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Ausgabe:

1924 Nr. 11

Spalte:

234

Autor/Hrsg.:

Strong, Thomas B.

Titel/Untertitel:

Religion, Philosophy and History 1924

Rezensent:

Goetz, Hermann

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Seite 1

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233 Theologische Literaturzeitung 1924 Nr. 11. 234

tischen Sinne — unter denen finde, die E. und Frank vorführen.
Wie üheraus fein sind seine Ausführungen über „westlichen" (gothi-
schen) Kirchenbaustil und „östlichen" (byzantinischen, „griechischen")
im 4. Brief!

Erst in einem „Nachwort", S. 333—72, gibt E.
seine eigenen Gedanken kund hinsichtlich dessen, was
die „Dokumente" lehren könnten. Die Männer, die er
zu Wort hat kommen lassen, repräsentieren ihm eine
Skala: Tschaadajew, der ganz und gar „Westler"
geworden, will einfach „Union" der Kirchen, unter
Korns Führung (er galt in Rußland als eine Art Hochverräter
, wurde aber, um ihn „retten" zu können, für verrückt
erklärt), Chomjakow ist rundum Verteidiger,
Lobredner seiner, der orthodoxen Kirche (die allein die
einheitliche, echt christliche „Tradition" wahre und dem
„Rationalismus" nie geopfert habe), Solowjow ist
eine Art von Vermittler, voll freundlicher friedlicher Gesinnung
gegen Rom und die Protestanten, bleibt persönlich
unerschütterlich seiner Kirche treu, voll des
Eindrucks von ihrer unvergleichlichen Hoheit in Dogma
und Kultus, Aksakow, „der Berater des Erben Nikolaus
I." tritt mit i n u e r politischen Reformvorschlägen
hervor, Leontjew, in gewissem Maße vielmehr
außenpolitisch interessiert, ist im Unterschiede von
Aksakow, dem Slawophilen, ein „bloßer" Russe, drängt
auf Abwendung vom Panslawismus als einer Gefahr
der „Revolutionierung" Rußlands, ja der „Welt". Religiös
am sinnigsten ist Solowjow (dessen „ausgewählte
Werke" in deutscher Übersetzung ich 1915,
1918, 1923 in dieser Zeitschrift besprach: Der Traktat,
den E. bietet, findet sich weder darin, noch bei Frank:
ich kann ihn nicht gerade den „wichtigsten" finden,
doch lehrt auch er verstehen, was einen frommen, hochintelligenten
Mann die „Notwendigkeit" einer „Theo-
kratie" mit ganzer Seele verteidigen läßt: in Rußland
habe sie zwar alle drei Merkmale der Reinheit oder
Echtheit, bedeute aber „noch" praktisch das nicht,
was sie dem Volke, letztlich der Christenheit, bedeuten
könnte, wenn die „Personen" die rechten
wären). E. selbst sieht in Rußland im Grunde alles seit
rund 200 Jahren im Zeichen der „Europäisierung"
stehen. Auch ein Leontjew will sich nicht der europäischen
„Bildung" fern halten. Wie E. meint, sei der
Unterschied oder Gegensatz des „Westens" und
„Ostens" nicht der von Römern (Germanen) und Griechen
— diese beiden Gruppen hätten sich im römischen
Weltreiche im Zeichen der „Polis" (der civitas, des
„weltlichen" Staats) gefunden — sondern von „Occiden-
talen" und „Orientale n", „Asiaten", Rom und B y -
z a n z , welch letzteres die „Theokratie" im Unterschiede
von der Polis, den C ä s a r o papismus, in die Kirche eingefügt
habe, wobei doch die Kirche an ihrem Kultus
ein hehres Eigenland sich gerettet habe. In der Tat ist der
Kultus, die „Liturgie" überall erkennbar als die
Wonne der „orthodoxen" Seele. Bei allen Männern, von
denen E. „Dokumente" mitteilt, steht sie sichtbar oder
unsichtbar im Hintergrund. Sie ist der Stolz eines jeden
Russen, fast mögte ich sagen: selbst des theoretischen
Atheisten. E. glaubt, das östliche Christentum, seine
Frömmigkeit, werde Katholiken und Protestanten
je länger je mehr zwingen, sich klar zu werden, wie
viel ihnen beiden im Sinn des wahrhaft ursprünglichen
Christentums mangele. Die orthodoxe Kirche
werde für uns im Westen jener „Dritte" werden, an dem
die kirchlichen Gegner da ihre Verwandtschaft und
Einseitigkeit, ja Fehlerhaftigkeit erkennen lernen
, und dann doch ihrerseits auch dem Osten erst
volles ganzes „Leben" im G e s c h i c h t s sinne vermitteln
.

E. gibt zum Schlüsse eine Tafel der zur „Sache" gehörigen
„wichtigen" Literatur. Er notiert da mein kleines Volksbuch „Die
Kirchen und Sekten des Christentums in der Gegenwart" 1909. Ich
erlaube mir ihn auch hinzuweisen auf mein Werk „Vergleichende Konfessionskunde
" 1. D. orthodoxe anatolische Kirche, 1892; es ist ja in
seinem statistischen Material veraltet, daß es dt m Ideenhistoriker nichts
mehr sage, wird man nicht behaupten: E. könnt: manches sicherer verdeutlichen
, wenn er es mitheranziehen würde. Doch kennt er, wie
eine längere Ausführung S. 360 gelegentlich bezeugt, von A. v.
Harnack den schönen Aufsatz „Der Geist der morgcnländischen
Kirche", 1913 und überrascht zum Teil durch Detailkenntnisse, die
man nur beim Theologen vom Fach sucht. Ich widerspreche ihm
in seinen Hoffnungen und Erwartungen vom „Osten" nicht: diese
Kirche ist ja noch nicht „wach", wenn sie erst voll zu sich selbst
kommt, wird sie uns helfen können unseren (so katholischen wie
protestantischen) Hang zum „Rationalisieren" auf sein Maß zurückzuführen
.

Halle a. S. F. K a 11 e n b u s c h.

Strong, Thomas B., Bishop of Ripon: Religion, Philosophy and

History. Four lectures. Oxford: Clarendon Press 1923. (VII, 78 S.)

8°. 3 sh. 6 d.

Vor einer gemischten Zuhörerschaft in Leeds gehalten, behandeln
diese Vorlesungen zunächst in einfachster populärer Form die Prinzipien
der Erkenntnistheorie und leiten über zu der Hauptfrage nach
dem Recht und der Wahrheit unsrer Weltanschauung. Ein Gang durch
die griechische Philosophie führt über die hebräische Religion hinüber
zum Christentum, das ein völlig neues Licht geworfen habe auf das,
was Religion heißt. Die neue Frömmigkeit ist nicht Gesetzeserfüllung
, sondern die Auswirkung des neuen Geistes im Menschen.
Einige Gegensätze zwischen Philosophie und Religion hinsichtlich der
Weltschöpfung, der Wunder und des Vorhandenseins des Bösen werden
beleuchtet und zu dem Satze hingeführt, daß Geschichtsereignissc, beweiskräftiger
sind als Ideen. Die gesamten Ausführungen münden in
das Urteil: „Der christliche Glaube bringt Verstand und Ordnung in
unsre Wcltansicht; er ist zugleich die ideale Form, in der das tiefste
Sehnen der Menschen, das nach Gott, Befriedigung findet."

Dortmund. H.Goctz.

Troeltsch, F.mst: Der Historismus und seine Überwindung.

5 Vortr. Eingel. von Friedrich von Hügel. Berlin: Pan Verlag 1924
(XIII, 108 S.) gr. 80. Gm. 2.30; geb. 3.50.

Fünf nachgelassene für England bestimmte Vorträge
von Ernst Troeltsch sind in diesem Büchlein vereinigt
. Sie bieten dem, der mit des Verfassers Gedanken
vertraut ist, nichts wesentlich Neues. Aber infolge ihres
ursprünglichen Zweckes, in England vorgetragen zu
werden, zeichnen sie sich durch hervorragende Klarheit
und Durchsichtigkeit aus. Zudem zeigen sie, wie
Troeltsch bis zum letzten Augenblick mit dem Zentralproblem
seines Lebens gerungen hat, der Überwindung
des Relativismus. Auch diese Vorträge bringen die
Überwindung nicht. Die immanente Betrachtung, die für
Troeltsch selbstverständliche Voraussetzung ist, wird an
keinem Punkt durchbrochen, und darum wird kein Standort
erreicht, von dem aus der Historismus wirklich unten
liegt. Aber an vielen Stellen dringt Troeltsch bis dahin
vor, wo ein Durchbruch durch die Immanenz vollzogen
werden könnte und müßte. Dieses zugleich ganz menschliche
und ganz dialektische Ringen um das, was der
Titel ankündigt, die Überwindung des Historismus, macht
den tiefen Reiz der Vorträge aus.

Unter dem zusammenfassenden Titel: „Ethik und Geschichtsphilosophie
" erscheinen drei Aufsätze: „Über die
Persönlichkeits- und Gewissensmoral", „Über die Ethik
der Kulturwerte" und „Über den Gemeingeist". Der
Versuch, von der Gewissensmoral aus den Strom der
Geschichte einzudämmen, scheitert an dem rein formalen
Charakter derselben. Die Ethik der Kulturwerte führt
zu inhaltlichen aber lediglich individuellen Schöpfungen.
Beide Betrachtungen müssen sich ergänzen. Aber auch in
ihrer Vereinigung ergeben sie keinen Ort jenseits der
Geschichte, sondern lediglich einen vom personalen
Ethos getragenen kulturellen Schöpferwillen. Dabei ist
das Individuelle nicht liheral gemeint. Die kulturelle
Schöpfung ist immer irgendwie Ausdruck eines Gemeingeistes
, nicht zufälliger Einzelner. Die Gegenwart,
die neue Jugend in Sonderheit sieht das. Sie drängt über
die Zerspaltenheit in zahllose Kreise und Individuen
hinaus zu einer neuen religiös-metaphysisch verwurzelten
Gemeinschaft. Aber auch so „ist die Geschichte innerhalb
ihrer selbst nicht zu transzendieren und kennt keine
Erlösung anders als in Gestalt gläubiger Vorwegnahme
des Jenseits oder verklärender Steigerungen partieller