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Ausgabe:

1924

Spalte:

300-302

Autor/Hrsg.:

Sommerlath, Ernst

Titel/Untertitel:

Der Ursprung des neuen Lebens nach Paulus 1924

Rezensent:

Jülicher, Adolf

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Scheidung (nicht nur Trennung) ist nur da erlaubt, wo
der andere (heidnische) Teil die Durchführung des
christlichen Lebensideals unmöglich macht. Über diese
positive Würdigung der Ehe, der Mütterlichkeit, der
religiösen Ebenbürtigkeit wird man sich leicht einigen.
Man kann sich nur freuen, mit welcher Energie der
katholische Exeget diese Seite der Sache betont. Schwieriger
ist eine gerechte Würdigung der Stellung des
Paulus zur „Jungfräulichkeit". Hier wird es vor allem
darauf ankommen, Fragestellungen, Schablonen, Gedanken
- und Empfindungsausprägungen späterer Zeiten .
der Untersuchung fern zu halten. Verf. hat auch den
Willen dazu. Ob es ihm ganz gelungen ist? Vielleicht
können wir uns alle nicht ganz freimachen von dem
Wunsche, die Stellung des Paulus möchte doch unserer
Auffassungsweise entsprechen. Daß er der Ehelosigkeit
den Vorzug gibt, ist ja deutlich. Auch daß er im
Gedanken an das letzte Weltende den Christen gern
frei sehen möchte von irdischen Fesseln und Sorgen
und daß er die Ehelosigkeit als eine Erleichterung
empfindet, um allein dem Herrn zu gefallen, ist richtig.
Aber wie viele protestantische Exegeten Unrecht taten,
das wegzudisputieren, so darf auch der katholische
Exeget nicht Begriffe wie „sittlich besser", „höhere
Stufe der Heiligkeit" oder gar den Unterschied zwischen
.evangelischem Rat' und .Gebot' in die Texte hineinlesen
. Gibt doch der Verf. selbst zu, daß die Formulierweise
1. Cor-7,1 ,yuxXfa> avO-Qwittj) ywcuxbg firj ättveo&ai'
von Paulus nur als Fragestellung derer, die an ihn geschrieben
haben, zitiert wird. Dann darf er aber nicht
sagen, daß Paulus selbst diesen Satz mit Nachdruck
voranstelle. Das ist mißverständlich. Denn der Apostel
will ja grade auseinandersetzen, daß hierüber nicht mit
einem ,Verbot' oder .Gebot' geurteilt werden kann. Wie
man Luther Unrecht täte, wenn man seine Äußerungen im
Kampf gegen werkheiliges Klosterleben als eine Verwerfung
jedes Jungfräulichkeitsideals verstehen
würde, so läßt Paulus den Platz offen auch für die
spätere kulturelle Wertung des Berufslebens und des
praktischen christlichen Segens des evangelischen Pfarrhauses
. Dann ist aber der Satz falsch, daß die Ehelosigkeit
auf alle Fälle bestimmt der Ehe vorzuziehen
sei. Doch warum darüber streiten? Die Hauptsache
bleibt, daß wir spätere Fragestellungen und Gesichtspunkte
nicht in die zeitgeschichtliche und persönlich
bedingte Auffassung des Paulus hineintragen.

Ähnliches gilt von der „Stellung der Frau". Sehr
richtig bemerkt der Verfasser: „Die Christenwürde der
Frau steht nicht im Widerspruch zu ihrer — damals
jedenfalls — untergeordneten Stellung zum Mann im
Hause wie in der Gesellschaft, und die Frauen können
das Recht zu Unabhängigkeitsbestrebungen nach Paulus
ebensowenig durch die Berufung auf ihre christliche
„Freiheit und Gleichheit in Christus rechtfertigen wie
die Sklaven" (S. 118). Dann darf aber auch die damalige
kirchlich - r e c h 11 i c h e Stellung der Frau nicht
als maßgebend angesehen werden für alle Zeiten. Der
Verfasser will sich nach dieser Richtung decken durch
den Nachweis, daß schon im Urchristentum nicht nur |
Enthusiasmus sondern auch Amt und Ordnung bestanden
habe. Er will —aber mit Unrecht — daraus ableiten
, daß eine „hierarchische Bestellung und Weise besonderer
Amtsorgane" (S. 137) schon bestanden habe.
Hier durchbricht der katholische Priester- und Amtsbegriff
die ruhige geschichtliche Untersuchung. Von
dieser Voraussetzung aus ist es nicht schwer, den
Frauen „klerikale" Rechte abzusprechen. Die katholische
Kirche hat sie ihr in der Tat nie eingeräumt. Man
braucht freilich nicht einmal die Pastoralbriefe heranzuziehen
um festzustellen, daß auch Paulus der Frau
kein Lehrrecht in der Kirche gegeben hat. Das Recht
als „Prophetin" ein Werkzeug heiligen Geistes zu sein,
liegt auf einer andern Linie. So dürfen auch die Spuren
gelegentlicher Lehrtätigkeit der Frauen in den ersten
Jahrhunderten nicht umgedeutet werden in eine kirchlich
-rechtliche Stellung im öffentlichen Gottesdienst.
Aber es sollen auch dem Apostel keine grundsätzlichen
Antworten zugemutet werden, die ihm ganz fern
lagen. Auch „eine Apostelwürde- und vollmacht, kraft
deren er der zuverlässige und glaubwürdige Künder des
göttlichen Worts und Dolmetscher der kirchlichen Lehre
ist", darf nicht im Sinn späterer Vorstellungen verstanden
werden.

Hier liegen die Grenzen für die Verständigung mit
dem Verfasser. Innerhalb dieser Grenzen aber darf eine
weitgehende Übereinstimmung unserer Auslegung mit
den Ausführungen dieses Buchs konstatiert werden.
Verf. bietet umsichtige und gründliche Untersuchungen,
die der Sache dienen, und beherrscht die ganze Literatur,
die hier in Frage kommt. Das Buch kann Jedem
empfohlen werden, der sich aus wissenschaftlichen
oder praktischen Gründen mit der Stellung des Paulus
zu diesen Problemen befaßt.

Oreifswald. Ed. v. d. Goltz.

Sommerlath, Priv.-Doz. Lic. Ernst: Der Ursprung des neuen
Lebens nach Paulus. Leipzig: Dörffling 8c Franke 1923. (V,
104 S.) gr. 80. Gm. 2-.

Tapfere und gewissenhafte Gedankenarbeit an einem
der schwersten Probleme der neutestamentlichen
Theologie: dieser Eindruck bestätigt sich dem Leser
von Sommerlaths Buch immer aufs Neue und hilft
ihm manche Mängel verschmerzen. Gewissenhaft: man
kann sich auf seine Angaben durchweg verlassen; der
schwerste, freilich vielmals wiederholte, Schreibfehler
ist xci&ccQyT]xh]vai. In der neueren Literatur hat S. sich
gründlich umgesehen, und wenn er auch nächst Zahn,
Juncker und Kühl am liebsten seine Leipziger Lehrer
auf sich wirken läßt, geht er an Anderen, wie
an Holtzmann, Heitmüller und R. Reitzenstein nicht
vorbei, und zitiert sie keineswegs nur, um sie zu verdammen
. Es ist bei ihm keine Phrase, wenn er (z. B.
S. 82) davor warnt, in irgend einem Punkte mit von
vornherein feststehenden Voraussetzungen an die
Äußerungen des Apostels heranzugehen, er handelt demgemäß
, indem er statt auszugehen etwa von einem scharf
umschriebenen Begriff von Jtvevfxa und uap§ oder von
iy'moc und ölkulovv durchweg von gelegentlichen, un-
reflektierten Aussagen des Apostels aus den Zugang zu
dessen religiösen Vorstellungskomplexen zu gewinnen
sucht. Und Tapferkeit bewährt er, indem er durch keine
Autorität sich etwas abringen läßt von entschlossenem
Widerstand wider alle Versuche, den Paulus zu modernisieren
, ihm der eigenen, sei es modern-positiver,
sei es liberaler Weltanschauung zuliebe die antike
Massivität zu beschneiden.

Das Ziel, das er seiner Untersuchung gestellt hat,
ist einzig der Nachweis, daß nach Paulus das neue Leben
des Christen auf ganz objektiven, d. h. auf supranaturalen
Grundlagen ruht, daß es nichts weiter ist als
das von Gottes Gnade Hineingehobenwerden in das
Leben des gestorbenen und auferstandenen Gottessohnes
— was durch die Tauf- und durch die Glaubensgemeinschaft
mit Christus vollzogen wird; schließlich
stellt sich heraus, daß die Rechtfertigung, scheinbar
gar nicht beziehbar auf das neue Leben, in Wahrheit mit
ihm eins ist. Denn beide sind nur verschiedne Bezeichnungen
für die Herstellung einer Gemeinschaft
zwischen uns und Christus: wie ließe sich aber die
Rechtfertigungsgemeinschaft von der Lebensgemeinschaft
trennen? Beide bringen die volle Gemeinschaft
zum Ausdruck; „denn sowohl Rechtfertigung
ist volle Gemeinschaft, wie auch das neue Leben volle
Gemeinschaft ist. Und mehr als Gemeinschaft mit
Christus und in ihm mit Gott läßt sich nicht denken,
und von mehr weiß auch Paulus nichts zu sagen"
(S. 102).

In diesen Hauptgedanken stimme ich dem Verf.
durchaus zu, und würde gern eine Reihe von Beispielen
anführen, wo er geschickt und fördernd in schwebende