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Ausgabe:

1923 Nr. 6

Spalte:

141

Autor/Hrsg.:

Richert, Hans

Titel/Untertitel:

Weltanschauung. Ein Führer für Suchende 1923

Rezensent:

Niebergall, Friedrich

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Theologifche Literaturzeitung 1923 Nr. 6.

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tifchen Bibelforfchune. Bei manchem fympathifchen Zug ift das Buch
fo doch im ganzen ein Beifpiel dafür, daß die Verachtung von Vernunft
und Wiffenfchaft nicht etwa fittiich beflernd wirkt.
Kiel. II. Mulert.

Richert, Hans: Weltanfchauung. Ein Führer für Suchende. (132 S.)
8°. Leipzig, B. G. Teubner 1922. Gz. 1,2; geb. 2.—

R., dem wir fchon manches wertvolle Buch aus dem Gebiet der
Philofophie und Pädagogik verdanken, hat in diefem wirklich gebildeten
Suchern nach einem feiten Standpunkt einen Dienft geleiftet. Im Sinn
feiner Wertphilofophie, die jene beiden Gebiete am beften verbindet, faßt
er die Aufgabe an. In dem eindrucksvollen erden und zweiten Abfchnitt
führt er vieles von unferer gegenwärtigen Not auf Weltanfchauungsnot
zurück, weil ftets eine Weltanfchauung darüber entfcheidet, wie lieh Leben,
Verftändnis von Natur und Menfchheit, die objektiven Mächte des Lebens
wie fich Staat und Kirche, wie Kunft, Religion und Philofophie geftalteu;
denn immer liegt irgendeine Wertfehätzung zugrunde.

Es folgt dann eine Oberlicht über die gefchichllich gegebenen
Methoden von der dogmatifchen an über die eingehend behandelte kri-
tifche bis zur intuitiven; R. entfcheidet fich für eine Verbindung der
beiden letztgenannten. Von diefem Standpunkt aus werden dann die
Typen der philofophifchen Weltanfchaunng vom Naturalismus bis zum
objektiven Idealismus behandelt, dem die höchfte Stelle gebührt, weil er
die Werte in der Welt verankert, deren Verwirklichung der Sinn des
Lebens und der Gefchichte ift. Diefe Werte ordnen fich zu einem Wert-
fyftem, wie fie es zum Leben in der Welt bedürfen, wenn sie die großen
Denker der Vergangenheit als Erzieher nehmen, die uns helfen, im Zu-
fammenhang mit den bildenden Mächten unferer Gefchichte uns felblt
zu linden und zu einer Wiedergeburt unfres deutfehen Wefens zu gelangen.
Marburg. F. Niebergall.

Hoffmann, Priv.-Doz. Dr. Hermann: Vererbung und Seelenleben.

Einführung in die Pfychiatrifche Konftitutions- u. Vererbungslehre.
Mit 104 Abb. und 2 Tabellen. Berlin: Julius Springer. 1922.

Hoffmanns Buch fteht auf der Höhe heutiger pfych-
iatrifcher Wiffenfchaft und bietet einen Überblick über
die bisherigen Ergebniffe der Konftitutions- und Erblich-
keitsforfchung. Wer fich um raffenbiologifche Selektion
bemüht und praktifch zu handhabende Gefetzmäßigkeiten
fucht, kommt dabei nicht auf feine Rechnung; es zeigt
fich, daß fogar die Keimfchädigungen durch Alkohol und
Lues zurückhaltender zu beurteilen find als vielfach ge-
fchieht (85); Morels Theorie einer fortfehreitenden Entartung
muß ebenfalls als widerlegt gelten (162). Nur
in wenigen Fällen wird der heutige Pfychiater mit gutem
Gewiffen ein Eheverbot ausfprechen können, zumal die
Regenerationsfähigkeit ihm immer neue Überrafchungen
bereitet (247). Damit wird aber der Leichtfertigkeit nicht Tür
und Tor geöffnet, fondern die Tatfachen in Form gründlich
gearbeiteter Stammtafeln und ftatiftifcher Feftftellungen
reden eine fehr eindringliche und ernfte Sprache. Aber
über erfte Spuren gefetzmäßiger erblicher Zufammenhänge
kommt die Forfchung heute noch nicht hinaus. Das beruht
auf der Lückenhaftigkeit des Materials, auf der
Schwierigkeit feiner Beurteilung (die vulgäre Plychologie,
die nicht nur in den hiftorifchen Tafeln fich breit macht,
bedarf fehr gründlicher kritifcher Nachprüfung), auf den
Unficherheiten der pfychiatril'chen Klaffifikation, aber auch,
wie es fcheint, auf der Kompliziertheit der inneren Zufammenhänge
. Die bisher bekannten biologifchen Ver-
erbungsgefetze, von denen in Kap. 1 ein klares, etwas
fchematifiertes Bild entworfen wird, geben zwar eine gute
Handhabe, um in das Verftändnis einzudringen, namentlich
fcheintfich dieUnterfcheidun«' von dauernden und rezeffiven
Erbanlagen zu beftätigen, aber es wird erforderlich
fein, die bisherigen pfychiatrifchen Typen in einfachere
Grundformen aufzufpalten, um zu erkennbaren Gefetzmäßigkeiten
vorzudringen. Auf dem Wege dazu bedeutet
H.'s Unterfuchungfelbft eine wichtige FItappe. Der neueren
Gefamtrichtung der Medizin entfprechend werden die primären
Erbanlagen, um die es fich handelt, insbefondere
auf dem Gebiet des anormalen Drüfenbaues gefucht; das
Tatfachenmaterial, das in diefe Richtung weift, ift freilich bisher
nur gering. Neben der Vererbung der verfchiedenen gei-
ftigen Defekte werden auch die Ausführungen über die Vererbung
der Begabung, der talentierten und genialen Anlage
lebhaft intereffieren. Den wichtigften Ertrag der ganzen Un-
terfuchung finde ich in einem allgemeinen Grundzug, in dem

Beftreben, den Grenzwall zwifchen pfychologifcher und
pfychiatrifcher Arbeit zu durchbrechen, aus der Pfychologie
für das plychiatrifche Verftändnis anormaler geiftiger Er-
fcheinungen zu lernen und wiederum die pfychiatrifche Erkenntnis
für die allgemeine Charakterologie nutzbar zu
machen. Wenn das, wie im vorliegenden Fall, unter forgfäl-
tiger Wahrung der biologifchen Grundlagen des Pfychiatrifchen
gefchieht, ift der Gewinn nach beiden Seiten hin ein un-
abfehbar großer. In Anlehnung an Kraepelins, von Bleurer
fortgebildete Grundgedanken ergeben fich zwei Grundtypen
der geiftigen Konftitution, die zyklothyme (zwifchen
Melancholie und Manie als anormalen Extremen pendelnde
) und die fchizothyme (zwifchen hyperäfthetifchen
und anäfthetifchen Temperamentsanteilen fchwankende);
dazu ftellt fich als dritte die epiloptoide Konftitution.
Von den normalen Konftitutionen führt über die pfycho-
pathifchen zu den Geifteskrankheiten eine Reihe von Über-
gangszuftänden. Außerdem gibt es auf dem Wege der
Vererbung von den Eltern her zahlreiche Konftitutions-
legierungen. Wie hoch der Gewinn diefer Anfchauungen
für die Pfychiatrie ift, zeigt H.'s Buch auf Schritt und
Tritt. Aber nicht minder groß fcheint mir gegenüber der
üblichen Lehre von den Temperamenten der Fortfchritt
für die allgemeine Charakterologie; auch für das Verftändnis
der religiöfen Phänomenologie dürften fich auf
dem hier betretenen Wege neue Möglichkeiten öffnen.
Denn die Heranziehung der pfychiatrifchen Erfahrung
für höchftgefteigerte religiöfe Vorgänge wie Ekftafen, Vifionen
, Verfenkungen leidet zur Zeit an dem Mangel, daß das
breite Gebiet menfehlichen Lebens, das zwifchen dem
entfehieden Krankhaften und dem gefunden „Menfchen-
verlland" liegt, bisher nicht ausreichend bearbeitet, kaum
beachtet ift. Ich möchte daher auch Ethiker, Theologen
und Hiftoriker mit Nachdruck auf H.'s Buch als Typus
einer neuen Forfchungsart hinweifen. Für den Flthiker
fei noch auf die knappe, aber inftruktive Ausführung über
Abnormitäten des Sexualtriebes fowie auf die vorfichtige
Analyfe des ,moralifchen Schwachfinns' aufmerkfam gemacht
.

Berlin. Titius.

Schneider, Raul: Lebensglaube eines Arztes. (Till, 493 s.j gr. 8°

Leipzig, S. Hirzel 1921. Gz. 4; geb. 6,5

Gegenüber demMonismus, deffenName fchon den kalten
Hauch wiffenfehaftlicher Denkweife ausftrömt, vertritt
Schneider auf gleicher wiffenfehaftlicher Gundlage einen
Lebensglauben, deffen Wert für das Leben eben nicht
im Wirten, fondern im Glauben und im liebevollen Wollen
liegt (477). ,Mit den Materialiften haben wir verftandes-
und vernunftmäßige Vorftellungen, mit den Chriften religiöfe
Urgefühle gemeinfam; Gefühlsverwandtfchaft aber
ift enger als Vorftellungsverwandtfchaft' (474). Den
Materialiften wird gefagt, ,daß der größte Träumer
und Schwärmer mit feinen Gedanken über die Natur und
ihre tiefen Geheimniffe vielleicht der Wirklichkeit näher
kommt als der fog. Wirklichkeitsmenfch, der nie bedenkt,
daß er mit feinem kleinen Seelchen von der ganzen ihn
umgebenden Naturwirklichkeit nur den Schatten eines
kleinen Ausfchnittes erkennen kann, daß er vielleicht
weniger von der innerften Wahrheit der Natur erfährt
als eine an den Werken einer Bücherei nagende Maus
von den in ihnen niedergelegten Schöpfungen großer
Geifter' (167). Ein religiöfer Grundton ift in folcher
Äußerung nicht zu verkennen. Ss. Religion trägt panthe-
iftifche F'ärbung; ,Gott ift der fich zu immer höheren
Werten entwickelnde Allgeift' S. 30. Mehr der theiftifchen
Sprache nähert er fich, wenn wir S. 166 hören: Die gefilmte
Natur ift eine einheitliche Schöpfung, die in einer
immer fortfehreitenden Entwickluug begriffen ift. Den
fchöpferifchen Geift, der fich in diefer Höherentwicklung
äußert, nennen wir Gott. Abfichtlich find aber diele Andeutungen
über ein Unfagbares unbeftimmt und fließend gehalten
(ib).Religion und Sittlichkeit find nicht wieUrfacheund