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Ausgabe:

1924 Nr. 1

Spalte:

12-13

Autor/Hrsg.:

Dieckmann, Hermann

Titel/Untertitel:

Die Verfassung der Urkirche 1924

Rezensent:

Koch, Hugo

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Theologische Literaturzeitung 1924 Nr. 1.

L2

Jerusalem sei auch die Bauform der Syn. nachgebildet,
bei welcher Vorhalle, Saal, heiliger Schrein den drei
Teilen des Tempels entsprechen (S. 100). Sie solle am
höchsten Punkte der Stadt liegen, wie der Tempel über
alle Profanbauten hervorragte (S. 288). Aber das letztere
war doch nicht der Fall, da der Hauptteil Jerusalems
30 Meter höher stand als der Tempel, und Kr. selbst
zeigt nachher, daß den bekannten Synagogen Galiläas
der dem Allerheiligsten entsprechende dritte Teil fehlt.
Es müßte doch bewiesen werden, daß einst der Opferdienst
der Mittelpunkt der Synagoge war, wenn doch
fest steht, daß sie, soweit wir darum wissen, in erster
Linie der öffentlichen Gesetzesverlesung dienten, und
daß das Gebet, das man dann in Beziehung zum Tempeldienst
gesetzt hat, erst in zweiter Linie ihren Zweck bestimmte
. Es scheint doch das Gewiesene, von da aus
die Entstehung der Synagoge zu bestimmen und zu vermuten
, daß die jüdischen Konventikel, welche sich um
das Gesetz in seiner letzten Gestalt zusammenschlössen,
auch für die dazu nötigen Örtlichkeiten sorgten. Grade
diese Konventikel haben trotz aller Bedenken gegen die
tatsächliche Ausübung des Tempeldienstes, wie wir bei
den Essäern und der Gemeinde des neuen Bundes sehen,
nicht gewagt, den Tempel durch eigene Opferstätten
zu ersetzen. Man entfremdet die Synagogen ihrem Wesen
, wenn man sie in diese Richtung schiebt. Eine unhistorische
Betrachtungsweise zeigt Kr. auch in seiner
Hervorhebung von Zügen der „Naturverehrung", die
darin erscheinen sollen, daß Synagoge und Tempel auf
jungfräulicher Erde stehen müssen (S. 290), während
es sich doch nur um die rituelle Reinheit handelt, die
man bei dem vom Menschen unberührten Erdboden wie
bei der Meeresküste (Ohal. XVIII 6) voraussetzt. Im
Zusammenhang mit der vermeinten Naturverehrung steht
dann auch, daß die dachlose Freiluftsynagoge das Normale
gewesen sein soll, weil „im regenlosen Morgenlande
ein Beten unter dem feierlich mächtigen Himmelsgewölbe
" ein wirksames Mittel der religiösen Sammlung
war (S. 331). Nur irrtümlich behaupte man von
den galiläischen Synagogen ein Dach. Aber Kohl und
Watzinger nehmen doch für sie alle Bedachung an,
und in jedem Fall müßten ihre auch von Kr. anerkannten
Säulengänge bedeckt gewesen sein. Wer Palästina
kennt, wird die Zumutung, in Sonnenbrand und Regenguß
Gottesdienst zu halten, nicht als Förderung der Andacht
betrachten. Die Bauwerke wollen doch grade vor
beidem sichern, ein Beten am Fluß oder Meeresufer
war eine Noteinrichtung, nicht das Normale.

Die singulare Vorschrift der Tosephta (Meg. IV 22),
die Synagogen sollten sich ostwärts öffnen, versteht
Kr. S. 323 f. von dem Betplatz unter freiem Himmel, und
findet ein Beispiel dafür in dem östlichen Nebenhof der
Synagoge von Kapernaum (S. 328 ff.), dessen Eingang
sich zwar auf der Ostseite der Synagoge, aber grade
nicht auf seiner Ostseite befand. Zur Theorie von Kr.
stimmt auch nicht, daß unmittelbar vorher die Gemeindeältesten
als beim Gottesdienst sitzend gedacht werden.
Soll der freie Platz vor der Synagoge, an den Kr. hier
denkt, auch mit Sitzen versehen sein? Wenn aber dort,
wie auch der Wortlaut sagt, an Synagogen häuser gedacht
ist, so wird es sich eben um ihre innere Einrichtung
handeln. Sie erscheint da als normiert durch die Richtung
auf „das Heiligtum", das nicht ein fester heiliger Schrein
sein kann, weil die Lade mit den Gesetzesrollen für den
Gottesdienst selbst erst „gesetzt" wird und dabei auch
nach der Lage des „Heiligtums" ihre Richtung bekommt
. Kr. versteht unter dem „Heiligtum" die Synagoge
, vor der man sich befinde, die also hier wie der
Tempel die Gebetsrichtung sogar außerhalb ihrer bestimme
. Aber näher liegt doch an den Tempel selbst zu
denken, nach welchem im Synagogengottesdienst alles
zu richten ist, im Einklang damit, daß Tos. Meg. IV 26
mit demselben Ausdruck ohne Zweifel den Tempel meint.
Wenn der Eingang der Synagoge stets von Osten sein
soll wie einst bei der Stiftshütte, so folgt daraus, daß

die innere Einrichtung davon unabhängig sein mußte.
Die galiläischen Synagogen haben sich nach jener Vorschrift
, welche die Tosephta allein hat, nicht gerichtet.
Kr. findet es nun unglaublich, daß die Beter in denen
von ihnen, welche ihren Eingang von Süden hatten,
sich zum Gebet türwärts gewandt hätten. Watzinger
gegenüber wird er insofern Recht haben, als gewiß nicht
unmittelbar vor dem Haupteingang im Innern ein fester
Thoraschrein aufgebaut war. Die von W. dafür in Anspruch
genommenen Schmuckteile werden zu einem Fenster
gehören (vgl. „Die antiken Synagogen in Galiläa,"
Abb. 70—73 mit Abb. 21—23). Aber wenn nun doch
Säulenhallen und Emporen die der Türseite gegenüberliegende
Wand mit umziehen, ist doch bautechnisch
klar, daß der Augpunkt des Innern türwärts liegen
muß, wo auch die Lichtverhältnisse für die öffentliche
Verlesung des Gesetzes den besten Ort ergaben. Eine
hölzerne Plattform mag in dieser Gegend gestanden
haben. Als Archiv für die Thorarollen und ihre Lade
diente voraussichtlich der in Kapernaum wie in Irbid
beobachtete kleine Raum an der Nordwestecke der Synagoge
. Auf diese Weise dürfte Vorschrift und tatsächlicher
Bestand in besseren Einklang zu bringen sein, als
es bei Kr. geschieht. Auf andere Einzelheiten hier einzugehen
, versage ich mir. Doch darf ich wohl erwähnen,
daß die S. 291, 439 mir vorgeworfenen irrigen Zitate
völlig in Ordnung sind, daß die S. 329 bei Kohl-Watzinger
vermißte Kiblanische in der Synagoge von Irbid
S. 63, Tafel VIII von ihnen erwähnt wird, daß Kr.
S. 208 S. Klein gegenüber daran festhält, man habe von
der Synagoge von Maon aus Silo sehen können, obwohl
Karte und Wirklichkeit (die Lage von Maon ist Kr. unbekannt
geblieben) das Gegenteil beweisen. Wie kann
Kr. S. 323 für zweifelhaft erklären, daß der Tempel nach
Westen gerichtet war, wenn doch die Ostrichtung seines
Eingangs nach Ez. 43, 1 ff.; 44, 1 ff., Antt. VIII 3, 2,
Bell. Jud. V 5, 3 feststeht? In großen und kleinen Dingen
wird also dem Benutzer der außerordentlich lehrreichen
und willkommenen Arbeit die Aufgabe gründlicher
Nachprüfung nicht erlassen bleiben.

Greifswald. G- D a 1 m a n.

Dieckmann, Hermann, S. J.: Die Verfassung der Urkirche.

Dargestellt auf Grund der Paulusbriefe u. d. Apostelgeschichte.
Berlin: Germania A.-G. 1Q23. (144 S.) 8°. Oz. 2.50.

Die als geschichtliche Untersuchung verkleidete
Schrift beweist mit der üblichen apologetischen Sieg-
haftigkeit aus dem N. T., namentlich aus der Apostelgeschichte
und den paulinischen Briefen, daß die Kirche
als körperschaftsrechtliche Gemeinschaft mit Bischofsamt
und Papsttum und ihrem ganzen Bestand an Lehren
und Sakramenten eine unmittelbare Stiftung Jesu Christi
ist. Wer das trotzdem noch nicht einsieht, hat dies
lediglich seiner .Scheu vor allem übernatürlichen' zuzuschreiben
, die ihn hindert, ,die Person und das Werk
Jesu Christi unbefangen zu würdigen' (S. 22. 67). Die
nötige Unbefangenheit ist eben offenbar nur da gewonnen
, wo man mit dogmatischer Verpflichtung und dem
Modernisteneid behaftet zum voraus weiß, was bei einer
Untersuchung herauskommen muß.

Einige Belege für D.'s Darstcllungskunst. Die Christen waren
von allem Anfang .zutiefst davon überzeugt, daß sie mit der Annahme
der Lehre und Religion Jesu ausschieden aus jeder andern Religionsgemeinschaft
' (S. 35). Bekanntlich .sandten' die Apostel nach
Samarien den Petrus und Johannes (AG. 8,14), nach Antiochien den
Barnabas (11,22). Im ersten Falle aber drückt es D. schonend so
aus: ,es kommen von Jerusalem die Apostel Petrus und Johanne«'
(S. 47). Wie kann aber auch Lukas sich so nachlässig ausdrücken und
sagen, daß Petrus, der erste Papst, von andern geschickt worden «ei!
Das cide'/.iptii' ywatxa negiäysix (l. Cor. 9, 5) wird glattweg übersetzt
,eine Schwester zur Dienstleistung mitnehmen' (S. 59). Daß das Wort
ixxXyaia außer Mt. 16, 19 und 18, 17 nirgends in den F.vangclien vorkommt
, dürfen die Leser nicht erfahren (S. 62 ff.). .Keines der Worte
des hl. Paulus beleuchtet die Stellung und die Autorität des hl. Petrus,
auch die Achtung, die ihm Paulus entgegenbrachte, so klar wie die Er-