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Ausgabe:

1923 Nr. 4

Spalte:

93

Autor/Hrsg.:

Urquhart, James

Titel/Untertitel:

William Honyman Gillespie of Torbanebill 1923

Rezensent:

Schmidt, J. V.

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93

Theologifche Literaturzeitung 1923 Nr. 4.

94

Erforfchung vereinigter Zweckbeftrebungen des Willens
fei. Solche Vereinigung der Willen führe Mets auf
Rechtsregeln. Daher fei die Wirtfchaft ftets und überall
abhängig von der jeweiligen Rechtsgeftaltung und habe
überhaupt kein eigenes Entwicklungsgefetz, eine merkwürdige
Behauptung, zu der man Schumpeter „Die Theorie
der wirtschaftlichen Entwicklung" etwa vergleichen möge.
Die gleiche Abhängigkeit aller Gesellschaft von den Ju-
riften wird bei weglang auch gegen Steiners „Dreiteilung"
geltend gemacht. Zum Schluffe gibt der Verfaffer felbft
eine „Löfung", die auf der Scheidung der hiftorifch-ge-
netifchen Erklärung und der nur aus der rationalen Idee
„einer gefetzmäßigen Harmonie und Ordnung im Inhalte
des Wünfchens und Strebens" zu erreichenden Richtigkeit
der Ziele, alfo in diefem Falle der Rechtsordnung,
beruht. Damit wird die Sache in der Tat furchtbar einfach
. Die Löfung liegt in Stammlers Theorie vom „richtigen
Recht", in dem von jeder konkreten Situation aus anzuflehenden
Ideal „einer vollkommenen Harmonie unter
dem innerlich verschiedenen Inhalte menfchlichen Begehrens
". Das fei eine Sittlich notwendige, gefüllte und
darum objektiv religiöfe Idee. Sie fei dadurch auch
identifch mit der christlichen Sittlichkeit, ohne die fie
nicht durchführbar fei.

Berlin. fE. Troeltfch.

Urquhart, fames: William Honyman GiMespie of Torbanebill; Scottish
metaphysical theift. (265 S.) Edinburgh, T. ■ T. Clark 1920).
Das Buch füllt keine Lücke in unterer Literatur aus. Es wiederholt
das Unternehmen eines fchottifchen Privatmanns und religiöfen
Schrif Meilers, Gillespie (f 1875), der feine Lebensarbeit darin fah, ein
den Atheiften zwingendes Argument für die Exiftenz Gottes ausfindig
zu machen. Diefer Verfuch wird mit vollkommen untauglichen Mitteln
unternommen, nicht nur die Gedankengänge des Kritizismus fondern auch
die vorkantifchen Verbuche des Rationalismus z. B. von Leibniz find
unbekannt. Das eigentliche Argument, deffen Vorführung den Kern
des Buches bildet (107—265) will von dem notwendigen Dafein eines
unendlichen, unbegrenzten Raumes und einer unendlichen, unbegrenzten
Zeit her, den beiden glorious pillais of the universe, mit mathe-
matifchcr Notwendigkeit über den Umweg eines unendlichen Wefens,
eines unendlichen Geiftes zu Gott vordringen, an dem alle fog. metaphy-
fifchen und ethifchen Prädikate als notwendig aufgewie'en werden. Die
Möglichkeit einer folchen von Prof. Mackintosh-Edinburg mit vorfich-
tigen Worten eingeleiteten Schrift wäre ein vernichtendes Urteil über
den Stand des englifchen fyftematifchen Denkens, wenn nicht das Buch
bereitwilligft felbft offenbarte, daß es, durch Privatmittel aus einem
Propagandafonds für Gillespie unterftützt, wefentlich die Aufgabe
habe, das Andenken an einen warmherzigen überzeugten theologifchen
Laien wach zu halten und dadurch das Problem der religiöfen Gewißheitsbegründung
nicht einfchlafen zu laffen; eine Aufgabe, die dem
.argument a priori' G.'s bei den Jünglingsvereinen der United Free
Church of Scotland und bei der Young men's Guild and Women's
Guild of the Church of Scotland gelungen fein foll. Für die deutfehe
Theologie ift eine gleiche Wirkung nicht zu erwarten.

Bonn. J- V. Schmidt.

Jaeger, Dr. Max: Religion. Eine religionsphilofophifche Studie auf
pfychologifcher Grundlage. (183 S.) 8°. Hamburg, Heroldfche Bchh.
'92Z- . Gz. 1.

Sicher ein eigenartiges, geifteskräftiges Buch! Verf.,
der Hunzinger viel zu verdanken bekennt, verficht in
dem grundlegenden .pfychologifchen' Teil den Salz:
,Die menfehliche Seele ift Ichbewußiwerdung durch den
Selbftüberwindungsdrang der Ureinheit von Körper, Geift
und Ich'. Das foll heißen, Körper (=Lebenslräger) und
Geift (=Lebensführer) und Ich (=Lebensgrund) bilden
trotz Wefensverfchiedenheit eine organifche Einheit, deren
Entwicklungsprozeß, falls er normal verläuft, in ,Ichbe-
wußtwerdung' gipfelt. Der fpringende Punkt ift die
Behauptung, daß das Ich eine dem Geift gegenüber
felbftändige Größe, alfo keineswegs etwa bloß Mittelpunkt
des Geiftes fei. Die hierauf bezüglichen Darlegungen
z.eugen von wirklichem Tieffinn, laffen aber noch die nötige
Klärung vermiffen. Was ift diefes Ich, das einer-
feits ausdrücklich als nicht fubjektiv, nicht individuell, als
überperfönlich, ja abfolut bezeichnet wird, anderfeits jedoch
aus feiner Vereinzelung in .Vertrauenswerdung' nach
Ergänzung durch ein Du verlangt? Den Übergang zur

Thefe: .Religion ift die glaubensmäßige Verankerung der
Ichbewußtwerdung und der Vertrauenswerdung im Göttlichen
und die Gemeinfchaft mit diefem'. J. fpricht hier
von den Phafen und Stufen religiöfen Erlebens, der Ich-
fehnfucht, dem Ichfchmerz, der Icheinheit einerfeits, der
gebundenen (dem Körperlichen hingegebenen), verwickelten
(in der Sphäre des Geiftes weilenden) und gelöften (zur
Ichbewußtwerdung gelangten) Seele andererfeits. ZurKenn-
zeichnung mag noch dienen, daß Eckhartzitate in der
Regel die Gedanken des Verf. auf den adäquateften Ausdruck
bringen, und daß fein Buch, wie mir fcheint, ein
felbftändiges Seitenftück zu dem Werk von H. Schwarz
,Das Ungegebene' darftellt. Mit Befriedigung nimmt man
Kenntnis davon, daßj. felbft es nur als erften Wurf gewertet
wiffen will, und möchte anheimgeben, die Terminologie
einer Revifion zu unterziehen. Das ,Ich' fpielt
bei ihm augenfeheinlich eine ebenfo zweideutige und
verwirrende Rolle wie in der Philofophie Fichtes. Allzuviel
Druckfehlerl

Iburg. W. Thimme.

Hermann, Priv.-Doz. Lic. Rudolf: Fragen und Erwägungen zu Stanges

Religionsphilolbphie. (28 S.) 8°. Leipzig, A. Deichen 1921. Gz. 0,8.

H. möchte Stanges Religionsphilofophie vereinfachen
und fortbilden. Er möchte wie St. die Religion als notwendiges
Glied in dem Zufammenhang des menfchlichen
Bewußtfeins begreifen. H. übertreibt diefe richtige Aufgabe
noch ftärker als St. dahin, es komme darauf an, die
Religion fo tief in den Grundlagen des Bewußtfeins begründet
zu erweifen, daß es deutlich werde: In jeder
Wirklichkeitserfaffung fteckt bereits Religion. Daher ift
Atheismus in ftrengem Sinne nicht möglich. Überall wo
wir die Wirklichkeit nicht bloß mit dem Verftande er-
faffen und deuten, fondern fie als Willen erleben, fei die
Religion im Anfatz gegeben, .Religion ift das Bewußtfein
vom Werden des Willens durch die Wirklichkeit und
deshalb die Erfaffung der Wirklichkeit als Gefchichte'.
Damit foll beides erreicht fein: Der Religion ift ihre
Stellung innerhalb der Erfahrung angewiefen, und zugleich
ift fie als notwendiges Moment des Lebens in ihrem Recht
erwiefen. — Das Ziel H.'s fcheint mir nicht erreicht zu
fein. Denn die Definition ift zu weit. Nicht jedes Erleben
ift religiös. Das religiöfe Erleben müßte genau von
dem natürlichen, fittlichen, äfthetifchen abgegrenzt werden.
Nicht jede Erfaffung des Wirklichen als Wille ift religiös.
Die Eigenart des religiöfen Erlebens ift das Erfaßtwerden
von einem Überweltlichen, das in und mit der Welterfahrung
fich wirkfam erweift. Daß hierin keine Illufion
liegt, läßt fich nicht aus einer allgemeinen Theorie des
Bewußtfeins ableiten. Letztere kann nur die Möglichkeit
erweifen, daß im religiöfen Glauben Wahrheit liegt. Der
Wahrheitsbeweis für die Religion liegt oberhalb der Erkenntnistheorie
.

Bafel. J. Wcndland.

Schopen. Edmund. Das Problem des Chriftentums. (Dwtfche Kultur-
fragen, hrsg. v. E. Schopen, 1. Jhr-;., Heft 3/4.) (68 S.) gr. 8°. Köln,
Rheinland-Verlag 1922. Gz. 1,5.

Diefe Schrift tritt mit einem eigenartigen religiöfen
Reformprogramm hervor, das fich zum Schluß zu Bekenntnisformeln
(12 Wahrheiten, 7 Sätze) verdichtet. Sie
erwartet das Heil von der Verfchmelzung der Plotin'fchen
Weltanfchauung mit dem Liebesgedanken Jefu. Liebesdrang
liegt der Emanation der Welt aus Gott zugrunde,
und Liebe, die in leidenswilliger Hingabe des Menfchen
ihre Krönung findet, wird fie wieder in Gott aufgehen
laffen, jedoch fo, daß die in fittlicher Höchftleiftung errungene
Eigenperfönlichkeit des Menfchen erhalten bleibt.
In der Einfeitigkeit des Buches liegt leine werbende Kraft
begründet, ruhige Überlegung freilich wird die Gefolg-
fchaft verweigern. Ob wirklich der Liebesgedanke das
Weltproblem fo glatt auffchließt (wie ift der Abftieg des
Geiftigen zum Materiellen zu erklären?), und ob wirklich
Religion in ihrem Urfprung wie auf ihren Höhen nichts
Religion bildet die für den zweiten Teil fundamentale 1 als Liebe ift, differenziert nur nach den Graden der er-