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Ausgabe:

1923 Nr. 8

Spalte:

173-174

Autor/Hrsg.:

Sellin, Ernst

Titel/Untertitel:

Wie wurde Sichem eine israelitische Stadt? 1923

Rezensent:

Horst, Friedrich

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173

Theologische Literaturzeitung 1923 Nr. 8.

174

Stellung der von Mader gegebenen (mir sonderbaren) Namen gebel
rumecle und botine es-subädä höchst willkommen gewesen. Den Gemüsemarkt
von Jerusalem behandelt D. Duhm, Weidenkaff tritt
für die Identität der Quelle 'en galüd mit der Härödquelle Jud 7, 1 und
der Quelle bei Jesreel 1. Sarn. 29, 1 ein. Bei der geogr.-archäol.
Skizze Thekoas von Sütterlin kann man stellenweise gegen die
Wiedergabe der Ortsnamen mißtrauisch sein (bisweilen auch vom
Herausgeber schon angemerkt). Lundgreen behandelt das palästinische
Heerwesen in der neutestamentlichen Zeit. Für das jüd. Heerwesen
sieht er zuviel (übrigens läßt er gleich mit Mt. 2, 16f. Soldaten
aufmarschieren!). Auf ein amerikanisches Sensationsmärchen, Manna
sei 1921 in solchen Mengen gefunden, daß es Volksernährungsmittel
in Palästina sei, antwortet Dalman in einem kurzen Artikel „Das
Manna auf dem Markt von Jerusalem".

Bonn F- Horst.

Sellin, Prof. Dr. Ernst: Wie wurde Sichern eine israelitische
Stadt? Leipzig, A. Deichert, 1922. (84 S.) 8°. Gz. 2.

Die Frage, auf welche Weise und wann Sichern
israelitisch wurde, beantwortet S. kurz so: In einer Zeit,,
wo in den großen Städten die Kanaanäer noch die Herrn
sind, in den kleinen wie Ophra diese mit den seßhaft
gewordenen israel. Viehzüchtern und Kleinbauern unter
mancherlei Streitigkeiten nebeneinander wohnen (was aus
Jud. 6, 25—32 erhoben wird, S. 35 ff.), gelingt es
Gideon, dem Bruder des von den Midianitern getöteten
Sippenoberhauptes Jerubbaal (S. 45 und die vorherg.),
sich durch eine kriegerische Heldentat zum Stammeshäuptling
aufzuwerfen. Aber nach seinem Tode sichert
sich Abimelech, der Erstgeborene Jerubbaals, durch Aus-
mordung seiner Vettern, Nachfolge und Machtstellung
Gideons. Er geht dann nach Sichern, mit dem ihn Blutsbeziehungen
mütterlicherseits verbinden, bringt dort
gegen das regierende chivvitische Adelsgeschlecht (die
Chamorsöhne) eine Revolution zustande, schlachtet dieses
Geschlecht hin und läßt sich zum ersten König über
Sichern machen. Nach drei Jahren bricht gegen ihn eine
Gegenrevolution aus, die ihm den Anlaß gibt, die Macht
der Stadt vollständig zu brechen und ihren Tempel zu
zerstören. Doch erfüllte sich wenige Tage nach diesem
Erfolg auch sein Schicksal, er fiel bei der Belagerung
von Tebes. Sichern, das in jener Zeit (also ca. 1150) israelitisch
wurde, ist von da ab dann auch israelitisch geblieben
, ja für Israel von größter Bedeutung geworden
(S. 47, 9 usw.). Dies ergäbe sich nach S. aus der Auswertung
der „Abimelechgeschichte" und der „A.-Sage"
in Jud. 9, sowie aus den doppelten Erzählungsreihen in
c. 6—8; dies Resultat finde sich aber auch bestätigt durch
den Nachklang, den das ungeheure Geschehnis in der
Volksüberlieferung ausgelöst hat: so, in die Väterzeit
projizierten Gen. 48, 21a. 22; 49, 5f; c34 (in dopp. Rez.)
usw., vor allem aber in der unerbittlichen Kritik, die
Hosea an der alten Geschichte seines Volkes übte, 4, 15;
5, lf.; 6, 9; 9, 15. 17; 12,12. Die Sage habe zwar vieles
verdunkelt, weil sie über den Meuchelmord und Bundesbruch
allmählich den Schleier gebreitet habe.

Alles dies ist nun nicht bloß Endergebnis einer
kritischen Textuntersuchung, sondern wird auch als notwendige
Voraussetzung, als „Schlüssel", für ein Verständnis
der Ueberlieferungen bewußt beansprucht (Vorwort
). Die Texte haben dann im Grunde lediglich den
Wert, Bestätigungen für die Hypothese zu liefern. Ob
dieser Weg, den man ja „erst beschreiten darf, wenn
alle anderen Mittel, zum Ziele zu kommen, versagen",
hier schon notwendig war, darüber könnte man immerhin
streiten. Wird aber ein solch gefährlicher Weg nun
schon gegangen, so verlangt man unbedingt den Nachweis
, daß man nicht über subjektive Vermutungen einer
Fata Morgana entgegengeführt wird. Ist es S. gelungen,
diese Sicherheit zu geben? Ich denke nein.

Die Quellenscheidung von Jud. 9 möge das zeigen, sie ist ja
auch der Kernpunkt des Ganzen. Hier hätte S's Untersuchung unbe-
fange n von jener Voraussetzung'weit besser einsetzen können. — Mit
Recht knüpft er an die bisherigen Scheidungsversuche, bes. an Budde,
an und gibt zu v.34b u. 35b sowie in der Bewertung von v. 41b durchaus
anzunehmende Verbesserungen. Weshalb freilich fehlen in der Aufzählung
S. 12 die auf S. 77 in A übersetzten v.35a. 36—39? Weshalb
wird für A und B beidemale v. 34a in Anspruch genommen, wo für

B der reduzierte v. 35b zur Verfügung stand? 43a vor 42a ist nicht
unbedingt nötig. Warum fehlt v. 41a aber, der für B zwischen v. 35b
und 42a gut paßt? Mit dem, was für A von v.22—55 (einschl.)
in Anspruch genommen wird, kann man bis auf 2 entscheidende Punkte
einverstanden sein. 1. A beginnt mit v.22 und schließt mit v.55:
Abim. herrscht über Israel und nach seinem Tode zerfällt seine
israelitische Gefolgschaft. In v.22 „Sichern" zu konjizieren, ist
durch nichts gerechtfertigt. Diese Stadt steht nach A in irgendeiner
Weise unter Abim's Botmäßigkeit, ein gew. Zabül, Militärgouverneur
von dort, scheint ihm ergeben zu sein. 2. Wichtig ist v.28. Man darf
das ümi sakem nicht auslassen. „Wer ist Abim. und wer ist
Sichern" heißt: „Was hat A. Sichein gegenüber überhaupt für eine
Stellung, daß wir ihm dienen sollen?" Die Fortsetzung der Frage ist
solange unverständlich, als das „ben Jarubba'al ü" im Text steht.
A hat von v. 22 ab weder den Namen Jarubba'al, noch überhaupt
Ba'al, vielmehr in v. 16 bezeichnenderweise el barit (im.
Ggs. zu v. 4). Ferner: Zabül heißt v. 30 nicht päqis, sondern dar der
Stadt; in dem pqd von v.28 muß also ein beleidigender Vorwurf
gegen Z. liegen (vgl. Wellh., Komp. S.353L), dessen Zorn v. 30b erregt
ist. Der militärische Oberbefehl wird ja auch später dem Ga'al
übertragen, während Z. sein militärisches Ansehen erst nach dem Siege
Abim's wiedergewinnt (!). Wenn die Lesart der G: <fovXos avrov Wert
hat, so .weist das zudem noch auf ein ' a b d ö hin. Das Folgende
ist dann bis sakem zu streichen, und ü vor maddu8' als Ditto-
graphie zu erklären. In dieser Fassung dürfte der Vers einen guten
und einwandfreien Sinn ergeben. Ist aber ben Jarubba'al hier ein
Einschub, so ergibt das die Unmöglichkeit von v. 1—21 innerhalb des
Berichtes von A. Dieser Bericht erzählt dann nur von Abim's 3jähriger
Führerschaft über „Israel", von seinem Konflikt mit Sichern und seinem
Ende bei der Belagerung von Tebes. Die lebendige Frische gibt dem
Bericht gewiß einen hohen Grad geschichtlicher Treue (S.15). — Zu
B gehört zweifellos der Anfang v. 1—21. Im Kernpunkt dieses Erzählungsteiles
stehen Fabel und Fluch des Jotam. Entsprechend schließt
auch v. 57b. Dieser Bericht ist unzweifelhaft „tendenziös": der
Herrschaft der Vielen (701), aber Edlen wird die Tyrannis des einen,
aber minderwertigen Mannes entgegenstellt. Wehe der Stadt, die die
Aristokratie mit der Monarchie vertauscht! Das Feuer geht nur vom
Dornbusch aus v. 15, nur die Stadt wird durch ihren selbstgewählten
König zerstört v. 45 (v. 50ff. gehören doch nicht auch zu B, was
auch sprachlich schwierig ist, hier schließen vielmehr v.45 u. 57b
höchst wirkungsvoll ab). Daher kann v.20b nur als harmonisierende
Erweiterung des Red. gelten, der das Geschick des Abim. nach A mit
der Erzählung von Sichern bei B zusammenschweißte. Damit dürfte
auch nur v.57b in B ursprüngl. sein und v. 56. 57a wiederum R angehören
. Aehnlich auch v. 5 u. 24; Jotam spielt auf die Ermordung der
70 Söhne garnicht an. In v. 24 weist ja auch das unerklärte | S s fi m
noch auf uaiiäsimü am Anfang von v. 25 hin und charakterisiert den
Rest als Einschub. Die v. 16b—19a sind dann nicht nur eine Erweiterung
von 10a. 19b, um die Abim.-Geschichte deutlicher mit den vorigen
Jerubb.-Geschichten zu verknüpfen, sondern auch v.5 u. 24 haben hier
ihren Anteil. Entgegen S. ist auch v. 21 ganz in B einzusetzen; denn
Bser war stets eine israel. Stadt, paßt also nicht zu A, wo Abim. über
Isr. herrscht, sondern nur zu B., wo er König von Sichern ist. Jn
v. 25 legen die Sichemiten wohl dem unter ihnen weilenden Könige
selbst einen Hinterhalt, u. v. 25b gehört vielleicht auch R. an.

Wem sich dies, was hier grob skizziert wurde, textkritisch
aus Jud. 9 ergibt, der kann die gesamten Ausführungen
S's nur als höchst bedenkliche Willkürlichkeiten
ansehen. Daran ändern auch S's Erörterungen
über Jud. 6—8 nicht das mindeste, worauf hier im einzelnen
nicht mehr eingegangen werden kann. Eine
Frage: Warum erzählt B. in Jud. 9 die Ausrottung der
J e r u b b a a 1 söhne und nicht die der G i d e o n söhne
wie das nach S. zu erwarten wäre? Für die Gen.-Tradi-
tionen über Sichern halte ich einfach die Ausführungen
von Eißfeldt, Hexat.-Syn. S. 23 ff. entgegen. Danach
kann S's Hypothese aus diesen Angaben keinerlei Bestätigung
finden. Wenn man überhaupt nur 1 Jahvisten
und 2 elohistische Schichten gelten läßt, wird man hier
auch begreiflicher Weise nie aus den Schwierigkeiten
herauskommen. Hosea ist textlich und inhaltlich viel
zu unsicher zur Stützung einer solchen Hypothese und
hätte bestenfalls nicht einmal historischen Wert, sondern
würde dann nur beweisen können, daß dieser Profet bereits
die Zusammenarbeit kenne. An Einzelheiten wäre
zum Ganzen noch gar vieles einzuwenden, es bleibe der
Kürze halber weg. Nach allem aber glaube ich nicht,
daß die Frage nach der Israelitisierung Sichems als von
Sellin richtig und einwandfrei gelöst zu betrachten ist.
Bonn- F. Horst.