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Ausgabe:

1924 Nr. 14

Spalte:

305

Autor/Hrsg.:

Simon, P.

Titel/Untertitel:

Das Handbüchlein des hl. Augustinus 1924

Rezensent:

Jülicher, Adolf

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305

Theologische Literaturzeitung 1924 Nr. 14.

306

Das Handbüchlein des hl. Augustinus. Übertragen und erläutert
von P. Simon. Paderborn: F. Schöningh 1923. (184 S.) kl. 8°. =
Dokumente der Religion. I. Band. Gm. 2.40.

„Dokumente der Religion" beginnt ein angesehener
katholischer Verlag zu veröffentlichen, in angenehmer
Ausstattung bei bescheidenem Preis. Augustins Enchi-
ridion vom Jahre 421 ist für den ersten Band nicht
übel ausgewählt, wenn auch mehr Theologie als Religion
darin enthalten ist. Die Einrichtung dieses Bandes
scheint mir praktisch: eine kurze literargeschichtliche
Einführung S. 1—8, dann S. 9—129 Augustins Text,
S. 130—178 Erläuterungen, die sich selten auf Einzelheiten
erstrecken, vor allem den Gedankengang verstehen
lehren und eine dogmengeschichtliche Würdigung
der Grundgedanken vermitteln wollen. Weisheit,
Sündenvergebung, das Geheimnis der Vorherbestimmung
lauten die Überschriften über einzelnen Abschnitten
dieses Teils, denen auch das Register 179—183 vornehmlich
gewidmet ist. Als Erläuterer scheint mir
Simon den Ton gut getroffen zu haben; er wird auch
für den Mitforscher nicht langweilig; er ist ehrlich;
Abweichungen seines Heiligen von der Kirchenlehre
will er so wenig wie gequälte Schriftauslegungen verheimlichen
Für ein Meisterstück wird er seine Übertragung
wohl selber nicht halten. Er paraphrasiert zu viel, vergreift
sich in der Wahl der deutschen Worte, wenn er
z.B. S. 9 eruditio mit Kenntnisse (S. 130 doch wenigstens
„Erkenntnis"!) wiedergibt oder S. 31 den Akademiker
„schamlose" Gründe vorbringen läßt — als
wäre kein Unterschied zwischen unverschämt und
schamlos. Aber dieser Übersetzer kann nichts Vollkommeneres
leisten, weil er der Sprache seines Autors
nicht genug mächtig ist. Das Enchiridion ist nicht
eben „schwer" geschrieben: wie oft aber mißversteht
P. Simon den klaren Text Augustins. S. 119 bezieht er
auf Engel und Menschen, was von den Verdammten
und den Seligen gesagt wird; S. 73f. weiß er nicht, daß
exigere bei Augustin in erster Linie aufnehmen, sich
aneignen heißt; indem er von der Ausnahme der
Taufgnade spricht, verdreht er die Meinung Augustins,
die er schon dadurch gefährdet hatte, daß er zu Anfang
des § 64 das Praesens remittuntur, auf das alles ankommt
, verdirbt zu: „wenn unsre Sünden nachgelassen
sind". S. 71 läßt er die Menschheit durch die Beseitigung
der Sünde die Gunst der Engel wiedererlangen;
nach Augustin § 63 p. 40, 14 werden wir schon jetzt
von den Engeln geliebt, nur bei uns fehlt es noch an
der pax erga eos. S. 29 verwechselt Simon inprobare
mit einschätzen (statt mißbilligen, verwerfen); S. 31
deutet er etiamsi quod videtur, forte sit verum statt: auch
wenn das, was man sieht, zufällig wahr ist, mit: „auch
wenn etwas zufällig wahr zu sein scheint"! Zu den
im erläuternden Teil beigebrachten Parallelen wird
durch solche Beobachtungen das Vertrauen auch erschüttert
: in der Tat hat z. B. S. 131 Simon die Soli-
loquia I 22 zitiert, wo Augustin um der Weisheit willen
Leben, Ruhm und Freunde verschmähe. Wie viel wahr-
haftirger äußert sich Augustin dahin, daß er Leben,
Ruhe(!) und Freunde (nur) um der Weisheit willen
zu besitzen wünsche und um ihretwillen deren
Mangel fürchte! — Wer wundert sich angesichts solcher
Mängel der „Übertragung" der schlichtesten Schriften
Augustins über die Uneinigkeit seiner Erläuterer?
Marburg. Ad. Jülich er.

Lutherana. Lutherhefte der „Theolog. Studien u. Kritiken".

I: 90. Jahrgang, Heft 3/4, S. 231—520; zum 31. Okt. 1917;

II: 92. Jahrgang 3/4, S. 201—372; 191Q; HI: 93. Jahrgang 3/4,

S. 117—304; 1920/21. Gotha: F. A. Perthes.

Diese Lutherhefte sollten längst in dieser Zeitschrift
besprochen werden. Ich hebe zunächst einen einzelnen
Aufsatz, den von Friedr. Wilh. Schmidt über
den Gottesgedanken in der Römerbriefvorlesung (III,
117—248) heraus, nicht weil der Verfasser vor den

anderen, die in diesen „Lutherheften" zu Worte
kommen, bekannt und wert wäre berücksichtigt zu
werden, sondern weil er noch als Lutherforscher keinen
Namen hat und doch in der Tat verdient so gut
mit seinem Aufsatze beachtet zu werden, wie andere,
sehr namhafte, etwa Loof s, der in I seinen großen
Aufsatz „Der articulus stantis et cadentis ecclesiae"
(S. 323—420) beigesteuert hat. Schmidts Artikel ist in
der Fakultät zu Halle 1920 als Habilitationsschrift angenommen
; ich selbst hatte das Thema in Anregung
gebracht. Luthers Römerbriefvorlesung ist ja, als J.
Ficker sie mit wertvoller Einleitung herausgegeben, in
ihrer Bedeutung für die Entwicklung Luthers sogleich
erkannt und von unseren ersten Lutherforschern, Holl,
Loofs, Scheel, v. Schubert u. A. gewürdigt worden.
Eine Spezialuntersuchung des darin entgegentretenden
Gottesbegriffs war noch nicht unternommen worden
, so vielerlei Einzelnes in Bezug auf ihn auch schon
in Betracht gezogen worden war. Es fehlte insonderheit
noch an einer zusammenhängenden und allseitigen Darlegung
der auf ihn bezüglichen Schul Voraussetzungen
bei Luther. Einer Aufforderung meinerseits entsprechend
hat Schmidt den Gottesbegriff Gabriel Biels
vorab dargestellt und, wie ich meine, wirklich in allem
Wesentlichen vollständig entwickelt. Es ist ja, zumal
seit Scheels Darlegung des Bildungsganges, den Luther
gehabt, durchaus bekannt, daß Luther als Theolog (und
doch auch religiös) nicht zu verstehen ist ohne Rücksicht
auf das Gedankengefüge des Nominalismus, d. h.
Occamismus. Ich selbst war schon in meiner eigenen
Habilitationsschrift über „Luthers Lehre vom unfreien
Willen und von der Prädestination", 1875, im Verfolg
von Anregungen, die ich A. Ritsehl verdankte, zu Biels
Lehre von Gott und dessen Willkür in der Bestimmung
des Schicksals der Menschen im einzelnen,
geführt worden. Eine Vollerörterung der nominalisti-
schen Gottesidee, speziell derjenigen Biels, die (man
kann das ruhig sagen) Luther in Fleisch und Blut übergegangen
war und von der aus allein man den festen
Faden zur einheitlichen Würdigung von Luthers eigener
Gedankenwelt gewinnen kann, war endlich mal dringend
nötig. Ich habe soeben, um diese Anzeige zu schreiben,
Schm.'s Aufsatz nochmal vollständig gelesen und urteile
auch jetzt wieder, daß dieses Eingangskapitel
(„Der ,Gabrielismus' als Ausgangspunkt
für das theologische Denken Luthers", S.
128—148) sehr gut orientiert und bei den Lutherforschern
sich wohl durchsetzen wird als eine richtige,
geschickte Vorführung des Gottesbegriffs, den Luther
als junger Theolog in sich aufnahm und dauernd
als den Rahmen desjenigen Gottesverständnisses, das
I ihn hernach zum Reformator machte, festgehalten hat.
Im zweiten Kapitel (S. 151—212) kommt Schm.
dann zu seinem eigentlichen Thema: „Der Gottesgedanke
in Luthers Römerbriefvorlesung 1515/16". Wir
verdanken E. Hirsch und R. Seeberg schon vortreffliche,
eindringliche und übersichtliche Darstellungen von
Luthers Gottesidee als solcher. Natürlich ist sie nicht
' darzustellen ohne stetige Rücksicht auf die verschieden-
i sten Anwendungen, die Luther von ihr macht.
Ohne darauf zu achten, wie Luther über die justificatio
gedacht hat, kann man kaum über etwas bei ihm handeln
. Bei der Gottesidee ganz speziell gilt das (und
| auch seine Stellung zur Prädestinationslehre taucht da-
| bei immer wieder auf), aber selbstverständlich kann
i man diese Idee auch relativ „für sich" nehmen. Wäre
Luther ein „Systematiker", wie Biel, so wäre das auch
relativ einfach. Aber Luther ist ja als Theolog eigentlich
nur Exeget. Das Vorlesungsheft, um das es sich
i für Schm. handelt, ist auch „nur" Kommentar. So
muß man eine Unsumme von „Notizen" zusammenarbeiten
, um Luthers „Gottesgedanken" in seinen
Grundzügen und in Übersicht vollständig aufzuweisen.
Nicht alles, was Luther zur Erläuterung der Stellen bemerkt
, die er gerade vor sich hat, stimmt mit einander.