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Ausgabe:

1923 Nr. 4

Spalte:

80-82

Autor/Hrsg.:

Wikenhauser, Alfred

Titel/Untertitel:

Die Apostelgeschichte und ihr Geschichtswert 1923

Rezensent:

Bauer, Walter

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Theologifche Literaturzeitung 1923 Nr. 4.

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und unterfucht und dadurch Ergebniffe gewonnen, fondern
er legt pofitiv dar, wie er Jefus im NT gefunden hat.
Dabei löfen fich ihm Fragen, an deren Erledigung fich
Generationen ohne rechten Erfolg abgequält haben, in
verblüffender Einfachheit. .Menfchenfohn' nennt fich Jefus,
um feine Verbundenheit mit dem Menfchen zum Ausdruck
zu bringen (S. 166). Aber es laffen fich auch Behauptungen
vernehmen, mit vollendeter Gewißheit vorgetragen
, die alles eher als überzeugend find. .Andere
Darftellungen des Chriftus als folche, die in feiner Geburt
den Vorgang fehen, in dem die göttliche Gnadentat
(die nämlich, die ihn zum Sohn Gottes macht), gefchah,
gibt es im NT nicht' (18). ,Mit der Vifion ift das Bewußtfein
immer verbunden, fie gehöre in die inwendige Ge-
fchichte deffen, der fie erlebt'(522). Eine folche Definition
vereinfacht den Verfuch ja fehr, die ins Unrecht zu
letzen, welche bei der Betrachtung des Lebens Jefu von
Vifionen reden. Aber fie ftimtnt nicht zu den Erfahrungen
der Gefchichte, die Erlebniffe genug kennt, in denen fich
der Vifionär von außen her berührt fühlte. Gegenüber
der Anzweifelung der Wunder wird geltend gemacht,
daß fie die Leugnung des Meffiasbewußtfeins Jefu bedeuten
müffe (225). Weiter wird fo verfahren, als ob die Wunder-
fkepfis überhaupt alles Außergewöhnliche, auch Heilungen
und Dämonenaustreibungen, aus dem Leben Jefu entfernen
wolle. ,Die Antwort Jefu auf die Befchuldigung, erwirke
durch Beelzebub . .. die ganze Szene ift ohne das Zeichen
nicht denkbar' (226). Gewiß, aber gerade diefe Erzählung
läßt erkennen, daß die gleichen .Wunder' auch von den
.Söhnen der Pharifäer' getan werden (Mt. 12, 27). Und
die Verficherung, die Ablehnung der Zeichenforderung
fei nicht erfolgt, weil Jefus kein Zeichen tun konnte,
fondern weil er nicht wollte, verfehlt den Kern der
Sache. Denn, was den Zweifel nicht zur Ruhe kommen
läßt, ift dies, daß man nicht verftehen kann, wie diefelben
Leute, vor deren Augen fo viele .Zeichen vom Himmel'
gefchehen find, um ein folches bitten, und ebenfowenig begreift
, wie der Jefus, der Wunder an Wunder reiht, nicht
nur von den Petenten, fondern von der gefamten yevea
erklären kann, fie folle nimmermehr ein Zeichen fehen.

Behauptungen wie die, daß ,der Chriltenheit die Erzählung
von Jefus nie anders als fo vorlag, daß fie über
feine Zeichen berichtete', find in ihrer fouveränen Aus-
fchließ ichkeit wohl kennzeichnend für den gefamten
Tenor des Buches, jedoch nur mit Vorbehalt, aufzunehmen.
Ob Paulus, der niemals — hier paßt das Wort — auf
Wunder Jefu zurückgreift, der vielmehr fagt, das irdifche
Leben des Herrn habe den Anblick eines armfeligen
Sklaven dargeboten, und der demgemäß gerade der
Forderung der Juden gegenüber, der Meffias müffe Wunder
tun, nur den gekreuzigten Chriftus verkünden will (1 Cor.
I, 22), durch Petrus und Johannes eben viel von dem gewaltigen
Wundermann Jefus erfahren haben kann, fcheint
höchft zweifelhaft. .Sodann', hören wir weiter, ,wird der
Wunderbericht des Evangeliums durch das Wunder der
Apoftel belegt. Wenn der Meifter keine Zeichen tat,
taten auch die Jünger keine folchen. Es ift unmöglich,
aus dem Bericht über Petrus und Paulus das Zeichen zu
entfernen', alfo . . . Aber der Unmöglich find in dem
Buche zu viele, um auf die Dauer großen Eindruck zu
machen. Eine Frage jedoch, wie die: ,wo follen wir
einen Chriftusgedanken hiftorifch unterbringen, der das
Wunder entbehren kann?' berührt eine Gefchichtsauf-
faffung, die das wirkliche Wunder im Erdenleben Jefu
ablehnt, deshalb nicht, weil die Chriftusgedanken der
erften Jünger fich nicht in dem erfchöpft haben, was Jefus
fchon getan hat, fondern ihren Plauptinhalt und ihre
größte Kraft aus dem empfangen, was man von dem
wiederkehrenden Jefus erwartet, womit das Wunder ohne
Weiteres gegeben ift. — Doch ich breche ab. Seite um
Seite könnte man fo mit Widerfpruch und kritifchen Anmerkungen
begleiten.

Da wir aber wiffen, daß man vom Weinftock keine

Feigenfammelt, erwarten wir von Schi, auch keine gefchicht-
liche Darftellung. Wir halten uns an die Trauben, die
zu tragen ihm gegeben ift. So freuen wir uns auch an
diefem Werke der ihm verliehenen Fähigkeit, am NT eine
eigenartige und kraftvolle Frömmigkeit zu entfachen und
einen originalen Ausdruck dafür zu finden. So oft man
fich an feinen hiftorifchen Auseinanderfetzungen flößt,
ebenfooft fühlt man fich durch feine religiöfe Entfchieden-
heit und Wärme erhoben. Und viele feiner Formulierungen
wird auch der, der auf ganz anderem Standpunkt fteht,
als richtig und glücklich begrüßen. So ift auch diefes
Buch, das man unter die gefchichtlichen Darftellungen
des Lebens Jefu nicht einreihen kann, als eine wertvolle
Gabe anzufehen und feinem Verfaßter der Dank nicht
allein feiner theologifchen Gemeinde ficher.

Göttingen. W. Bauer.

Wi kenhau Ter, Dr. Alfred: Die Apoftelgefchichte und ihr Gelchichts-
wert. (Neuteftamentl. Abhandlgn. Vlll, 3—5) (XVIII, 439 S.y gr. 8".
Münfter i. W., Afchendorff 1921. Gz. 11,5.

W.'s Buch gilt der Apoftelgefchichte im Plinblick
auf ihre Bedeutung als hiftorifche Quelle für die ältefte
Zeit des Chriftentums. Ed. Meyers Warnung, bei folchen
Erörterungen ja nicht einen Teil des lukanifchen Werkes
zu ifolieren (Urfprung und Anfänge des Chriftentums I
1921 S. 3 f.), ift für ihn zu fpät gekommen. Auch würde
er ihr fchwerlich Gehör gegeben haben. Hat doch fchon
fein auf die AG befchränktes Werk, fo umfangreich es
ift, bei der Behandlung vieler Einzelfragen gewiffe
Schranken fühlen müffen, die feiner Ausdehnung gezogen
waren. Um den Gefchichtswert der AG klar zu legen,
geht W. zunächft auf den Zweck und die Kompofition
der AG ein. Dann unterfucht er jenen Wert auf Grund
innerer Kriterien, indem er nach den Quellen und dem
I literanfchen Charakter der AG fragt. Endlich geht er
auf die äußeren Kriterien ein und ftellt die AG erft den
paulinifchen Briefen, fodann den Profanquellen gegenüber.

Das Buch fpricht für fich felbft. Es ift wohl disponiert
, klar gefchrieben, faft fehlerfrei gedruckt und
die Frucht eines ftaunenswerten Fleißes. Großer und
kleiner Druck wechfeln entfprechend der größeren oder
geringeren Wichtigkeit der Darlegungen. Sorgfältige
Liften ftellen Zufammengehöriges zu einander. Zwei Re-
gifter, denen ein Sachregifter hätte beigefügt werden
follen, machen den Befchluß. Als gläubiger Katholik ift
W. davon überzeugt, daß AG ein infpiriertes Buch ift
(S. 4. 90 u. ö.). Aber die Infpiration fchaltet den menfch-
lichen Faktor nicht aus und, da diefer den Gefchichtswert
der AG gefchmälert'haben könnte, bleibt die Frage
nach ihm ein Gegenftand, der wiffenfchaftliche Behandlung
zuläßt, nein fordert. W. ftellt dabei eine Menge verftändiger
Erwägungen an. ,Das Problem: Wie erklären fich die
vorhandenen Differenzen (näml. zwifchen Paulus und AG)?
muß einmal fchärfer ins Auge gefaßt werden, ftatt daß
man immer fofort fragt: Wie harmonifiere ich beide Berichte
? Aus diefer unmethodifchen Frageftellung erklären
fich die vielen gezwungenen Erklärungsverfuche' (78). Er
redet von der /chwachen Seite' der AG (285) und wirft
ihrem Verf. vor, in der Behandlung feiner Gegenftände
manchmal nachläffig zu fein (122, 156fr.). Auch fteht ihm
vor Augen, daß wir nicht alles wiffen können (230). Er
gibt kritifchen Anwandlungen Raum, etwa gegenüber
den Zahlen 2,41. 4,4. J9, 151(120 ff.). Gütergemeinfchaft
ift trotz 2, 44t. 4, 32 keine Sitte der Urgemeinde gewefen
(159). Die Befonderheiten der drei Berichte über das
Damaskuserlebnis find anzuerkennen, man darf fie nicht
durch gezwungene Deutung verwifchen (161 ff.). Die Identität
von Gal. 2, 1—10 und AG 15 leidet keinen Zweifel
(196 ff. 202 ff).

Jedoch ift diefe letzte, gewiß zutreffende Meinung
durch die zu Gunften von AG II, 30 aufgeftellte Behauptung
belaßtet, Paulus habe bei feiner Verteidigung Gal. 2
keineswegs alle Befuche aufzählen wollen, die er als Chrift