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Ausgabe:

1924 Nr. 14

Spalte:

302-303

Autor/Hrsg.:

Harnack, Adolf v.

Titel/Untertitel:

Der apokryphe Brief des Apostels Paulus an die Laodicener, eine Marcionitische Fälschung aus der 2. Hälfte des 2. Jahrhunderts 1924

Rezensent:

Behm, Johannes

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301

Theologische Literaturzeitung 1924 Nr. 14.

302

Debatten eingreift, z. B. auf S. 36 f. gegen die Skepsis
von J. Weiß betreffend I. Cor. 13, S. 46 f. gegen die
Einseitigkeit der ATnt^-Theologie, S. 81 f. gegen die
Angst vor dem Zugeständnis eines magischen Elements
in der paulinischen Tauflehre. Dem stehen freilich
nicht unerhebliche Mängel gegenüber. Besonders schadigt
S. die Wirkung seiner Gedanken durch die Monotonie
des Vortrags; Pleonasmen wie „bereits schon"
oder „hinlänglich genug" sind charakteristisch für die
papierene Art dieses in überflüssigen Hilfszeitworten
und Passiven schwelgenden Stils; S. 10: „Ein Gesichtspunkt
, der von Paulus nicht selten als Motiv zu
sittlicher Anstrengung anklingt, ist der Hinweis auf
die Verpflichtung" usw. Nur Ungeschick des Ausdrucks
fördert Sätze zu Tage, die als inhaltslose Phrasen
erscheinen, wie S. 18: „Kein Augenblick des neuen
Lebens, der auf diese Weise nicht mit dem gesamten
Seelenleben erfaßt werden müßte" Auf S. 21 wird
treffend auf I. Cor. 8,3 verwiesen, aber die Größe
ruiniert durch die kümmerliche Form: es stehe ovrog
eyvwarai vn o.vtm statt dessen, was wir nach dem Vorhergehenden
erwarten sollten: ovrog eyrionev, xaü-wg
del yviüvai. — Ich rechne es S. zur Ehre an, daß
er auf neue exegetische Fündlein verzichtet; sein herme-
neutischer Instinkt ist nicht übel, aber er läßt sich doch
auch zu höchst gekünstelten Auslegungen, z. B. bei
Rö. 6, 5 und 8, 3 verführen, wo er Zahn aufs Wort
glaubt, daß bftolwfta im Unterschied von u(ioi6rtjs und
ofioiwoig keine abstrakte Bedeutung habe, sondern eine
ganz konkrete, die Rö. 6 das Urbild, Rö. 8 das Abbild
bezeichne. Er merkt nicht, daß er alles Vertrauen zu
dem in Rö. 6 gefundenen Gedanken zerstört, wenn er
Rö. 8 durch buolwuadie Art des Fleisches, nämlich, daß
es Sündenfleisch ist, in dem Nachbilde ausgeschlossen
findet: was nützt mir bei solcher Differenz zwischen Urbild
und Abbild das Zusammengewachsensein mit dem
Urbild des Todes Christi? Wie lange wird noch eine
exegetische Methode herrschen, die in der Fortlassung
eines Artikels z. B. vor icvtu^ia und vor dyuoovvrjg in
Rö. 1, 4 eine Absicht wittert und die artikellose Heiligkeit
für etwas ganz anderes hält als die artikulierte,
oder die S. 23 allen Ernstes dem Kompositum dvcc7cÄ.r]Qovv
im Unterschied von nkrjQoüv die Bedeutung zuschreibt:
„das halb Erfüllte vollends erfüllen"? Wie kommt es
übrigens, daß S. auf S. 80 die Wirkung der Taufe in
dem „Zusammenwachsen mit Christus" sucht, nachdem
er uns S. 50 so bitter verdacht hat, daß wir nicht vielmehr
das Zusammenwachsen mit dem Tode Christi als
dem Urbild dessen, was an uns geschieht, aus Rö. 6, 5
herauslesen?

Was außerdem Sommerlath noch nicht fertig gebracht
hat, ist die strenge Unterscheidung zwischen
ihm selber und Paulus, oder was im Effekt auf das
gleiche hinauskommt, zwischen dogmatischer und
geschichtlicher Würdigung. Auch der Historiker darf
m. E. und soll unter Umständen zum Verteidiger, zum
Rechtfertiger werden, aber S. übt das Amt des Verteidigers
durchgehends: sein Buch wird zu einem apologetischen
trotz der gediegenen geschichtlichen Grundlage
, weil er nicht zwischen den Tatsachen und den
Anschauungen des Paulus unterscheidet. Wenn von
psychologischen Vermittlungen und dergl. gesprochen
wird, so bleibt doch die Frage, ob nur wir nach
solchen suchen, oder ob schon Paulus nach ihnen
gesucht hat; daß eine Idee uns schwer eingeht, wie die
Zusprechung von Sündenfleisch an Jesus, ist noch kein
Beweis dafür, daß sie dem Apostel ebenso schwer gefallen
ist. Die Schlacht, die S. gegen die Annahme einer
„Verwandlung" des neuen Menschen führt, liegt kaum
im Interesse des Paulus; da sie geradezu in einen Streit
um Worte endet, schädigt sie lediglich den Eindruck der
im ganzen gesunden Auffassung S.'s von dem Sakra-
mentarismus des Paulus.

Wenn endlich der Verf. auf seine induktive Methode
sehr stolz ist, so sucht er, glaube ich, sein Verdienst
an falscher Stelle. Nicht daß ich gegen den
Aufbau seiner Untersuchung etwas einzuwenden hätte.
Aber, da e r seine Ergebnisse nicht dieser Methode verdankt
, brauchte er ihren Wert für den Leser nicht zu
übertreiben. Wenn er zu Anfang seines Werkes kurz
und klar angegeben hätte, in welchen Punkten die Auffassung
der paulinischen Lehre vom n«uen Leben
und bei welchen Theologen einer Nachprüfung und
Korrektur bedürfe und sich dann darauf beschränkte,
diese Fehler zu widerlegen, um am Schluß sein richtiges
Verständnis noch einmal zusammenhängend und
präzis formuliert zu geben, so hätte er bei dem selben
Umfang des Buches vielleicht mehr dankbare Leser
gewonnen. Ausdrücklich betone ich, daß er keineswegs
wieder einmal den ganzen Paulinismus unter den Deckmantel
einer Einzeluntersuchung auseinanderbreitet;
nein, ehrliche Zurückhaltung übt er da. Sondern das allgemein
Anerkannte wird zu viel unter das Umstrittene
gemischt; in der neutestamentlichen Wissenschaft wird
diese Manier der Vollständigkeit bald zum Verhängnis.

Aber Sommerlath erscheint mir als ein Forscher,
dessen Fehler schon im Weichen begriffen sind, und
mit dem zu diskutieren sich lohnt. Wer nur einen Abschnitt
auf S. 15 und die Ausführungen S. 102—4 ansieht
, könnte ihn im Gefolge der modernen Paradoxo-
manen vermuten: was eine ebenso wunderliche Verkennung
des solcher Magik unzugänglichen Tagewandlers
wäre wie die von ihm auf S. 103 gebotene Probe
dieser sich an Spannungen und oxdvdakov erlabenden
Rhetorik eine Selbstverkennung ist: „So stehen denn die
absolut alles tragende Rechtfertigung und der absolut
vollständige Mitbesitz an dem Christusleben neben einander
, das eine der Ausdruck absoluten eigenen Nicht-
habens, das andere Ausdruck absoluten Habens."

Marburg. Ad. Jülicher.

Harnack, Adolf v.: Der apokryphe Brief des Apostels Paulus
an die Laodicener, eine Marcionitische Fälschung aus der
2. Hälfte des 2. Jahrhunderts. Sonderabdruck a. d. Sitzungsberichten
d. preuß. Akademie d. Wissenschaften. Philos.-hist. Klasse 1923,27.
Berlin: W. de Oruyter & Co. in Komm. 1923. (S. 235—245) 4°.

Om. —30.

Allgemein gilt heute der bis ins 16. Jahrhundert
von der abendländischen Bibelüberlieferung weithin getreulich
mitgeführte angebliche Laodicenerbrief des Paulus
als ein wertloses Machwerk, eine Charakter- und
j farblose Fälschung eines Stümpers, der auf die simpelste
Art den verlorenen Brief von Kol. 4, 16 wiederherstellen
wollte: eine Anzahl von paulinischen Stellen
und Wendungen, vorwiegend aus dem Philipperbrief,
sind lose aneinandergereiht, fast ohne erkennbaren Sinn
und Zusammenhang. Daß das Muratorische Fragment
einen von den Marcioniten gefälschten Brief des Paulus
an die Laodicener erwähnt, ist der Lösung des Rätsels
des Apokryphons bis jetzt nicht zu gute gekommen, da
die Gelehrten an ihm nichts Marcionitisches entdecken
konnten, es auch z. T. nicht für identisch mit dem vom
Muratorianum abgelehnten Briefe hielten. H„ der selbst
so geurteilt hat, ist jetzt durch einen Zufall wieder auf
das geringgeachtete Schreiben gestoßen und hat seinen
Marcionitischen Ursprung erkannt. Wie der Apostolos
Marcions heginnt der Laodicenerbrief mit den monumentalen
, im Sinne Marcions antikatholischen Worten
von Gal. 1,1. Der betont christozentrische Charakter
des Briefes entspricht dem Standpunkt Marcions. Daß
v. 4 u. 5 zweimal die veritas evangelii, ein term.
techn. bei Marcion, der nichtigen Predigt falscher
Lehrer gegenüber hervorgehoben und durch den Zusatz
quod a me praedicatur die alleinige Richtigkeit der
paulinischen Verkündigung unterstrichen wird, ist deutlich
Marcionitisch. Ebenso die wiederholte Betonung
des Begriffs vita aeterna, der ein Stichwort der Verkündigung
und Kirche Marcions war. v. 10 wird mit raffiniertem
Geschick der zugrundeliegende Text von Phil.