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Ausgabe:

1923

Spalte:

106-108

Autor/Hrsg.:

Landsberg, Paul Ludwig

Titel/Untertitel:

Die Welt des Mittelalters und wir. Ein geschichtsphilosophischer Versuch über den Sinn eines Zeitalters 1923

Rezensent:

Lerche, Otto

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Theologifche Literaturzeitung 1923 Nr. 5. 106

Voranftellung flammt aus 1. Cor. io,0, Jtalg aus Act. 421ff
Die Trias Apoftel, Propheten und Lehrer ift eine aus

1. Cor. I228 herausgefponnene ,free creation of the writer'
die Gabendarbringung an die Propheten Weiterbildung
von r. Cor. 9,.,, die Verbindung der Begriffe Prophet und
Hohepriefter flammt aus Joh. Il61. Der berühmte Satz
über das Xsixovgyslv der Propheten und Lehrer ift einfacher
Reflex aus Act. 13, und bildet nur die Brücke zur
Erwähnung der nach 1. Tim. gekennzeichneten Bifchöfe
und Diakonen, die als die kirchlichen Autoritäten aus
der Zeit des Vert.s nicht übergangen werden konnten
(warum werden aber dann die Presbyter übergangen?).
Refultat: die Didache bietet ein pures Phantafiegebilde,
ihr gefchichtlicher Wert ift ziemlich null, zur Aufhellung
der urchriftlichen Verfaffungsentwicklung trägt
fie überhaupt nichts bei.

Die Vorlefungen befallen fich nun mit dem erften
Teil der Didache, den ,Zwei Wegen'. Unter Aufgabe
feiner bisherigen Anficht kommt Verf. zum Ergebnis, daß
diefe als befondre, jüdifche oder chriftliche Schrift nie
exiftiert haben. Sie find vielmehr eine originale Schöpfung
des Verf.s des Barnabasbriefes. Denn es find diefelben
Anfchauungen, die in den beiden Hauptteilen von Barn,
begegnen; der Übergang von Barn. 17 zu 18 ift nicht
unvermittelter als andre Übergänge derfelben Schrift,
und eine Reihe von identifchen Ausdrücken beiderfeits
(oöbg xov (pmTog u. xov Oxorovg 18, cf. oöbg öixaioOvvyg
I4.541 "dog oxorovg 54, jtovyga böög 4]0; ayanäv vxsg x/jv
ywyyv I95 =46; £* rpvxygn i9G=Zitat 35; Xvxgooodfitvog
192=14. und Zitat I4gj ooov övvaoai 199 cf. iq>' öoov
tOxlv sv r/filv 4n ufw.) zeigt, daß beides aus derfelben
Feder gefloffen. Der Didachift, der jetzt aus dem 2. ins
3. Jh. verwiefen wird, legte feinem erften Teile Barn.
18—20 zugrunde, fo zwar, daß er die Sprüche in beffere
Ordnung brachte, etwas verbreiterte und aus andern Quellen
erweiterte. Er geftaltete das Gebot der Gottesliebe den
Evangelien entfprechend zum Doppelgebot, fügte die
,goldene Regel' nach der Faffung des Codex Bezae Act
1529 unter Annäherung an den Matthaeustext bei, durchbrach
den Barnabastext zuerft durch den aus dem Matth.-
und Lucastext der Bergpredigt und aus Hermas zu-
tammengewobenen ,Einfchub', der fein Werk ift (Beweis:
söy xsXtiog Itl cf. 62; öiöovg xara xrjv svxoXyv l5
ch 135.7; tigvrai ftatt ytygaxxai l,; cf. tigyxtv gb, Igge&y
16. wie in der Bergpredigt), und ein zweites Mal 3j—;
durch ein Stück aus unbekannter Quelle, die von Clemens
AI. als ypct(p?'j zitiert wird (alfo nicht unfre Did.; die andern
Clemens-Zitate find ganz unficher). Daß Did. Barn, gegenüber
fekundär ift, geht überdies daraus hervor, daß in
Barn, manches nachweisbar urfprünglicher ift (Barn. 19.,
io$ ngavg, soy ijOvyiog, soy xgifimv xovg Xbyovg ovg
ijxovoag, aus Js. 662 srii rov xaotsivbv xai yovyiov xal
xosfiovxa xovg Xoyovg (iov, in Did. 37 auseinandergezogen;
Barn. ibid. ov fivnoixax?'jOiig xm udi Xym Oov entlprechend
Barn. 2S aus Sach. 8I7 xaxa xov JtXrjoiov . . . xaxlav
iitj (ivyOixaxsLxco, Did. 23 ohne aötXyög). Wie in Barn,
die Urform der ,Zwei Wege', fo liegt im Bryenniostext
die Urdidache vor. Ift der flog, chriftliche Einfchub in
den meiften Bearbeitungen nicht enthalten, fo haben
ihn diefe eben, ihrer verkürzenden Tendenz entfprechend,
ausgelaffen, manche überdies deshalb, weil der ihnen bekannte
Barn, ihn nicht bot.

Da der Raum zu einer Auseinanderfetzung mit diefen,
immer fcharffinnigen, Ausführungen fehlt, fei nur folgendes
hervorgehoben: 1. Die dem Didachetext zugemutete fchrift-
ftellerifche Eigenart, die Apoftel ins Blaue hinein Anordnungen
treffen zu laffen, die mit den konkreten Zu-
ftänden feiner eigenen Zeit nichts gemein haben, dürfte
der Pfychologie altchriftlichen Schrifttums widerfprechen.

2. Inftitutionen und Zuftände brauchten darum, daß fie
unter weitgehender Anlehnung an den Wortlaut apofto-
lifcher Schriften gefchildert würden, noch nicht irreal zu
fein. 3. Daß die unglückliche Mifchung aus Bergpredigt

und Hermas und die Euchariftiegebete aus derfelben Feder
gefloffen fein follen, erfcheint befremdlich; die Identität aber
des Verf.s von i3ff. und 16 erfcheint möglich. 4. Die Behauptungen
über die Ähnlichkeit der beiden Teile von Barn,
und dieUnanftößigkeitdesÜbergangsvon 17ZU i8erfcheinen
fehr fubjektiv. Andre werden den Eindruck haben, daß
mit ixexaßoöfii-v etwas ganz Andersartiges angefügt wird.
Ein Teil der hervorgehobenen Ähnlichkeiten im Ausdruck
läßt fleh auch erklären, wenn Barn, nicht Verfaffer, fondern
Bearbeiter von 18—20 ift. Ob dies aber reftlos zutrifft,
ift in der Tat die Präge; 5. Wenn die 'Ejiixoutj ogeov
bzw. die Apoftol. Kirchenordnung, die Doctrina apofto-
lorum, die Vita des Schenute und Pfeudo-Athanaflus
allefamt den ,chriftllichen Einfchub' nicht haben, fo läßt
fleh das zwar zur Not in jedem einzelnen Palle aus verkürzender
Tendenz erklären; die vier Fälle zufammen
find, da es fleh nicht um eine zufamengehörige Textfamilie
handelt, für die Annahme, daß der Bryenniostext die
Urform des erften Teiles der Did. darfteilt, unbedingt
tödlich. 6. Hat es eine gemeinfame, urfprünglich jüdifche
Vorlage für Barn, und Did. gegeben, fo dürfte fie doch
ftärker chriftianifiert worden fein als Harnacks bekannter
Herftellungsverfuch annimmt. Did. i2 jtavxa öh oOa weift
unbedingt auf den Matth.-Text; dann aber wird auch die
Anfügung des Gebotes der Nächftenliebe auf das N.T.
zurückgehen. Ebenfo weift 27 ovx sniogxro~hig auf Matth.,
212 eXtytgtig und iXsrjOiig auf lud. 2;!, 48 ovx sgtlg Yöia
slvai auf Act. 432, 4,0 ov yag sgytxai xaXtöai (bzw. die
Barn.-PWfung) auf Matth. 913, 4M oi öovXoi vjroxa-
yrjOiö&t (bzw. die Barn.-Faffung) auf Eph. 66; die ayioi
42 werden Chriften fein; 3,—,; kann kaum in einer ge-
meinfamen Vorlage geftanden haben. Mit dem allem
dürfte Robinfon Recht haben. Ob damit die gemeinfame
Vorlage überhaupt oder etwa ihr jüdifcher Urfprung
problematifch wird? Manches erklärt fich doch am leich-
teften aus verfchiedener Abwandlung einer gemeinfamen
Vorlage, z. B. Matth. 913 ov yag yX&ov xaXsöai, Barn.
19, bxi ovx yXd-ev, Did. 4,0 ov yap sgysxai (von Robinfon
anders gewertet). Jedenfalls ift durch die Thefen
Robinfons das Didache-Problem aufs neue zur Diskuffion
geftellt.

Bonn. Anrieh.

Hoffmann, Paul Th.: Der mittelalterliche MenTch. Gefehen aus Welt

und Umwelt Notkers des Deutfchen. Gotha: F. A. Perthes 1922.
(356 S.) gr. 8».

Landsberg, Paul Ludwig: Die Welt des Mittelalters und wir. Ein

gefchichtsphilofophifcher Vcrfuch über den Sinn eines Zeitalters. Bonn,
Friedrich Cohen 1922. (124 S.) gr. 8°.
Buchner, Prof. Max: Einhards Künftler- und Gelehrtenleben. Ein

Kulturbild aus der Zeit Karls des Großen und Ludwigs des Frommen.
Bonn: Kurt Schroeder 1922. (XVI, 452 S.) 8". Bücherei der Kultur
und Gefchichte 22. Gz. 4; geb 5,5.

Das Mittelalter wurde zum Problem, nachdem es erft-
malig überwunden war. Überwunden hat das Mittelalter
der erfte moderne Menfch. Wer war der erfte moderne
Menfch? —Jakob Burckhardt entdeckt den modernen
Menfchen in der Renaiffance und das Zeitalter der Re-
naiflance muß es füglich fein, das mit dem Mittelalter
aufräumt, das eine völlige Abkehr von dem Bisherigen
bedeutet, das mit der Tradition bricht. Noch kraffer fleht
Saint Beuve den Unterfchied zwifchen Mittelalter und
Renaiffance. Die Renaiffance knüpft unmittelbar da an,
wo die Antike aulhört: zwifchen Antike und Renaiffance
gähnt unüberbrückbar ein graufiger Abgrund, das Chaos
des Mittelalters. Der entwicklungsgefchichtlich gefchulte
Menfch unferer Tage weiß, daß diefe Rechnung nicht
ftimmen kann, er hat aber nicht gewagt, die Autorität
Jakob Burckhardts zu erfchüttern. Doch wird es Zeit,
daß wir mit fo manchen uns liebgewordenen Gewohnheitsgedanken
aufräumen.

Das Buch Ploffmanns, prachtvoll ansgeftattet, herrlich
gedruckt auf blütenweißem Papier nimmt (ofort ein
durch die fchöne äußere Geftalt und ein gewiffes Pathos,
das auf inneres Feuer fchließen läßt, das wärmt und an-