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Ausgabe:

1924 Nr. 12

Spalte:

252-255

Autor/Hrsg.:

Harnack, Adolf v.

Titel/Untertitel:

Das „Wir“ in den Johanneischen Schriften 1924

Rezensent:

Behm, Johannes

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251

Theologische Literaturzeitung 1924 Nr. 12.

252

Die Übersetzung, die bereits vor der Edition des
Textes erschien, ist absichtlich frei gehalten. Sie ist zuverlässig
. Stellenweise wäre zwar eine genauere Wiedergabe
des Arab. möglich und erwünscht gewesen, bes.
sollten auch Kleinigkeiten nicht weggelassen werden.
Ein paar Versehen, die mir aufgefallen sind, notiere
ich noch: S. 66 Z. 14f. fehlen in der Übersetzung
(Aberration!). S. 87 Z. 1 v. u. ist lam astardilka (=Syr)
falsch wiedergegeben durch „I have not made a secret
of it" (lam astur dälika). S. 89 Anm. 2 verstehe ich
nicht. Ein Index der Bibelzitate wäre wünschenswert gewesen
.

Bonn. F. Horst.

Vogels, Heinrich Joseph: Handbuch der neutestamentlichen
Textkritik. Münster: Aschendorff 1923. (XI, 255 S.) 8°. =
Lehrbücher z. Gebrauche beim theolog. und philosoph. Studium.

Gm. 4.20; geb. 5.45.

Von einem Handbuch der neutestamentlichen Textkritik
für Studierende muß vor allen Dingen verlangt
werden, daß es den Stoff, vor dem den Anfänger leicht
ein Grauen befällt, übersichtlich geordnet und gut lesbar
darbiete, daß es den Leser nicht in gelehrtem Beiwerk
ersticke und sich nicht scheue, ihm auch das angeblich
Selbstverständliche zu verraten. Gerade diese
Eigenschaften kann aber dem Buch nur ein Autor verleihen
, der wirklich kraft seines Arbeitens i n der Materie
auch über ihr zu stehen vermag. Daß V. diese Bedingung
erfüllt, ist nicht zu bezweifeln; damit ist natürlich
noch kein Urteil gefällt über seine eigene Ausgabe
des N. T., deren eklektische Art er im Vorwort
des „Handbuchs" gegen Lietzmann verteidigt, deren
Wert aber hier nicht zur Debatte steht. Die in dem
Handbuch vertretene textkritische Methode — bei
einem pädagogischen Buch nicht die allererste, aber
immerhin eine Hauptsache — bemüht sich, an der
Hand der lateinischen und syrischen Uebersetzungen die
Probleme der Textgeschichte zu bewältigen und so über
den bloßen Eklektizismus hinauszukommen. Mit Nachdruck
beruft sich V. dabei immer wieder (S. 87 f. 178 f.
228 f.) auf die größere Farbigkeit der Übersetzungen,
die meist schon in der Auswahl der zur Verfügung
stehenden Wort-Äquivalente ihren Charakter offenbaren;
als einleuchtendes Beispiel nennt er die Wiedergabe gewisser
johanneischer Termini bei den Altlateinern. Den
Rezensionen des Textes, den Westcott-Hortschen wie
den Sodenschen, steht V. mit großer Skepsis gegenüber;
und das mag der Grund sein, weshalb er bei seiner
Charakteristik der Handschriften (§ 5) sehr wenig von
ihnen redet. Wer wie ich die Größen des ägyptischen
und Koine-Textes minder skeptisch betrachtet, wird das
bedauern, weil sich der Verfasser eines wichtigen
Charakterisierungsmittels begibt. Und dort, wo er es
braucht, ist es eigentlich auch nicht am Platze, denn der
Leser ist in § 5 noch gar nicht über den „westlichen
Text" und Sodens Rezension J orientiert.

Damit komme ich zur Anordnung des Buches. Was
auf den ersten Blick auffällt, ist das Fehlen eines eigenen
Kapitels über die Textgeschichte; das berührt seltsam bei
einem Autor, der in seiner Kritik von der Textgeschichte
den Ausgang nehmen will. Es ist möglich, daß ihn pädagogische
Bedenken geleitet haben: er wollte vielleicht
für die älteste Geschichte (Rezensionen!) vorsichtige
Zurückhaltung wahren und mit der streckenweis trockenen
Geschichte des gedruckten Textes sein Studentenbuch
nicht belasten. Aber es ist doch ein erheblicher
Mangel, daß der Studierende nun nirgends eine Übersicht
über das Werden und die Bewahrung des Textes zu lesen
bekommt und daß man das hierher gehörige an verschiedenen
Stellen des Buches zusammensuchen muß.

So ist ein eigener Paragraph Marcion und Tatian gewidmet. Damit
wird das aktuellste Problem der ältesten Textgeschichte berührt;
aber diese wichtigen Ausführungen — mit grundsätzlicher Zustimmung
zu Sodens These vom Tatian-Einfluß, aber scharfer Kritik an seinen

Tatian-Notaten und seiner Überschätzung von Tatarab — stehen in
dem Abschnitt „Schriftstellerzitate". Und man muß sie überdies ergänzen
durch das, was bereits S. 128 ff. bei Besprechung der syrischen
Übersetzungen zum Tatian-Problem in aller Ausführlichkeit gesagt ist.
Ferner findet sich die Behandlung der verschiedenen Texteinteilungen
sowie ein paläographischer Abschnitt über Kürzungen in dem Paragraphen
, der den Pergamenthandschriften gewidmet ist. Die Darstellung
der Textverderbnisse aber wird im zweiten, die Methode betreffenden
Teil des Buches gegeben, dort allerdings in lehrreicher und
anschaulicher Ausführlichkeit.

Und damit ist nun wieder ein Vorzug dieses Handbuches
berührt, das ist sein Reichtum an Beispielen. Zumal
in den methodischen Paragraphen über die Fehlerquellen
und über die Zusammenhänge unter den Lesarten
wird der Leser mit einer Fülle von Belegen bedient
; wenn das in Petit-Druck geschähe, würde die
Übersichtlichkeit gewinnen. Natürlich ist damit auch
der Subjektivismus des Buches gesteigert, da eine ganze
Anzahl der hier vorgetragenen Entscheidungen eben
problematisch sind und der Anfänger kaum imstande ist,
den hypothetischen Charakter mancher Auskunft richtig
einzuschätzen. Eine Folge dieser Reichhaltigkeit in Einzeldingen
ist es natürlich auch, daß die Neigung des
Verfassers zu einzelnen Provinzen des ganzen Gebietes
hervortritt, während andere Abschnitte allzu kurz wegkommen
.

So erscheint mir der Abschnitt über die Papyrushandschriften
recht dürftig; die wichtigsten Editionen und die üblichen Abkürzungen
sowie einige der neutestamentlichen Fragmente (wenn
nicht alle) dürften genannt sein. Sehr viel sagt der Verf. von den
Unzialen (S. 38—69); aber warum erzählt er die interessante Entdeckungsgeschichte
von N nicht ausführlich? Von den Kleinhandschriften
, die so oft vernachlässigt werden, wünschte man mehr, etwa
über die „Evangelien-Ausgabe Zion", zu wissen. Den lateinischen
Übersetzungen sind dankenswerter Weise fast 40 Seiten gewidmet;
demgegenüber erscheint der methodische Teil trotz der Fülle von Belegen
etwas knapp; namentlich fehlt eine Anleitung zum Abwägen
zwischen mechanistischen und exegetischen Argumenten, die zumal
im Blick auf Sodens mechanistische Betonung der Parallcleinflüssc
angebracht wäre.

Wenn man V.s Arbeit mit der gleichzeitigen Bearbeitung
des Nestle durch Dobschütz vergleicht, so wird
man das D.sche Buch als das gelehrtere, übersichtlichere,
mit Tafeln und Tabellen gut ausgestattete Nachschlage-
und Handbuch charakterisieren dürfen; Vogels' Darstellung
ist ein gut zu lesendes, in pädagogischer Plauderei
behaglich sich ergehendes, mit einer Fülle von Belegen
zum Nachdenken (und zum Widerspruch) anregendes
, aber darüber, wie gezeigt, ein wenig unsystematisch
geratenes Einführungsbuch. Man kann nur wünschen,
daß beide Werke fleißig benutzt werden.

Heidelberg. Martin Dibelius.

H a r n a c k, Adolf v.: Das „Wir" in den Johanneischen Schriften.

Berlin: de Gruyter & Co. in Komm. 1923. (S. 96—113.) 4°. =
Sitzungsberichte d. preuß. Akademie d. Wissenschaften. Philos.-
hist. Kl. 1923. 17. Gm. —60.

Die Abhandlung gilt in der Hauptsache der — von
den meisten Exegeten, am entschiedensten Zahn, bejahten
— Frage, ob sich der Verfasser der johanneischen
Schriften „in den drei Briefen und im Evangelium an
einigen Stellen, an denen er mit „Wir" spricht, mit
einer Mehrheit von ungenannten Personen zusammenfaßt
, die im Unterschied von den Lesern an seiner
autoritativen Stellung [bzw. an seinen Erlebnissen]
irgendwie teil haben" (S. 96). H. untersucht die einschlägigen
Partien zuerst in den beiden kleinen Briefen,
dann im 1. Jon'., zuletzt im Evangelium — die Apokalypse
gibt für das Problem keinen nennenswerten Ertrag.
Der 2. Joh. weist nur einen Plural, communic. auf, der
den Schreiber und die Adressatin bzw. alle Christen zusammenfaßt
. 3. Joh. 9. 10.12, die einzigen Stellen, an
denen in diesem Brief ein derartiger kommunikativer
Plural in Frage kommen könnte, lassen nur die Deutung
des „Wir" = „Ich" zu: der Verfasser will durch
den Wechsel seine Autorität stark betonen (Plural,
majest. bzw. autorit.). Im 1. Joh. scheidet die große