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Ausgabe:

1923 Nr. 4

Spalte:

82-83

Autor/Hrsg.:

Rossi, Johannes Bapt. de

Titel/Untertitel:

Inscriptiones christianae urbis Romae. Septimo saeculo, antiquiores. Ed. Jesephus Gatti. Vol. I, Suppl., fasc. 1 1923

Rezensent:

Lietzmann, Hans

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81 Theologifche Literaturzeitung 1923 Nr. 4. 82

in Jerufalem gemacht hat (198). Überhaupt ift es für
unfer Buch bezeichnend, daß fein Verf., fooft er fich auch
unbefangen äußert, doch faß: ftets mit einem ,aber' auf
die Bahn zurücklenkt, die der Oberfatz vorzeichnet:
AG ift ein infpiriertes Buch. Zwar verrät in AG 9, 19—26
nichts, daß Paulus in Arabien war, wie Gal. I, 17
will, aber er kann trotzdem dort gewefen fein und Lukas
— der Notwendigkeit, ihm die AG neu zu fichern,
fühlt fich W. durch Harnack überhoben — das auch gewußt
haben (184 k). Lukas ift kein kritifcher Hiftoriker
im modernen Sinn, aber er ift auch kein kritiklofer Erzähler
(125). Demgemäß gelangt der Schlußteil zu dem
Ergebnis, daß bei den Differenzen zwifchen AG und Profanquellen
die Ausgleichsverfuche wohl manchmal hypothe-
tifcher Natur feien, daß fich jedoch keine einzige Angabe
der AG durch Profanzeugniffe als unrichtig erweifen
laffe (421). Selbft im Falle des Theudas 5, 36 gibt W.
den Lukas nicht preis (320). Die Antike befitzt zwar
eine reiche jiragac-Literatur, aber nur die apokryphen
Apoftelgefchichten dürfen zu ihr gerechnet werden (110),
nicht die kanonifche, die hoch über ihr fteht (107).
Dabei ift W. überzeugt, daß Lukas felbft feinem Buch
den Titel n&£ug, (rcöv) ajioöroXmv gegeben hat (105).
Ebenfo kennt und glaubt das Altertum viele Wundererzählungen
, aber diejenigen der AG ftehen auf einem
anderen Blatt. Um ihre Wirklichkeit zu erweifen, werden
auf bekannte Manier allgemeine Gefichtspunkte hervorgekehrt
, aber auf das Einzelne wird nicht eingegangen.
Daß felbft ,die Kritik' zugeben muß, daß Paulus eine
befeffene Magd und einen Dyfenteriefall geheilt hat, beweift
doch nicht, daß Lukas auch in dem glaubhaft fein
müffe, was er von Pfingften, über Ananias und Sapphira, die
Totenerweckungen der Apoftel, das Schweißtuch des
Paulus und den Schatten des Petrus berichtet. Auch wird
anerkannt, daß die alten Gefchichtsfchreiber ihren Helden

nicht bis zur Erledigung der Rechtsfache gewartet hätte,
um feinen, von ihm aufs äußerfte gefpannten, Lefern
gleich den Ausgang mitzuberichten, gibt W. den Befcheid:
Lukas wollte durch feine Darftellung in das Verfahren
zu Gunften des Apoftels eingreifen. Ich kann diefe Auskunft
nicht fehr überzeugend finden. Selbft gefetzt den
Fall, daß Lukas durch Theophilus das Ohr hervorragender
und einflußreicher Römer erreichte, woher vermochte
er denn zu wiffen, daß die Sache in Rom erft zwei Jahre
hindurch einigermaßen ruhen würde? Und felbft wenn
er das vorausfetzen konnte, mußte er nicht mit feinen
Bemühungen unmittelbar nach dem Eintreffen des Apoftels
in Rom einfetzen, um fie möglichft erfolgreich zu geltalten?

Ich hätte noch viel zur Begründung eines abweichenden
Standpunktes zu fagen. Ich glaube auch, daß die
Vorteile der feinen Unterfcheidung zwifchen Lückenhaftigkeit
und Unzuverläffigkeit (267) einem nichtinfpirierten
Autor fchwerlich zugebilligt worden wären. W. denkt
bei allem viel zu fehr an bewußte Abficht, wie er denn
auch immer wieder von bewußter Lückenhaftigkeit der
AG redet (34fr. 48, 114 u. ö), und ftellt zu wenig in
Rechnung, daß der Verf. der AG doch auch von dem
Zufall abhängig ift, der bei der Übermittlung des Tradi-
tionsftoffes waltet. Hier alles auf wohlbedachten Zweck
zurückführen wollen, heißt die Grenzen unferes Erkenntnisvermögens
überfehen.

Doch alle Ausstellungen, die bei abweichendem
Standpunkt unvermeidlich find, follen die warme Anerkennung
nicht fchmälern, die wir dem Verf. für fein
Buch fchuldig find. Es ift, wie fo manche Arbeit
moderner katholifcher Theologen, befonders wertvoll
wegen feines Eingehens auf die Gefchichte der Auslegung
, infonderheit auch die neuere Literatur. Auch das
religionsgefchichtliche und literaturgefchichtliche Vergleichsmaterial
für die Löfung fo manches Problems ift

Dank, der vielleicht andere Schlüffe daraus ziehen wird.
Das Buch enthält eine Anzahl ziemlich felbftändig neben
einander flehender Unterfuchungen von großem Wert:
über die antike Praxeisliteratur (94fr.), die Dedikation
und den Prolog im Altertum (133 ff), den Altar des unbekannten
Gottes (369), den Wahrlägegeift Python (401 ff.)
u. a. m". Sie werden in alle Lager der Wiffenfchaft Anregung
und Belehrung tragen und den Namen des Verf.s
verdientermaßen bekannt machen.

Göttingen. W. Bauer.

fehr häufig felbftkomponierte Reden in den Mund legen. I in umfaffendem Maße zufammengetragen, auch dem zum
Trotzdem find die Anfprachen der AG, wenn auch natürlich
keine ftenographifchen Protokolle, fo doch im wefent-
lichen echt (146fr.). Selbft an dem ,gefchickten Schachzug'
23, 6 ftößt fich W. nicht (208). Und die Frage, ob es denn
wahrfcheinlich fei, daß fich die Synedriften in diefer
Weife hätten verhetzen laffen, wird noch nicht einmal
aufgeworfen. Diefe Frage aber hätte in dem größeren
Zufammenhang behandelt werden müffen, ob denn die
Darfteilung der AG in der Hinficht zutreffend ift, daß fie
als die eigentlichen Feinde der Chriften innerhalb des
Judentums die Sadduzäer — im Gegenfatz zu den Phari-
fäern — bezeichnet. Auch bei der Frage, ob die Anrufung
des Kaifergerichtes fich in der Form vollzogen haben
könne, die "ihr die AG verleiht, nämlich als Ablehnung
eines Gerichtshofes wegen Inkompetenz', gibt fich W. zu
fchnell mit dem Votum Mommfens zufrieden, trotzdem
diefer zugeftehen muß, daß ein folches Verfahren .aus
unferen Rechtsquellen verfchwunden ift'. Die Rechtsquellen
wiffen von der Berufung an den Kaifer nur als
von der Appellation, nachdem der oberfte Beamte des
Gerichtsbezirkes als erfte Inftanz gefprochen hatte. Müffen

RoTN, Johannes Bapt. de: Inscriptiones christianae urbis Romae.

Septimo saeculo, antiquiores. Ed. Jcstphus Gatti. Vol. I, Suppl.,
fasc 1. (144 S.) 41: iQ, 5 cm. Rom, Aem. Cuggiani 1915.
Über der zufammenfaffenden Publikation der ftadt-
römifchen chriftlichen Infchriften waltet kein günftiger
Stern. Als die preußifche Akademie zu Gunften der
römifchen Gelehrten dielen Teil des epigraphifchen Ma-
lerials vom Corpus Inscrip'ionum Latinarum ausfehloß,
konnte man angefich's der überragenden Sachkunde und
gewaltigen Arbeitskraft G. ß. de Rossi's die Bewältigung
wir dann nicht annehmen, daß "auch Paulus fchon von I diefer Aufgabe in abfehbarer Zeit erhoffen. 1857—1861

dem Prokurator verurteilt worden ift aus denselben Gründen,
die ihm fpäter in Rom den Kopf koften, und daß Lukas
den Bericht über feinen Prozeß erheblich umgeftaltet hat
aus dem gleichen apologetifchen Motiv, das ihn die Fort-
fetzung und den Abfchluß des Handels in Rom ganz
übergehen läßt, ein Beweggrund, der fich übrigens fchno
bei der Darfteilung der Verurteilung Jefu im Lkevgl.
geltend macht und in AG immer wieder hervortritt.

W. hat freilich für den eigenartigen Abfchluß der
AG eine andere Erklärung. Er meint, wie fchon andere
und zuletzt befonders Harnack, die AG fei eben am Ende
der zweijährigen Haft des Paulus in Rom von Lukas
ausgefandt worden. Auf die, auch nach feiner Meinung
von den Gelehrten, die diefe Vorausfetzung teilen, bisher
nicht zufriedenftellend beantwortete Frage, weshalb er

erfchien der erfte Band feiner Inscriptiones christianae
urbis Romae, die datierten Infchriften bis 600 enthaltend
; 1884 folgte der erfte Teil des zweiten Bandes mit
den handfchnftlich überlieferten Texten. 1894 ift de
Rossi geftorben, und fein Erbe trat Gatti an, der zunächft
die Nachträge zu de Roffi's Bd. I zu bearbeiten begann
und nach 20jähriger Aibeit den vorliegenden erften
Fascikel des Supplements dem Druck übergab: den Abfchluß
erleb'e er nicht mehr (f 2. Sept. 1914). Angelo
Silvagni leitete den Druck der vorliegenden, 1915 er-
fchienenen, bis zum Jahre 395 reichenden 144 Seiten: ein
beigelegtes Blatt ftellt die Vollending des Sui plements
durch die Texte der fpäteren Zeit 1 nd die Indices in
Ausficht. Ob und wann der II. Band vollendet werden
wird und vor allem, ob wir eine Zufammenfaffung des