Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1924 Nr. 9

Spalte:

183-185

Autor/Hrsg.:

Schmidt-Japing, Joh. Wilh.

Titel/Untertitel:

Die Bedeutung der Person Jesu im Denken des jungen Hegel 1924

Rezensent:

Hirsch, Emanuel

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

183

Theologische Literaturzeitung 1924 Nr. 9.

184

Werk natürlich viel zu sagen. Nicht nur im allgemeinen,
sofern er sich in seiner Teilnahme an der Weltanschauungsarbeit
mit der Philosophie berührt, sondern auch im
besonderen, sofern in dem Ringen des Gedankens ein
seelisches, ein religiöses Ringen sich vollzieht und die
Tatsache Jesus Christus im Leben des Gedankens sich
auswirkt. Wenn heute das Verhältnis von Religion und
Philosophie aufs neue zur Frage wird, zu einer Frage,
die nicht schon durch den Erweis der durchgehenden
Verschiedenheit sondern erst durch eine positive Antwort
befriedigt wird, wenn daher auch das Problem des
„deutschen Idealismus" immer brennender wird, so
können wir dafür von K. Wichtiges lernen.

Freilich wird die Dankbarkeit sich nächst dem
ernsten Mitdenken seiner Gedanken auch in der kritischen
Auseinandersetzung erweisen. Gerade indem K.
sich so ernsthaft bemüht, die Bedeutung Jesu und der
Religion für das Ringen um den Ewigkeitsgehalt des
Geistes zu erfassen, tritt die Schwierigkeit seines Idealismus
, der zwar über die Grenzen der Schule hinausstrebt
, aber doch wesentlich neukantisch bestimmt bleibt,
für die lebendige Religion desto deutlicher zu Tage. Sie
liegt vor allem in der Fassung des Begriffs der Wirklichkeit
. Trotz alles Strebens nach religiöser Vertiefung
scheint K. ihn doch so zu verstehen, daß die an ihrem
Orte durchaus berechtigten Züge der kritischen Methodik
und des durch sie bestimmten idealistischen Weltbilds
ungeprüft auch die Weltanschauung beherrschen,
die Geschichte des wissenschaftlichen Gedankens bleibt
zuletzt doch Herrin über die Geschichte der Seele. Damit
wird der Transzendenzanspruch der lebendigen Religion
ebenso verletzt wie anderseits die Möglichkeit,
den Realitätseindruck, den wir im praktischen Leben,
im sittlichen Kampfe und in der wirklichen Forschung
gewinnen, d. h. aber auch das Einmalige und Individuelle
in der Geschichte, positiv zu würdigen. Allein unser
Dank soll dadurch nicht beeinträchtigt werden; K.s Werk
ist trotz allem ein beredtes Zeugnis wachsender Vertiefung
in der heutigen Philosophie. Und vielleicht wird
die Darstellung Kants selbst, die der 2. B. bringen soll,
jene Bedenken überwinden. So blicken wir nicht nur
wegen des Stoffes selbst, sondern auch wegen der
Klärung, die gerade an diesem Stoffe die drängendsten
Fragen der Weltanschauung finden müssen, dem 2. B.
mit Spannung entgegen.

Halle a. d. S. Horst Stephan.

Schmidt-Japing, Priv.-Doz. Lic. Dr. Joh. Willi.: Die Bedeutung
der Person Jesu im Denken des jungen Hegel. Güttingen:
Vandenhoeck {V. Ruprecht 1924. (II, 86 S.) gr. 8°. Om.3—.

Es gehört ein gewisser Mut dazu, nach Dilthey's
glanzvoller Darstellung noch über Hegels theologische
Jugendschriften zu schreiben. Überflüssig ist es nicht.
Denn Dilthey's Art zu sehen schließt eine gewisse
Gleichgiltigkeit gegen die scharfen Ecken des Einzelnen
und gegen die Kanten des festen Begriffs in sich. Mir
erscheint S.s Arbeit, die ich z. T. schon im Manuskript
kennen lernte, gerade darum wertvoll, weil sie sich der
scharfen Beobachtung des Einzelnen zuwendet, und weil
sie in einer von Dilthey's Urteil abweichenden ungebrochenen
Bejahung der christlichen Religion einen andern
systematischen Grund hat. Ich habe sie deshalb,
trotz mannigfachen Widerspruchs, als lebendige Anregung
dankbar empfunden. Und das ist auch die
Wirkung, die ich ins Allgemeine von ihr erhoffe, daß sie
bestimmte Fragen und Probleme neu stellt.

Damit ist nicht gesagt, daß ich die (übrigens wenigen und
kurzen) kritischen Bemerkungen gegen Dilthey völlig treffend finde.
Gegen S. 14 Anm. 1 wäre zu bemerken,daß Dilthey eine etwas andre
Auffassung von der Ordnung der vor der Frankfurter Zeit liegenden
Fragmente hat, als Nohl; gerade die Stellen, auf die S. sich S. 13
stützt, hält D. mit andern für später als die „Positivität" und bespricht
sie erst Ges. Sehr. IV, 27 ff. (Mir wäre diese Anordnung Dilthey's
für einzelne Stücke auch glaubhafter als die Nohl'sche; entscheiden
könnte nur nochmalige Prüfung der Manuskripte). Aber das ist eine
Nebenfrage. An den entscheidenden Punkten, vor allem in der Deutung

der Frankfurter Fragmente, besteht tatsächlich ein Gegensatz zu
Dilthey's Auffassung, und S. hat sogar darauf verzichtet, ihn herauszukehren
.

S.s Arbeit zerlegt sich praktisch in zwei Teile. Bis
S. 29 bespricht er die Zeit vor dem Gedichte Eleusis;
mit S. 30 geht er nach einer kurzen Besprechung dieses
Gedichts zu den Frankfurter Fragmenten über. Im ersten
Teile besteht seine Arbeit in schönen Ergänzungen
der bisherigen Arbeit. Ihre Tendenz ist, zu zeigen,
wie unter den Kantischen Formulierungen überall
schon die eignen Gedanken ans Licht drängen. Am
wertvollsten und schönsten ist wohl die Heraushebung
des „Dreisektenschemas", S. 23f., in seiner
antirationalistischen Bedeutung. Diese und andre Beobachtungen
sind S. ein Anlaß, die im Gedichte Eleusis
sich ausdrückende Gesinnung nicht, wie Dilthey will,
auf ein Hegel umwendendes mystisches Erlebnis zurückzuführen
, sondern lediglich als Durchbruch eines schon
längst vorhandenen Gefühls in die Oberschicht des
Denkens zu verstehen. Ich glaube, daß S. an diesem
Punkte eine Wahrheit gesehen hat.

Nicht völlig gelöst, ja gar vielleicht hinter Dilthey zurückgeworfen
hat aber dieser erste Teil die Frage nach den historischen Zusammenhängen
, in die Hegels Entwicklung einzuordnen ist. Es hätte z. B.
gezeigt werden können, daß das frühste der von Nohl als „Volksreligion
und Christentum" zusammengefaßten Fragmente von Fichte's
„Versuch einer Kritik aller Offenbarung" im Grundpunkte bis in die
| Formulierung hinein abhängig ist; gerade auch darin, Religion als
i Sache des Herzens zu fassen, ist Hegel von Fichte bedingt. Und
i über der Freude, die Eigentümlichkeit Hegels weiter als bisher bloli-
i gelegt zu haben, droht S. in der Darstellung die Einwirkung der früh-
j idealistischen Philosophie fast zur formalen zusammenzuschrumpfen.

Das Hauptgewicht aber liegt für S. in einer neuen
Analyse der Frankfurter Fragmente (die Nohl „Der Geist
des Christentums und sein Schicksal" genannt hat). Hier

I ist er nun auf ein Problem gestoßen. Er meint zu sehen,
wie in Hegel die Hochschätzung der Tapferkeit der
( iriechen und der Eindruck von der Schönheit der Seele
Jesu miteinander ringt. Bei der Person Jesu falle die
Entscheidung für die Schönheit der Seele; bei der Ana-

I lyse des Reich-Gottes-Gedankens und der Beurteilung
der ersten Gemeinde mache die entgegengesetzte Bewertung
sich geltend. Und nun sucht S. diese Verschiedenheit
der Stellungnahme zu begreifen aus einer
Zwiespältigkeit der letzten systematischen Gesichtspunkte
, die bei Hegel miteinander ringen. Zur Schönheit
der Seele gehört der Begriff des reinen Lebens. Zur
Tapferkeit der Griechen gehört der „naturhafte" Lebensbegriff
und der ganz von diesem naturhaften Lebensbegriff
aus gestaltete Liebesgedanke. Als tiefsten Grund
des Zwiespalts aber sieht S. an, daß die Polemik gegen

I Kant zur Ausscheidung des Willens und damit zur
naturhaften Betrachtung führte, dagegen in der Schönheit
der Seele das religiöse Willensverhältnis wieder erreicht
ist. Diese Betrachtung wird nun an der ganzen Masse
von Hegels Aussagen mit großer Aufmerksamkeit für
Nuancen durchgeführt, und natürlich ein dialektisches
Schwanken Hegels in der letzten Stellung zur Person
Jesu festgestellt. Diese Durchführung im einzelnen entzieht
sich einem kurzen Referat.

Ich bin gegenüber diesem ganzen Aufriß nicht in der Lage, einfach
Ja oder Nein sagen zu können. In der Aufdeckung des Problems,
mit dem Hegel durch Aufnahme der Idee der schönen Seele fertig zu
werden sucht, sehe ich eine wertvolle Beobachtung. Die Folgerungen,
die S. daraus zieht, scheinen mir nicht zutreffend. Ich habe die ganze
Materie unter ständigem Achthaben auf S.'s Thesen noch einmal
durchgearbeitet, mich aber von einem Gegensatz zwischen Liebe und
Schönheit der Seele, zwischen naturhaftem und reinem Lebensbegriff
nicht überzeugen können. Letztlich hat hier der Systematiker in S.
dem Historiker zu sehr auf die Finger gesehen. S. urteilt systematisch
daß Hegels Liebesbegriff den Willen ausscheide und darum naturhafv
sei; er hcobachtet historisch, daß Hegel nicht im Naturhaften gefangen
bleibt, sondern die Idee des reinen Lebens konzipiert. So muß
er Hegel zerspalten. Und bei dieser Zerspaltung kommt ihm das
Problem „Jesus und die Griechen" zu statten. Die sachlichen Probleme,
mit denen Hegel ringt, werden dadurch gefördert; aber die innere
Struktur Hegel's kommt so nicht zur Erkenntnis. Ich kann nicht einmal
finden, daß die Ausführungen über das Reich Gottes und die Schluß-