibt eine
Obersicht über die Religion des Hellenismus, wobei bes. die Verwendung
der hermetischen Schriften und des Gnostizismus zur Rekonstruktion
einer Frömmigkeit, von der Paulus abhängig sei, bestritten
wird. c. 7 untersucht die Wege, auf denen hellenischer Einfluß den
Paulus etwa hätte treffen können; weder das Judentum noch das vor-
paulinische Christentum kommen als Vermittler in Betracht. In der
Auseinandersetzung mit Reitzenstein und Bousset werden dann einzelne
Fragen untersucht: die Begriffe yvmnig und ttftvfia, der Dualismus und
Pessimismus, die Sakramente, c. 8 ist der Prüfung der Theorie Boussets
von der Entstehung des Kyrios-Titels und des Christuskults gewidmet.
Marburg. R. Bultmann.

Harnack, Adolf von: Neue Studien zu Marcion. Leipzig: J. C
Hinrichs 1923. (II, 36 S.) 8° = Texte u. Untersuchungen z. Geschichte
d. altchristl. Literatur. 44,4. Gz. 1.25.

A. v. Harnack setzt sich hier mit den Kritikern
seines Werkes über Marcion (siehe diese Ztg. 1921,
313 ff.), namentlich mit H. von Soden und Walter
B a uer, auseinander und bucht Berichtigungen und Ergänzungen
, die ihm aus den Besprechungen und aus
eigenen weiteren Studien zugeflossen sind. Er bleibt mit
Recht bei seiner Grundauffassung, daß M., der keine
aiwveg und keine TtQoJnlal kennt und den Weltschöpfer
und Judengott als öUaios und /twryoöc nicht als xaxöc;
bezeichnet im Gegensatz zum dyitd-ug üeög des Evangeliums
, kein wurzelhafter Gnostiker ist, sondern ein
Christ, dem an den paulinischen Briefen und in eigener
Erfahrung die gnadenreiche Hoheit des Evangeliums
aufgegangen ist. Auch an seiner Ansicht über die Bedeutung
M.s für die Entwicklung des Christentums
zum Katholizismus hält er fest, gibt aber zu, daß es: in
dieser Frage schwer sei, andere zu überzeugen, da ihre
Beantwortung ,von integrierten geschichtlichen Eindrücken
abhängt, über die man anderen schwer Rechenschaft
zu geben vermag'. Den Einfluß des marcionitischen
Bibeltextes auf den kirchlichen betont und begründet
er jetzt noch etwas stärker als vorher. Treffend und in