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Ausgabe:

1923 Nr. 4

Spalte:

87-88

Autor/Hrsg.:

Urkunden und Akten des Württembergischen Staatsarchivs. 1. Abt., I.: 2. Teil

Titel/Untertitel:

1. Lfg 1923

Rezensent:

Bossert, Gustav

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87

Theologifche Literaturzeitung 1923 Nr. 4.

88

gefchichte ift der Nachweis über das Alter der Ilanzer
Artikel von F. Jecklin und über den Amtsantritt des
Churer Reformators Dorfmann, Comander am 24. Februar
1525 von J. R. Truog zu beachten. Zu beachten ift
auch die Aufzeichnung der Rechte des Vogts in der Ge-
richtsherrfchaft Weiningen im Jahr 1530 durch den Vogt
Gerold Meyer, der allerdings aus feiner Vorlage noch die
Überfchrift Jhs. f Maria übernahm, aber der Gemeinde
vorhielt, wie Gott ihr lein heiliges Wort habe hervorbrechen
laffen, und er darum durch zehn Verbote die Sittlichkeit
heben wollte. Auffallend ift, daß M. v. K. nicht darauf
aufmerkfam macht, daß Gerold der Stieffohn Zwingiis
ift, unter deffen Einfluß ficher Gerold die neuen Artikel
zur Hebung des Lebens in der Gemeinde angefügt hat.
Von Michael Eggenstorfer, letztem Abt des Klofters
Allerheiligen, und den Anfängen der Reformation in
Schaffhaufen gibt J. Wipf den erften Teil fehr ausführlich
. Kurz ift das Lebensbild des Embracher Chorherrn
Nikol. Engelhard mit 2 Urkunden durch R. Hoppeler.
Zur Biographie Heinrich Bullingers weift A. Bonomo
neben bekannten noch unbekannte Quellen nach. Nicht
ganz verftändlich ilt die Aufnahme von ,Selnauer Kirchweih
und ähnliches' von Diethelm Fretz in die Zwingliana,
da für den Kundigen die Kalenderdaten nichts bieten
und für die Kirchweihfitten fich wenig ergibt. Zu beachten
ift die von P. Wernle gezogene Parallele zwifchen
Schleiermacher und Zwingli gegenüber der Glaubenswelt
Luthers oder des Paulus, auf welche M. Köhler aufmerkfam
macht. Heft 1 gibt ein gutes Bild von Ökolampad,
Heft 2 das Wappen des Abts Eggenstorfer.
Stuttgart. G. Boffert.

Urkunden und Akten des Württemberg!fchen Staatsarchivs. 1. Abt.

W'ürtt. Regeften von 1301 bis 1500. Hrsg. v. d. Württ. Staatsarchiv
in Stuttgart. I: Altwürttemberg. 1. Teil, 1. L/g. (XIV, 237 u. S.
239—270) 32x24 cm. Stuttgart, W. Kohlhammer 1916. 1922.
Nachdem die große Ausgabe des Württ. Urkunden-
buchs in 10 Bänden mit dem Jahr 1300 abgefchloffen ift,
beginnt das Staatsarchiv durch die Hand des Archivrats
Mehring die Urkunden und die fpärlichen Akten bis
1500 in ganz kurzen Regeften von meift zwei Zeilen zu
veröffentlichen. Der erfte Teil gibt die Urkunden von
Altwürttemberg in 6420 Nummern für das ganze Gebiet,
der zweite Teil, von dem jetzt eine erfte Lieferung er-
fchienen ift, die Urkunden der Ämter. Für die ThLZ.
kommen hauptfächlich die letzten Nummern von 6241
an: Bifchöfe, Papft und Kardinäle, Religions- und Kirchen-
fachen in Betracht. Doch find auch fchon frühere Ab-
fchnitte für den Charakter des ausgehenden Mittelalters
fehr zu beachten. Unzählig find die Kriege und Fehden,
die beizulegen waren und die befte Kraft des Volkes
verzehrten. Nach der Reformation gab es in Württemberg
vom Ende des Schmalkaldifchen bis zum dreißigjährigen
Krieg außer zwei kleinen Fehden von wenigen Tagen
keinen Krieg. Man fieht, trotz ihrer ungeheuren Machtmittel
war die mittelalterliche Kirche nicht im Stand,
Frieden zu fchaffen und zu erhalten. Ebenfo lehrreich
ift das Kapitel der Urfehden, obgleich die Vergehen, für
welche Strafe angefetzt wurde, meift nur allgemein bezeichnet
find, wie wohlverfchuldete Urfachen etc. Dieb-
ftahl, Totfchlag, Mord, auch Zauberei find zu ftrafen.
Selbft Hexen wurden 1497 verbrannt. Auch Doppelehe
und Entführung einer Frau kommt vor. Zwei Pfarrermägde
werden ausgewiefen. Am 18. April 1456 bittet
Bifchof Heinrich von Konftanz den Grafen Ulrich, ihm
einen Priefter in Kirchheim zu überantworten, der in Predigten
das Volk gegen die Priefter und Obrigkeit aufreizte
, und am 30. Mai und 25. Juli fordert er ihn auf,
einen Priefter zu Benningen zu beftrafen, welcher mit unlöblichen
Predigten die Laien wider die Priefterfchaft
reizen wollte. (Nr. 6309. 6310.). Beachtung verdienen die
Urkunden zur Gefchichte des Konftanzer und Basler
Konzils Nr. 6348—6355, befonders aber die Aufzeichnungen
von Bedenken gegen die hundert gravamina Germanicae

nationis contra clerum vom Jahr 1455 Nr. 6390. Ein
echtes Zeichen der Verehrung der Scholaftik für Arifto-
teles, der in den Predigten oft zitiert wurde, ift der Taufname
Ariftoteles für einen fchwäbifchen Junker 1444 Nr.
1007, als ob Ariftoteles ein Heiliger wäre, nach dem man
in der Kirche die Kinder bei der Taufe nennen ließ. Die
erfte Lieferung des zweiten Teils beleuchtet die Erwerbstätigkeit
des Klerus und die Stiftung von unzähligen
Pfründen, welche geiftliche Müßiggänger erzeugen mußte,
und das Aufkommen von vielen Klaufen in dem einen
Amt Balingen. Für den Gottesdienft ift die Menge von
Lichtern bezeichnend, die dahin führt, daß man jetzt nicht
nur von Heiligenpflegern redete, fondern von Lichtmei-
ftern und Lichtpflegern.

Diefe wenigen Proben zeigen, daß diefe Veröffentlichung
von Urkunden von 1301—1500 auch den Kreifen
der Kirchenhiftoriker und Theologen überhaupt zu empfehlen
ift.

Stuttgart. G. Boffert.

Valentin Weigel: Gefpräch vom wahren Chriftentum. In unfer

Schriftbild übertragen u. herausgegeben von Alfred Ehrentreich.

(Aus alten Bücherfchränken. Eine Sammig. vergeffenen u. gefährd.

dt. Volksgutes, hrsg. v. Wilh. Stapel) (213 S.) kl. 8°. Hamburg,

Hanseat. Verlagsanftalt 1922. Gz. 2,6.

In dem vom Infelverlag herausgegebenen ,Dom' ift
diefem Myftiker gewiß ein befonderer Band zugedacht.
Einftweilen dürfen wir diefen in Interpunktion und Stil
maßvoll modernifierenden Neudruck von Weigels Dialo-
gus de Chriftianismo (Halle 1614t, den Grützmacher RE;)
21,39 feine .wichtigfte und am beften gefchriebene Schrift'
nennt, willkommen heißen. Leider enthält die Einleitung
recht viel Dunkeles, Phrafenhaftes und Verkehrtes. Der
Herausgeber hätte lieber pofitive Arbeit leiften, das Ge-
dankengefüge der Schrift herauslöfen, die Quellen aufdecken
und die Zitate nachweifen follen.

Zwickau i. S. O. Clemen.

Holl, Karl: Die Rechtfertigungslehre im Licht der Gefchichte des

ProteitantisiriU8. 2. verb. Aufl. (Sammlung gemeinverftändlicher
Vorträge). Tübingen, J. C. B. Mohr 1922. Gz. 0,8.

Die vorliegende Schrift ift aus einem Vortrag heraus-
gewachfen, den der Verfaffer am 17. Okt. 1905 vor den
,Freunden der Chriftlichen Welt' gehalten hat. Sie ift 1906
in erfter Auflage erfchienen. Jetzt ift die zweite herausgekommen
. Zwifchen den beiden Auflagen liegen die
umfaffenden Lutherftudien, die in den ,Gefammelten Auf-
fätzen zur Kirchengefchichte' Bd. I, 1921 niedergelegt
find. Schon in der erften Auflage war die knappe Dar-
ftellung der Rechtfertigungslehre Luthers ein Kabinett-
ftück hiftorifcher Kunft. In der zweiten ift das dort
gezeichnete Bild durch einzelne Ergebniffe der dazwifchen-
liegenden Lutherftudien bereichert und vertieft. Aber
auch in anderen Partien merkt man überall die nach-
beffernde Hand. Wie forgfältig alles bis in die kleinften
Einzelheiten des Ausdrucks abgewogen ift, dafür nur
ein Beifpiel! Die erfte Auflage redet von Lagardes
.leichtfertiger Behauptung, die Rechtfertigungslehre fei
heute in den Gemeinden tot'. In der zweiten Auflage
tritt an Stelle der .leichtfertigen' die .leicht hingeworfene
Behauptung'. Im Grundgedanken aber find beide Auflagen
einander gleich: die Rechtfertigungslehre ift dem
Proteftantismus verloren gegangen; aber um ihrer inneren
Wahrheit willen muß der Tag kommen, an dem fie wieder
zur lebendigen Kraft wird. Dies wird dem Lefer in einem
großzügigen hiftorifchen Durchblick vor Augen gefuhrt.
Schon Melanchthon hat die Rechtfertigungslehre Luthers
in verhängnisvoller Weife umgebogen; es folgt die alt-
proteftantifche Schultheologie, der Pietismus, die Aufklärung
, der deutfehe Idealismus, der moderne Hiftoris-
mus — alle diefe Bewegungen haben, jede in ihrem Teil,
eine Stimmung erzeugt, welche der Rechtfertigungslehre
direkt entgegengefetzt ift. Diefe Gefchichte des Rechtfertigungsgedankens
weitet fich jedoch von felbft aus zu
einer Gefchichte des allgemeinen Geifteslebens. Ich habe