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Ausgabe: | 1924 Nr. 13 |
Spalte: | 270-271 |
Autor/Hrsg.: | Bruno, Arvid |
Titel/Untertitel: | Micha und der Herrscher aus der Vorzeit 1924 |
Rezensent: | Gressmann, Hugo |
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Theologische Literaturzeitung 1924 Nr. 13.
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noch zu einigen Einzelheiten ein Fragezeichen machen,
so zu der Behauptung S. 69, der merkwürdige Brauch,
das Opfertier mit Wasser oder Wein zu begießen,
habe den Grund, es zittern zu machen und dadurch als
von Gott besessen zu erweisen, oder zu der andern
S. 433, der Einzuweihende dürfe sich nicht waschen,
weil das eine gewisse Gebundenheit und Spannung
schaffe und so zum unterbewußten Erleben mithelfe.
Dagegen von allgemeinen Ausführungen habe ich nur
die Behandlung der steinzeitlichen Kultur stellenweise
zu beanstanden.
Zwar daß die Höhlenbilder manische Bedeutung haben, glaube
ich auch, und seine Vermutung, die unverständlichen Punkte oder
Linien über dem Höcker eines Bisons oder an der Unter- und Hinterseite
des Tieres sollten die Fruchtbarkeit desselben befördern, bezeichnet
H. selbst als unsicher, wiederholt sie aber doch gleich nachher
mit Bezug auf die Ringe und das andre, von ihm als Phallus gedeutete
Zeichen auf dem Leibe eines Pferdes. Wenn er weiter zum
Beweis für eine solche Erklärung an die merkwürdigen Fersenabdrücke
in der Höhle von Tue d'Audobert erinnert, so können doch auch sie,
selbst wenn sie auf einen sakralen Tanz hindeuteten (ein Hink-
tanz könnte auf diese Weise eigentlich gerade nicht ausgeführt
werden), nicht speziell einen Fr u c h t b a r k e i ts zauber beweisen.
Eher sind dazu die Nachbildungen des Phallus und der Vulva zu gebrauchen
, obwohl die entsprechenden primitiven Darstellungen nicht
notwendig magischen Sinn haben und das Bleiidol aus Troja ursprünglich
kein Hakenkreuz auf der Vulva zeigt (vgl. z. B. Hörncs,
Urgeschichte der bildenden Kunst 2 360, 15). Auch die Erklärung der
beiden Figuren in der Höhle von Combarelles von einem im Fruchtbarkeitszauber
tanzenden maskierten Paare ist, zumal nach H. selbst
die Maskierung nicht deutlich ist, unsicher — ebenso wie die entsprechende
Deutung des Freskos von Cogul; vielmehr sagt der von
H. zitierte Abbe Breuil selbst: les parties genitales sont de dimensions
excessives, mais non en erection. Daß der Paläolithiker Qötterbilder
gehabt hat, möchte ich allerdings ebenfalls auch aus den Reliefs von
Laussei schließen, wenngleich ja gerade die ein Trinkhorn haltende
Figur von andern (Hörnes, Schuchhardt usw.) anders gedeutet worden
ist. Von den angeblichen steinzeitlichen Schwirrhölzern — H. sagt
S. 187 selbst: „trotz der möglichen Verwendung dieser Gegenstände
als Schwirrhöl/cr, worauf die geheimnisvollen Zeichen hindeuten,
kann doch keiner einwandfrei als Schwirrholz erschlossen werden" —
war ja schon oben die Rede, und auch die Spuren von prähistorischen
Mysterien, die er entdeckt zu haben glaubt, (es handelt sich um die
Abbildungen bei Mainage, Les religions de la prehistoire 1,354. 368)
sind doch, wie er selbst zugibt, absolut unsicher. Dagegen ist die
Ursprünglichkeit der Idee vom sog. lebenden Leichnam zu deutlich,
als daß sie bezweifelt werden könnte — geschweige denn auf Grund
der von H. verglichenen ägyptischen Vorstellungen; vielmehr weist
doch gerade die von ihm auch erwähnte Ockerbestattung ursprünglich
auf jene Anschauung hin.
Doch all das gehört nur indirekt zu dem Thema
des H.sehen Buchs, und auch die andern wenigen kleinen
Ausstellungen, die ich gemacht habe, sollen seinen
Wert nicht irgendwie herabsetzen. Man sagt wohl nicht
zu viel, wenn man es als die hervorragendste religionsgeschichtliche
Erscheinung des vorigen Jahres bezeichnet
; es stellt nicht nur, was Beherrschung des Materials
und der Literatur betrifft, eine bewundernswerte Leistung
dar, sondern macht namentlich insofern Epoche,
als es energisch und ausführlich auf eine bisher zumeist
wenig beachtete Seite der Religion hinweist. So darf
man auch den andern Bänden des Werks, die sich der
Verfasser vorgenommen hat (der 2. soll den Gedanken
der Entwicklung, der 3. Erlebnis und Idee der Offenbarung
behandeln und der 4. Ideen zu einer Philosophie
der Religion bringen) mit den höchstgespannten Erwartungen
entgegensehen.
Bonn. Carl Giemen.
Vordemfelde, Maus: Die germanische Religion in den
deutschen Volksrechten. 1. Halbband: Der religiöse Glaube.
Gießen: Alfr. Töpelmann 1923. (165 S.) 8°. = Religionsgcschichtl.
Versuche u. Vorarbeiten. XVIII, 1. Gm. 3—.
Die in den altgermanischen Volksrechten der Völker-
wanderungs- und Karolingerzeit blühende Symbolik
(Poesie im Recht) religionsgeschichtlich zu motivieren,
war ein kühnes Unterfangen. Der Verf. hat allerdings
auch der Magie ein Anrecht darauf zugestanden, damit
aber selbst die religiöse Begründung erheblich eingeschränkt
. Es wäre darum richtiger und dem verarbeiteten
Stoff angemessener gewesen, wenn er seine Sammlung
der Belegstellen und die ihnen gewidmete Erörterung
etwa „Beiträge zur Volkskunde" genannt (vgl. S. 160 f.)
und damit seine Kombinationen ihres (von dem Verf.
selbst ständig betonten) hypothetischen Charakters entkleidet
hätte. Seine Leistung wird aber außerdem dadurch
gefährdet, daß er der Zeitlage der Rechtsdenkmäler
und folglich ihren spätantiken und christlichen
Elementen (die er selbst anerkennt; vgl. S. 129. 140ff.
163; 109. 117 f.) nicht umfassend und gründlich genug
Rechnung getragen hat. Doch hat der Verf. Anspruch
darauf, daß das endgültige Urteil bis zum Erscheinen
des zweiten Halbbands vertagt werde. Bisher hat er
den nach seiner Ansicht für den „religiösen Glauben" in
Betracht kommenden Stoff ausgebreitet und wird später
dem Kultus sich widmen (S. 12). Er ließ bei der Darstellung
von „entwicklungsgeschichtlichen" Gesichtspunkten
sich leiten: er hebt mit den Überlebseln des
Fetischismus an, darauf folgen Erscheinungen primitiver
„Religion", die eine Verehrung der unbelebten und belebten
Natur bezeugen sollen (Gesteine, Pflanzen, Tiere;
lebende und tote Menschen). Die höheren Entwicklungsformen
der heidnischen Religion fehlen fast völlig; die
Hauptstelle des Buches ist dem Hexenwesen gewidmet
(S. 125 ff.), aber die Resultate, zu denen der Verf. hier
gelangt und die Methode, die sie zeitigte, sind gleich unbefriedigend
.
Kiel. Fr. Ka uff mann.
Bruno, Lic. A.: Micha und der Herrscher aus der Vorzeit.
Leipzig: A. Deichert 1923. (VIII, 214 S.) gr. 8°. Gm. 5—.
Im ersten Abschnitt werden die Rätsel von Micha c. 1—5 besprochen
. Die Lösung lautet: Micha verkündigt zwar Jerusalem den
ewigen Untergang, verheißt aber der Provinzstadt Bcth-Ophra eine
herrliche Zukunft. — Der Text stimmt zwar nicht ganz dazu, aber
das schadet nichts, da man ihn ja „verbessern" kann. Wenn z. B.
Micha nicht nur Jerusalem, sondern auch Saniarien mit dem Untergang
bedroht, so ist Samarien „unschwer" zu streichen; es wird zwar
dreimal ausdrücklich genannt, aber es hätte nicht genannt werden
dürfen: „Der Prophet jammert über das Schicksal Samariens, aber
das Schicksal Jerusalems hätte ihm viel mehr am Herzen liegen
müssen"(S. 5). „Die unglückliche Erwähnung Samariens in V. 6...;
| so zwingt uns schon diese Betrachtung, Samarien in V. 6 zu be-
j seitigen" (S. 10). Daß der neue König der Vorzeit aus Beth-Ophra
stamme, ist zwar auch nirgends überliefert, aber man kann es in
5, 1 „unschwer" hineinkorrigieren, ist doch der Vers zweifellos verderbt
. Zwar liest man sonst mit guten Gründen: „Und du, Betli-
Ephrath, du kleinster der Gaue Judas", aber nach Br. sollte es
heißen: „Und du, Beth-Ophra, juble, jauchze über die Wunder-
! taten Jahves". Noch schöner ist die Fortsetzung: „Und er tritt auf
und weidet in der Kraft Jahves .... und wehen wird in seiner Zeit die
Fahne Jahve-salom". Die Erklärung dazu lautet (S. 95): „Fahnen
I mit Inskriptionen sind ja auch bei uns häufig und wehen gern auch
von Gebäuden. Beispiele kennt jedermann. An großen Festtagen sieht
j man ihre Farben auch an den Türmen katholischer Kathedralen und
Kirchen. Wäre es dann nicht ganz natürlich, wenn man die Fahnen im
alten Israel ebenso gebraucht hätte." Gewiß, warum sollte es nicht
zur Zeit Michas schon Synagogen mit Türmen gegeben haben, an
I denen „Fahnen mit Inskriptionen" wehten, vielleicht gar mit der Inschrift
: „Nun flaggen Stadt und Hafen"? Ein Ort Beth-
| Ophra ist uns zwar nirgends bezeugt, aber warum sollte es ihn nicht
gegeben haben? In 4, 8 heißt es zwar nach der Überlieferung, daß
die frühere Herrschaft in Jerusalem, „dem Herdenturm, dem Hügel
der Tochter Zion" wiederhergestellt werden soll, aber da der Ausdruck
„Hügel der Tochter Zion" höchst befremdlich ist, so „ist statt
dessen ein Beth-Ophra einzusetzen", weil ja auch 5, 1 ff. „von der
früheren Herrschaft Beth-Ophras spricht" (S. 103), freilich nur
nach der Vermutung desVfs. Aber „wenn" jene Vermutung richtig ist,
dann ist diese Vermutung „über jeden Zweifel erhaben". Im zweiten
Abschnitt wird die Gideon-Abimelech-,,Perikope" analysiert. Es sind
angeblich zwei Quellen vorhanden; eine nordisraelitische von Gideon
und eine südisraelitische von Jerubbaal. Der dritte Abschnitt „beweist
", daß es ein berühmtes Ophra westlich von Jerusalem gab, obwohl
die Texte nichts davon wissen; nebenbei werden wir noch belehrt
, daß es auch ein heiliges Gath westlich von Jerusalem gab, obwohl
die Texte nichts davon wissen. Der Philisterkönig Akisch, dessen
Namensform „unsicher" sein soll (S. 200) — obwohl die bab. Quellen
einen Ikausu von Ekron und die ägyptischen einen Ekascho von
Kefti kennen — war natürlich weder König noch Philister, sondern ein