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Ausgabe:

1923

Spalte:

100-101

Autor/Hrsg.:

Glasenapp, Helmuth von

Titel/Untertitel:

Der Hinduismus 1923

Rezensent:

Otto, Rudolf

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ganz beftimmten gefchichtlichen Bedingungen; die zu
Grunde liegenden Werterfahrungen find ftets neu zu
prüfen, zu neuen Grundwerten in Verhältnis zu fetzen
und in Wechfelwirkung mit den jeweiligen gefchichtlichen
Bedingungen auszuformen. Steht Totalität gegen
Totalität oder machen chaotifche Elemente eine Totalitätsbildung
unmöglich, fo entftehen die Konflikte, die die
Problemlage des religiöfen Bewußtfeins bezeichnen. Das
religiöfe Problem beruht auf dem Gegenfatz des Wertvollen
und Werthemmenden. Auf monotheiftifchem Boden
tritt das Problem des Übels und des Böfen mit befonderer
Schärfe hervor, zumal wenn das Böfe felbft als Bedingung
für die Entwicklung des Guten erkannt wird. Daß
wertvolle Totalitätsträger des Dafeins ftets möglich fein
werden, ift religiöfer Glaube, aber ein Bild oder Begriff
von dem, was beliehen wird, läßt fich nicht machen.
Eine teleologifche Weltbetrachtung erachtet H. ebenfo
wenig wie die Idee des Abfoluten für notwendige Konfe-
quenzen der Wertbetrachtung, weift vielmehr der Welt-
und Lebensanfchauung andere Wege im Zufammenhange
mitrationellem Denken. Dem Gedankengange Hs. foweiter
Empirismus und Apriorismus, naturwiffenfchaftliche und
ethifch-religiöfe Erkenntnis großzügig zu vereinigen ftrebt,
ftimme ich weitgehend zu. Die verbleibenden Bedenken
kann ich nur kurz erwähnen, nicht begründen. Nicht
berechtigt erfcheint mir, daß die Skepfis gegenüber dem
Glauben weiter getrieben wird als gegenüber dem Wiffen.
Das .kongeniale' Verftändnis der Welt, wie es der religiöfe
Geift erreicht, braucht fich vor dem .rationalen' des
denkenden Geithes nicht zu verdecken. Für die Religion
bleibt freilich die .Irrationalität' der Welt, nicht im Sinne
des Chaos, fondern der Genialität eine Grundkategorie ihres j
Denkens. Es würde mir nicht als Fehler, fondern als i
notwendige Korrektur erfcheinen, wenn Höffding die j
Geltung feiner Kategorie der .Rationalität'durch eine folche j
der Irrationalität begrenzen würde. Weil das Bild als An-
fchauung ftets etwas Irrationales in fich enthält, erfcheint i
es mir übrigens, was H. beftreitet, zum andeutenden j
Träger letzter Gedanken beffer geeignet als der Begriff. |
Daß das Erlebbare über das Denkbare hinausgeht, fagt I
auch H. im Schlußfatz feiner Abhandlung; ich wünfchte,
daß zur Ergänzung des Relaiionsprinzips diefer Satz
den ganzen Gang feiner Gedanken kräftig beeinflußte.

Raufchenberger prüft die Frage, ob die Leugnung
des Kaufalgefetzes einen inneren Widerfpruch involviere;
zu diefem Zweck führt er die Kaufalität, die an fich nicht
rein logifchen Charakter trägt, auf die Idee der Identität
zurück. Das im kaufalen Gefchehen identifch Bleibende
ift aber, wie er annimmt, nicht das Objekt, fondern das
Weltganze. Entftehen eines einzelnen Vorgangs aus dem
Nichts oder fein Vergehen in das Nichts würde ein neues
Abfolutum fetzen, das doch Teil der mit fich felbft ide/i-
tifchen Welt fein foll, alfo in fich widerfpruchsvoll fein.
Das ift insbefondere auch für das Freiheitsproblem zu beachten
. Will man den Gedanken der Entftehung aus
Nichts (nach vorangehender Vernichtung) auf das Weltganze
anwenden, fo kommt man auch hiermit in unüberwindliche
Schwierigkeiten. (Korrelat des Grundfatzes der
Identität bezw. des Kaufalgefetzes ift die metaphyfifche
Subftanz, von der aus alle Veränderungen notwendig erfolgen
.) Eine apodiktifche Gewißheit des Kaufalgefetzes
ift freilich mit alledem nicht gegeben, denn auf dem Gebiete
des Realen gibt es nur Wahrfcheinlichkeiten, aber
es ift doch wenigftens das denkbar Unwahrfcheinlichfte,
daß das Reale direkt Widerfprechendes in fich enthalten
follte, womit auch die Möglichkeit aller Realerkenntnis
wegfiele. Mir fcheint es ein verhängnisvoller Fehler des
fcharffinnigen Gedankenganges zu fein, daß der Kaufalgedanke
auf die Welteinheit begründet wird, während
er an fich nur die gefetzmäßige Beziehung zweier Punkte,
nicht die Idee einer Totalität vorausfetzt. Auch ilt die
Idee einer Entftehung aus nichts oder einer Zurückführung
in das Nichts mit dem Kaufalgedan ken nicht unverträglich
, falls diefer von der Identität einer beftehenden
Welt mit fich abhängig gemacht wird. Daß auch über
das Freiheitsproblem nicht durch einen logifchen Syllogismus
entfchieden werden kann, ift auch vom Standpunkt
R.s aus leicht zu zeigen.

Berlin. Titius.

Glafenapp, Helmuth v.: Der Hinduismus. Religion und Gefellfchaft

im heutigen Indien. Mit 43 Abbildgn. München, Kurt Wölfl" [1922I
(XVI, 505 S.) gr. 8».

.Indien ift das Land der Länder, ift das fchönfte Land
von allen. TJnfer Rofengarten ift es. Wir find drin die Nachtigallen
' — mit diefen Verfen des heutigen indifchen Dichters
Ikbal aus Lahore beginnt Glafenapp fein Buch. Aber
das Buch ift felber nicht ,ein poetifches Buch', bietet
keine ,Indienfahrten' mit viel Dichtung und wenig Wahrheit
, fondern ift ein ftrenges, umfaffendes, forgfäitig aus
den Quellen fchöpfendes Werk gelehrter Forfchung eines
Fachgelehrten, der doch zugleich vortrefflich lesbar und
allgemein verftändlich fchreibt. Es ift zweifellos das befte,
das riefige Gebiet ganz umfaffende Werk, das wir —
mindeftens in deutlcher Sprache — darüber befitzeu.
Und es ift ein Gegenwartsbuch. Es verfinkt nicht in
feinen Quellen und begnügt fich nicht, das Indien längfit
vergangener Tagen zu fchildern, fondern bei forgfältig-
ftem Rückgang auf Altertum und Mittelalter das Indien,
das noch lebt, das diesfeits liegt von feinem grauen Altertum
, das ein wunderbar reiches Mittelalter durchgemacht hat,
und auf den Grundlagen feiner Anfänge vor 2 oder 3jahrtau-
fenden bis in die neueften Zeiten ein viel verfchlungenes,
viel lehrendes Religions- und Gefellfchaftsleben hervorgebracht
hat, das intereffant ift, gerade auch wenn es
unteren Zeiten fich nähert. Befonders intereffant aber
dem Theologen. Denn grade die fpätere Sektengefchichte
Indiens mit ihren feltfamen Konvergenzbildungen zu weltlicher
Religionsgefchichte ftellt der tieferen Religionsvergleichung
die tieferen Probleme. Glafenapp, fkizziert
gut und ausreichend auch die alten Ausgänge. Aber fein
Hauptintereffe ift dem .Hinduismus'felber gewidmet, einem
Spätling, gemeffen an grauem Vedenalter, aber einem
höchft intereffanten.

Verdienftlich ift, daß der Verf. gegenüber der
fektarifchen Zerklüftung Indiens zunächft immer erft das
gemeinindifche, das dort .ökumenifche', aufweift, das dann
von der Sekte in ihren Sonderbau eingebaut wird. Das
bunte Wirrfal hinduiftifcher Mythologie, Legende, Epik,
die Gemeinüberzeugungen in Natur-, Götter-, Welt- und
Lebensauffaffung und -Bewertung weiß er umfaffend zu
fchildern und den ungefügen Stoff doch zugleich zu gliedern.
Langfam führt er über dem Kleinvolk von niederen nu-
mina, von Geiftern, Dämonen und Deva's das Reich der
höheren Geftalten und dann der höchften Geftalten
in Monotheismus und Theopantismus herauf, führt
ein in das ungeheure Schrifttum, fo wie es höherer
Theologie und Philofophie zum Grunde liegt,
fchildert dann das durch die Karte geformte gefellige
Leben und die allgemein wiederkehrenden Züge des
Kultus und zeichnet auf dem Hintergrunde diefes all-
indifchen Wefens die großen religiöfen Sonderbildungen
in .Sekten', oder follte man beffer fagen in Konfeffionen,
die bis heute lebendig find und das geiftige Bild Indiens
vervielfältigen. Nicht das wenigft intereffante ift das
letzte Kapitel; es zeigt, wie unter dem Einfluffe vonMiffion
und Abendland das alte Syftem ftarke Erichütterungen
erlitten hat. Aber auf der anderen Seite find um fo in-
tereffanter die Renaiffanceerfcheinungen und Neubildungen,
die feit den Tagen Ram Mohun Roy's und Dayänand's
eingefetzt haben, und ebenfo die ernfthaften Verfuche
der alten Sekten felber, in Theologie und Einwirkung
auf ihre Gläubigen fich gegen das Chriftentum zu behaupten,
ja fogar felber in miffionarifche Tätigkeit gegenüber
Nichthindu's einzutreten. Das Buch ift reich an guten
Abbildungen nach indifchen Originalen und an Textproben,