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Ausgabe:

1924 Nr. 9

Spalte:

185

Autor/Hrsg.:

Lask, Emil

Titel/Untertitel:

Gesammelte Schriften. Hrsg. v. Eugen Herrigel. 2 Bde 1924

Rezensent:

Titius, Arthur

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185

Theologische Literaturzeitung 1924 Nr. 9.

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Partien über die Gemeinde irgend einen andern letzten Maßstab hatten
als die Beurteilung Jesu in seinem Verhalten gegenüber seinem Schicksal
. Die systematische und religiöse Grundanschauung bei Hegel erscheint
mir fest in sich geschlossen. Eine (überall gleiche) Zweideutigkeit
der Anerkennung Jesu und der Gemeinde ist damit nicht ge-
leugnet von mir. Sie besteht aber darin, daß Hegel die Religion, so-
weit sie vom weltlichen Leben abgesonderte Gestalt ist, nicht als reinen
Ausdruck von Seelenschönheit anerkennen kann.

Die Ausführlichkeit meines Berichtes soll zeigen,
daß ich bei aller Abweichung des Urteils der in mannlich
gedrungenem und sachlichem Stil geschriebenen,
klaren und an Oedanken reichen Schrift ernstliche Beachtung
wünsche. Der Bann von Dilthey's Darstellung
ist durch sie gebrochen.

Göttingen. E Hirsch.

Lask, Emil: Gesammelte Schriften. Hrsg. v. Eugen Herrigel.
2 Bdc Mit einem Geleitwort v. Heinrich Richert. Tübingen:
J C B. Alohr 1923. (XXIV, 356 und IV, 463 S.) gr. 8".

Sch. Fr. 6— u. 15—.

Emil Lask, den in seinem 40. Lebensjahre auf
Oaliziens Schlachtfeldern die tötliche Kugel traf (Mai ,

1915), hat Freundestreue das verdiente Denkmal gesetzt. | nalen Weltanschauung. Die Öffentlichkeit, das Vorhan

so darf ich die frühere Besprechung hier wohl als bekannt
voraussetzen. Auch jetzt wieder kommt es Schm.
auf die Beziehungen der politisch-juristischen Form zu
Weltanschauung und Religion an.

Die erste der beiden neuen Schriften setzt damit
ein, Demokratie und Parlamentarismus scharf zu scheiden
. Die Demokratie hat ihr Wesen darin, die
volonte generale, den Volkswillen, zum Prinzip der
Legitimität zu machen; wer sich mit dem Volkswillen
identifizieren darf, dessen Gewalt ist sanktioniert. Die
Ermittlung dieses Volkswillens durch Abstimmung oder
Wahl ist nicht in jedem Augenblick unveräußerliches
Stück der Demokratie; auch die Identifikation des Diktators
mit dem künftigen Willen des zu erziehenden
Volks ist noch demokratisch gedacht. Der Paria-
mantarismus hat sein Wesen in der Anschauung,
daß durch öffentliche Diskussion, durch Argument und
Gegenargument, die bestmögliche Annäherung an das
Richtige sich finden lasse, er ist die Parallele zur liberalen
Wirtschaftstheorie auf dem Gebiet des Kampfes
der Meinungen und wurzelt wie diese in einer ratio-

Heinrich Rickert, dem er schon im 1. Studiensemester I densein von Gegensätzen und die Beschränkung auf

nähergetreten war, gibt eine wundervolle Skizze seiner
Denkweise und seines Charakters; Eugen Herrigel, der
ihm von Schülern weitaus am nächsten gestanden hatte,
ist es zu verdanken, daß trotz der „gänzlich ungeordneten
und unfertigen Aufzeichnungen" (so Rickert), die erst in
langjähriger mühseliger Entzifferungsarbeit unter Leitung
von Frl. Helene Lask umgeschrieben werden mußten
, eine Edition des Nachlasses ermöglicht wurde. Die
vorliegenden zwei Bände enthalten den Abdruck der
von L. selbst veröffentlichten Schriften: 1) Fichtes Idealismus
und die Geschichte (Dissertation von 1902).
2) Rechtsphilosophie (Habilitationsschrift 1905); 3) Hegel
in seinem Verhältnis zur Weltanschauung der Aufklärung
(1905); 4) Gibt es einen „Primat der praktischen
Vernunft" in der Logik? (Verhandlungen d. III. Internat.
Kongresses f. Phil. 1908). Der 2. Band enthält die
Schriften, die L.s Ruf als eines selbständigen philosophischen
Denkers begründeten: 5) Die Logik der Philosophie
und die Kategorienlehre (1910) mit ihrer Begründung
einer Zweiweltentheorie. 6) Die Lehre vom
Urteil (1912) mit ihrem Streben nach einem Standpunkt
der Übergegensätzlichkeit als Wertmaßstab der Erkenntnis
. Zu beiden Schriften konnten (am Schluß) Anmerkungen
hinzugefügt werden, die vornehmlich die Diskussion
mit Rickert fortsetzen.

Der Nachlaß soll bringen: 7) Die Platon-Vorlesung
vom W. S. 1911/12 mit Anhang „zur platonischen Ideenlehre
". 8) Zum System der Logik. Eine große Überraschung
bringen die letzten Stücke (seit 1913): 9) Zum

die Legislative (weil allein das Gesetz, und nicht die
Verachtung zur Idee der Wahrheit eine Beziehung hat)
sind mit der parlamentarischen Idee verbunden. Weswegen
die parlamentarische Regierung die Selbstauflösung
des Parlamentarismus einleitet. Öffentlichkeit und
Diskussion werden dabei zur schlechten Fassade. Nach
diesei Analyse werden die (sozialistische) Diktatur und
die (anarchistische) direkte Aktion im Vergleich mit dem
Parlamentarismus auf ihre weltanschauliche Grundlage
untersucht. Die Diktatur steht mit dem Parlamentarismus
zusammen auf rationaler Grundlage, nur daß nicht ein relativer
, diskutierender, sondern ein absoluter, seiner Sache
gewisser Rationalismus in ihm sich ausspricht; das wird
am Verhältnis Marx' zu Hegel anschaulich gemacht. Die
direkte Aktion hat schlechthin irrationale Grundlagen;
sie setzt irgendeinen Mythus voraus; belegt wird das
an einem syndikalistischen Bergsonianer Georges Sorel
(Kcjlcxions sur ta violence, 4. ed., Paris 1919). Am
Schluß (S. 65) kommt die Tendenz des Ganzen leise hervor
: die politische Bewegung des 19. Jahrh.s, gerade in
diesem ihren Ausgang, arbeitet ohne Willen „an der
Grundlage einer neuen Autorität, eines neuen Gefühls
für Ordnung, Disziplin und Hierarchie".

Wer nach dem letzten Wort erwartet, in der zweiten
Schrift näher ausgeführt zu sehen, wie Schm. sich
diese neue Autorität denkt, wird enttäuscht. Schm. folgt
als Autor überhaupt einer indirekten Methode: das
letzte Ergebnis muß der Leser selber ziehen. Hat er in
der ersten Schrift unterwühlt, damit beim Leser etwas

System der Philosophie. 10) Zum System der Wissen- - einstürze, so plaudert er in der zweiten in geistreicher

schaffen, sofern sich hier eine radikale Änderung des

Lässigkeit, damit der Leser frei den Affekt der Bewunde-

früher eingenommenen Standpunktes und damit der Ver- rung und Liebe erzeuge. Dementsprechend ist das Heftstich
einer philosophischen Neuorientierung vollzieht, i chen ausgestattet wie eine um 1800 erschienene roman-
Sie darf bei den Lesern dieser Zeitschrift auf besonderes ! tische Nichtigkeit; eine Sache für Liebhaber. Gerade dies,
Interesse rechnen, weil dabei das Problem der kontern- daß die katholische Kirche politischer Wille und ju-
plativen und der Lebenssphäre (das stets L. gefesselt I ristische Form ist, wird in ihm als groß dargestellt; sie

hatte) in den Vordergrund tritt. Über den theoretischen
Ausgangspunkt der Umkippung hat sich Herrigel im
„Logos" XII, 2 geäußert. Erst wenn der Nachlaß vorliegt
, läßt sich auf das Problem sowie auf die Gesamtentwicklung
von Ls. Grundauffassung näher eingehen.

B«rlin. Titius.

SCDm,itt' Carl: Die geistesgeschicht1iche Lage des heutigen

Parlamentarismus. München: Dundeer & Humhlot 1923. (65 S.)
• gr. 8°. m> Sonderabdruck aus der Bonner Festgabe für Ernst
et ?,te,1rnann- Gm. 1.80.

„m, ' Carl: Römischer Katholizismus und politische Form.
Hellerau: Jakob Hcgncr 1023. (80 S.) 8". Gm. 2.20; geb. 4.40.

Schm.« „Politische Theologie" ist von mir ThLZ
1923 Sp. 524 f. besprochen. Da sie die Voraussetzung
der beiden hier neu anzuzeigenden Schriften darstellt,

ist für Schm. die tiefste und vollkommene Verwirklichung
des Gedankens der „Repräsentation". Dunkel angedeutet
ist, daß der Papst als Repräsentant „nicht nur
der Idee der Gerechtigkeit sondern auch der Person
Christi" (S. 62) dazu geeignet ist, der Unabhängigkeit
der Idee der Gerechtigkeit vom Belieben und Ermessen
der einzelnen Staaten zum Ausdruck zu helfen. Aber mit
dürren Worten steht es nicht da.

Dieser Bericht zeigt hoffentlich nicht nur, daß Schm.
dringend (gerade auch in der ersten der beiden Schriften)
der Kritik bedarf, sondern vor allem auch, daß die Auseinandersetzung
mit ihm lehrreich ist. Er führt der etwas
abgestandenen staatsphilosophischen Diskussion neues
Leben zu. Er zeigt zugleich, wie sich der katholische
Geist rüstet auf die vielleicht nicht mehr ferne Zukunft,
in der vom demokratischen Gedanken des 19. Jahr-