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Ausgabe:

1924 Nr. 11

Spalte:

231-234

Autor/Hrsg.:

Ehrenberg, Hans

Titel/Untertitel:

Östliches Christentum. Dokumente. 1.: Politik 1924

Rezensent:

Kattenbusch, Ferdinand

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Theologische Literaturzeitung 1924 Nr. 11.

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Unsern Theologen im Inlande hat es viel zu sagen als
Ersatz für eigenes Reisen, was jetzt nur so wenigen vergönnt
ist. Man lernt sein Vaterland lieben und begreift
doch die Kunst, andere zu verstehen und zu achten. Ist
dies kein theologischer, so ist es doch ein großer ethischer
Gewinn.

Greifswald. Ed. v. d. Goltz.

Conradi, L. R.: Das goldene Zeitalter. Hamburg: Advent-
Verlag 1Q23. (648 S.) 8°. geb. Gm. 11-.
Das aus der Gemeinschaft der Siebententags-Adven-
tisten stammende Buch gibt eine Art Geschichte der
menschlichen Zukunftserwartung vom A. T. an bis auf
unsere Zeit. Dabei treten die Versuche, die Endzeit zu
berechnen, kräftig hervor. C. hat eine Masse Material
zusammengetragen und in 7 Teile mit vielen Einzelabschnitten
geordnet. Darunter findet sich neben sehr
vielem Bekannten auch manches Minderbekannte, z. B.
Mitteilungen über die einschlägigen Berechnungen des
reformierten Pfarrers J. P. Petri in Seckbach. Leider
fehlt aber dem eifrigen und fleißigen Sammler völlig das
wissenschaftliche Rüstzeug für solche Studien. Das wird
überwältigend deutlich in den das A. T. und das N. T.
behandelnden Abschnitten; aber auch die Darlegungen
aus der Kirchengeschichte zeugen auf jeder Seite von
heillosem Dilettantismus; auch die Angaben des reichen
Quellenverzeichnisses sind dementsprechend ungenau.
Somit findet, wer sich in die Geschichte der christlichen
Enderwartungen vertiefen will, manche Angabe, die ihm
von Nutzen sein kann (übrigens auch Abbildungen,
Faksimiles usw. von Interesse). Im Uebrigen aber ist
das umfangreiche Werk eigentlich nur von Wert als
Zeugnis für die in den Kreisen des Verf.s üblichen
Deutungsmethoden und die in ihnen herrschenden Gedanken
.

Gießen. M. S ch i a n.

Köhler, Ludwig: Was sagen wir zu den Ernsten Bibelforschern
? Ein Vortr. 1. — 10. Tausend. Zürich: Art. Institut
Orell Füßli 1924. (24 S.) 8°. fr. —.60.

Wir verdanken F. Loofs eine sehr gründliche, geradezu gelehrte
Schrift über die „Internationale Vereinigung ernster Bibelforscher
", JVEB, 1918, 2. Aufl. sehr erweitert, 1921. Man kann
sie jedem Pfarrer nur dringlich empfehlen. Die ernsten Bibelforscher
beunruhigen ja heutiges Tags wahrlich die evangelischen Gemeinden
genug. Aber Laien, gar schlichten Leuten, Handwerkern, Arbeitern
etc., die vielfach besonders der Versuchung ausgesetzt sind,
der eschatologischen Stimmung an der Hand der ihnen in der
JVEB entgegengetragenen Bibeldeutung zu erliegen, auf Grund ihrer
dann religiöser Phantasterei zu verfallen, wird man mit Loofs'
Schrift kaum einen Dienst tun. Es freut mich, mit dem Vortrage
des Professors der alttestamentlichen Exegese in Zürich D. Ludwig
Köhler ein Schriftchen empfehlen zu können, das gerade den einfachen
Leuten, wenn sie nur wirklich fromm sind und nicht blos
Sensationen nachjagen, beste Hilfe zur Ernüchterung gewahrt. Die
Pfarrer mögen das Schriftchen nur recht weit bekannt machen.
Halle a. S. F. K a 11 e nb usc h.

Ehrenberg, Hans: Östliches Christentum. Dokumente. In
Verb. m. Nicolai v. Bubnoff hrsg. 1.: Politik. München: C. H.
Beck 1923. (VII, 375 S.) 8°. Gm. 4.50; geb. 7 .

Der bekannte Heidelberger Dozent der Philosophie,
der ganz besonders auf die religiösen Ideen und Stimmungen
der Gegenwart acht hat, speziell auch dem religiösen
Leben des „Ostens", wie schon einige kleinere
Studien bewiesen haben, Aufmerksamkeit und Verständnis
entgegenbringt, will in zwei Bänden „Dokumente"
von russischen modernen Schriftstellern (Literaten,
Politikern, Philosophen) herausgeben, die im Stande
sind, bei gebildeten, für die geistigen Nöte der Zeit erschlossenen
Leuten in Deutschland Interesse für den
„Osten" zu wecken. Ehrenberg hofft dadurch zu zeigen
, wie wichtig für uns selbst, für die Abklärung
unserer eigenen Lebensempfindungen und Zukunftshoffnungen
, die Kenntnis der gegenwärtigen (nicht

so sehr der allerneuesten, „bolschewistischen", als der
seit etwa Peter d. Gr., also seit rund 200 Jahren historisch
gewordenen) Lage drüben werden könne, ja
sollte. Er verspricht sich sehr viel, letztlich entscheidendes
von einem lebendigen Eingehen „Westeuropas
" (das geschichtlich eine Kultureinheit ist) auf das,
was „Osteuropa" zu eigen hat und als sein „Heiligtum"
hütet, das „orthodoxe Christentum". Drüben ist das
Christentum, die Kirche, ganz anders noch eine geistige
Macht als bei uns, im „Westen", in der Papstkirche
oder im Protestantismus. Nicht als ob „wir" nach E.'s
Ansicht in jedem Sinne religiös rückständig seien gegenüber
dem Osten. Rückständig ist dieser in vielen Beziehungen
eher mehr als weniger wie wir dem gegenüber
, was in der Tiefe für das Menschheitsleben in Betracht
kommt und „Ziel" desselben heißen mag. Aber
er hat, indem er reichlich von uns zu lernen hat, längst
auch von uns zu lernen „bestrebt" ist, zugleich uns sehr
bedeutsames zu lehren. E. sieht offenbar einer Zukunft
entgegen, die in einer Synthese von Ost und West erst
voll zum Leben bringt, was das Christentum in seiner
eigentlichen „ursprünglichen" Wesenheit zu bedeuten hat.
Der erste Band, der im Augenblick noch erst allein
| erschienen ist, führt den Nebentitel „Politik", der zweite
I soll „Philosophie" benannt werden. Viel spezifisch Politisches
enthält I doch eigentlich nicht; im wesentlichen
auch schon „Ideelles", also in E.'s Sinn wohl Schriftstücke
, die klarlegen sollen, was in Rußland für das
Volksleben, die innere Beseelung und Gestaltung der
I Massen, erstrebt wird, sei es in Betonung dessen, was
man „habe" und schützen, vielleicht auch erst auszukaufen
lernen solle, sei es in Aufweisung der eigentlicherr
Mängel und etwaigen Hilfen, die man heranziehen könne.
Es sind folgende „Dokumente", die er bringt:

1. Tschaadajews Philosophische Briefe (1829—31).

2. Von Aksakow das „Memorandum an Alexander
II." (das am meisten direkt „politische" Stück der
Sammlung; 1855); von ihm ferner einige Aufsätze aus
der Zeitschrift „Molwa" ( Das „Gerücht". Sie bieten
eine Erörterung der wahren Idee des „Volks" im stetigen
Blick auf das russische; darin u. a. eine dezidierte
Ablehnung der Todesstrafe!); 3. Chomjakow
„Einige Worte eines orthodoxen Christen über die abendländischen
Glaubensbekenntnisse" 1853 und zwei Briefe
(natürlich „öffentliche") an Aksakow, betreffend „Leiden
und Gebet", „Gebet und Wunder". 4. Sektierer-
fragmente (aus einer Handschrift, die 1855 bei
einem Raskolniken gelegentlich einer Haussuchung beschlagnahmt
wurde: Dieses Stück ist gänzlich neu und in
der Sammlung hier, wie ich glaube, zuerst in Deutschland
bekannt gemacht: es zeigt den unheimlichen, maßlosen
Haß der sektiererischen Kreise, zitiert lauter Bibelsprüche
, etwa wie gegenwärtig unter uns bei den sog.
„Bibelchristen" [JVEB] der Fall. 5. Leon t je w
„Tempel und Kirche" und „Die N a t i o n a 1 politik als
Werkzeug der Welt r e v o I u t i o n". (Das letztere Stück
ist sehr interessant, klug, zum Teil divinatorisch, aber
fast zu aktuell auf 1888 eingestellt.) 6. Solowjow
„Jüdische und christliche Theokratie", 1884.

Wir haben schon eine Sammlung ähnlicher Art, die von Viktor
Frank (m. W. ein Pseudonym) „Russische Selbstzcugnisse" I, 1889
(Schöningh, damals Münster i.W. u. Osnabrück), auch da treffen
wir Tschaadajew und Solowjow, darüber hinaus aber (in
einem Auszug) die gelehrte historische Abhandlung von W. Ikonni-
kow „Der Einfluß Byzanz's auf Rußlands Kulturentwicklung"
(S. 190—286). Es sind durchweg andere Stücke, die Ehrenberg
bringt, speziell auch bei Tschaadajew (wo Frank nur Teile von
zweien seiner Briefe gibt, aber auch seine „Apologie eines Verrückten
") und bei Solowjow (Die Abhandlung, die E. bietet, ist auch
bereits separat im Deutschen erschienen, übersetzt von E. Keuchel,
Dresden, 1911). Was Frank vorab hat, sind eingehende, gut orientierende
Beilagen, Bemerkungen u. dgl. E. gewährt sehr lesbare
Obersetzungen. Sicher erwecken die „Dokumente" hei jedem Gebildeten
lebhaftes Interesse; ich kann nur wünschen, daß sie bei uns
gelesen werden. Immerhin sind die russischen Sachen reichlich
weitschichtig, zuweilen dadurch ermüdend. So gerade auch bei
Tschaadajew, den ich im Grunde den feinsinnigsten — im ästhe-