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Ausgabe:

1923 Nr. 6

Spalte:

126-127

Autor/Hrsg.:

Tagore, Rabindranath

Titel/Untertitel:

Flüstern der Seele 1923

Rezensent:

Otto, Rudolf

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Theologifche Literaturzeitung 1923 Nr. 6.

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ihres Befitzes befchränkt und angewiefen ift, follten diefe
Beftrebungen nicht an Kompetenzftreitigkeiten und Reffort-
fchwierigkeiten fcheitern! Auf eine fyftematifche Durcharbeitung
der Archive, wie fie Tfchackert auf reformatioffs-
gefchichtlichem Gebiete in Königsberg begonnen hatte,
wird freilich wohl noch auf lange hin kaum zu hoffen
fein. Erwähnung verdient auch das Melanchthon-Haus in
Bretten, das dem raftlofen Eifer von Nik. Müller verdankt
wird und für die Renaiffance die Bibliothek Warburg
in Hamburg (vgl. Theol. Bl. I 266f., Paul Tillich).

Der Regifterband ift bis zum Abfchluß der Korrektur
noch nicht geliefert; er wird für den Nutzungswert des
Werkes von entfcheidender Bedeutung fein.

Berlin. Titius.

Lofthoufe, W. F., M. A.: Altar, Cross, and Community. PubHshed

for the Fernley Lecture Trust. London, A. Sharp 1920. (391 S.) kl. 8°.

Der Verfaffer verfolgt in diefem Buche im wefent-
lichen die Entwickelung des Begriffes des Opfers von
feinen Urfprüngen bis zu den mannigfachen Umwandlungen
, in denen er fich in der chriftlichen Kirche bis
auf die Gegenwart darfteilt. L. meint eine durchgehende
Linie aufweifen zu können, und er findet fie im Zufam-
menhang mit den Ergebniffen feiner früheren Arbeiten,
.Ethics and Atonement' einerfeits, .Ethics and the Family
' andererfeits. Hatte er fich in der erftern im Nachweis
verflicht, wie die Verformung auf ethifche Ziele hinauslaufe
, und in der zweiten die in der Familie fich auswirkenden
Beziehungen ihrer Glieder untereinander als
Grundtypus moralifchen Perfönlichkeitsverkehrs überhaupt
hingeftellt, fo dient fein vorliegendes Buch dem Nachweis
, daß das Opfer, richtig verftanden, den Typus der
Verföhnung liefere, durch die folcher Verkehr überhaupt
möglich werde. Den Weg religionspfychologifcher For-
fchung betretend (vgl. z. B. S. 38), wird er nicht müde zu
zeigen, wie das Opfer einem tiefliegenden Bedürfnis des
Menfchen entfpreche: ,Men cannot give up the thing.
They cannot get away from religion, nor, in religion,
from sacrifice (S. 18).' Verföhnung ift eine Notwendigkeit,
und zwar Verföhnung zwifchen Gott und Menfch wie
zwifchen Menfch und Menfch: ,We need a science of
reconciliation' (S. 24). Und aus dem Studium der Verföhnung
zwifchen Gott und Menfch hofft er die Formel
zu finden für die Verföhnung der Menfchen untereinander
(S. 25).

Jenes Studium unternimmt er auf breiter religions-
gefchichtlicher Grundlage, als Beifpiele herausgreifend die
Primitiven, die Inder, die Griechen und das Alte Tefta-
ment. L. zeigt fich gut bewandert, namentlich auf atl.
Boden. Sein Ergebnis ift, daß auf allen Gebieten, die
er betrachtet, fich letztlich ein gleicher, grundlegender
Sinn und Zweck des Opfers offenbare: es ift immer wieder
das Mittel, in Gottes Gemeinfchaft oder Berührung zu
kommen (,to get into touch', S. 48> 75. ll0> *4i vgl. 186,
296), eine Auffaffung, von der aus er die Gabentheorie als
nicht dem allgemeinen und urfprünglichen Sinn des Opfers
entfprechend glaubt ablehnen zu können (S. 43. 66).
Ein Kapitel über die Reaktion gegen das Opfer (bei
Indern, Griechenjuden) bildet den Übergang zur Unter-
fuchung des Verhältniffes Jefu zum Opfergedanken. L.
kommt hier zum negativen Ergebnis: Jefus ignoriere das
levitifche Opferfyftem, kein Wort deute darauf hin, daß
er fich als Opfer in levitifchem Sinn hätte aufgefaßt wiffen
wollen (S. 173). Aber als das ideale Mittel der Verbindung
zwifchen Gott und Menfch ift Jefus in der Welt
der Religion, was das Opfertier in der Opferzeremonie
ift, und infofern ift er das eine ,große Opfer' (S. 177).
Als folches, das fich nicht bloß in feinem Kreuzestod vollzieht
, fondern ein ganzes Leben des Gehorfams in fich
fchließt (Jefus of history', S. 213), fchafft es ein neues
Verhältnis des Menfchen zu Gott, vielmehr, als daß es
durch Beziehung zur Sünde das alte zu Ende brächte;
denn ,das Evangelium fieht vorwärts, nicht rückwärts'

(S. 208). Von diefem Standpunkt aus muß L. die traditionelle
Faffung des Kreuzestodes, wie er fie im Übrigen
durch die verfchiedenen Zeiten und Schulen des Chriften-
tums hindurch verfolgt, als ,misconception' (S. 241) beurteilen
.

Die Frage nach der Wiederholung des einen großen
Opfers führt zur Betrachtung von Abendmahl und Meffe.
Die beiden anfchließenden Kapitel, die letzten des Buches:
,Faith and Forgiveness' und ,Sacrifice and Reconciliation'
gehen fchließlich mehr auf die Innenfeite als die Außenfeite
des Opfers ein (vgl. S. 287), und hier entwickelt L. u.
a. die ethifchen Auswirkungen der durch das Opfer ge-
fchaffenen Verföhnung, zu denen die Unterordnung der
eigenen Intereffen unter die der andern (S. 277), namentlich
auch Verföhnlichkeit gehört (S. 299). Der Betätigung
diefes Geiftes redet L. aus Herzensüberzeugung
und mit großer Gefühlswärme das Wort, nicht freilich
ohne eine gewiffe aus der Erkenntnis der tatfächlichen
Verhältniffe entfpringende Refignation (S. 300): ,Now
that what we agree to call peace is sharpening old feuds
and calling new ones into being, the Church seems con-
demned to look on helplessly at the desperate plight
of the world and its statesmanship, or to pass by on
the other side'. L.'s Urteil über den Krieg ift übrigens
den Sätzen zu entnehmen: ,We seem to look in
vain for the results of the Atonement. The great mo-
vements of the last nineteen centuries give it the lie; . ..
the vast Organisation of the modern world for the com-
petitive production of wealth, and its tragic nemesis in
the world war' (S. 277).

In der Befprechung eines ausländifchen Buches, das
vermutlich wenig deutfchen Lefern zugänglich ift, ift es
Aufgabe des Rezenfenten, bei der Befchränkung des ihm
zur Verfügung flehenden Raumes, hinter einer Wiedergabe
feiner hauptfächlichften Gedanken die Kritik zurücktreten
zu laffen. Sie hätte fonft hier dabei einzufetzen,
daß die Zurückführung des Opfers auf einen einheitlichen
Grundgedanken der ganzen bunten Vielgeftaltigkeit der
Opferanläffe wie der Opferhandlungen fchwerlich ganz
gerecht zu werden vermag. Auch wären zu Einzelheiten,
wie z. B. zur Zurückweifung des Opfergedankens bei
Paulus, doch wohl Fragezeichen zu machen.

Göttingen. Alfred Bert holet.

Rabindranath Tagore: Flüstern der Seele. Aus dem englifchen
Manufkript übertragen von Helene Franck. München: Kurt Wölfl"
(108 S.) kl. 8".

Kurze Betrachtungen zarter Kontemplation, entnommen
aus andachtartigen Vorträgen, die Thakur
feinen Schülern in Santiniketan hält. Wohl das Innigfte
und Perfönlichfte, was bisher in Druck von ihm angeboten
ift. Flüftern der Seele ift der richtige Name, ein
feines Sagen und leifes Wiederholen deffen, was von
Menfchen nicht gewußt oder nicht bedacht' reden maoin
einer innigen, zugleich zart weiblichen Seele: Das
ftille Begegnen der großen ,Mutter': ,ich ging achtlos
vorbei, ohne fie zu bemerken, als es plötzlich in meinem
Bewußtfein aufblitzte, daß meine Mutter da war und eine
unfagbare Sehnfucht mich ergriff'. Das Sehen der Welt
mit und durch die .Seele', und damit das Sehen .Gottes'
in ihr. Thakurs Ablehnung des Gottes der .Macht' und
fein Suchen der /Liebe' und der .Schönheit': ,Der Menfch
wächft zur Riefengröße, wenn er alles an fich rafft. Er
gelangt zur .Harmonie', wenn er fich aufgibt. Die Frage:
.Durch welches Prinzip gelange ich zu meinem vollften
Werte: durch das der Macht oder durch das der Liebe
und Selbftaufgabe'. Der Glaube als .geiftiges Sehorgan,
das uns befähigt, inftinktiv das Bild des Ganzen zu fehen,
wo unfer empirifcher Blick nur Teile auffaßt. Der Gott
der indifchen Überlieferung, übertragen in Weltgemüt
und Gemütstiefe. Und Welt, Menfch und Dinge überkleidend
mit einer Transparenz feiner Innigkeiten. Alles
das mit einer bezaubernden Bildkraft und Sprache, die