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Ausgabe: | 1923 Nr. 4 |
Spalte: | 77 |
Autor/Hrsg.: | Breuer, Isaac |
Titel/Untertitel: | Judenproblem 1923 |
Rezensent: | Bischoff, Erich |
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Theologifche Literaturzeitung 1923 Nr. 4.
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hätte fchreiben können, und das auch in diefer nicht
ganz einwandfreien Form gewiß reichen Segen ftiften
wird. Manch einer wird es vielleicht tadeln, daß der
Verfaffer zu fehr hinter feinen Quellen zurückgetreten
ift und zu wenig die Konfequenzen feiner Aufftellungen
gezogen hat, aber ich kann darin keinen Tadel erblicken;
denn indem M. die einbeimifchen Autoren häufig felbft
reden läßt, gibt er uns ein lebensvolles Bild diefer Zeit
und läßt mit feiner ungeheuren Beherrfchung des gedruckten
und ungedruckten Materials große Teile der
damaligen Kultur vor unferm geiftigen Auge aufs neue
erftehen. Die Lefer diefer Zeitfchrift werden fich befon-
ders für die Kapitel ,Chriften und Juden', ,die Schiah', ,die
Theologie', ,der Qadi', ,die Religion', ,die Sittlichkeit', ,die
Fefte' intereffieren, aber ich kann als befonders gelungen
auch noch die Schilderungen des ,Vezirs' und ,der Verwaltung
', ,der Finanzen', ,des Hofes' und der verfchiedenen
Stände, ,der Literatur', ,der Warenerzeugung' und ,des
Handels' famt .Landverkehr', ,Fluß- und Seefchiftahrt'
hervorheben.— Man fieht, wie mannigfach die behandelten
Themen find, die jedem Lefer, dem Gelehrten wie Laien,
vielerlei Belehrung und Anregung bringen. Es ift ein
tragifches Gefchick, daß M., der bei Lebzeiten fo feiten
von fich hören ließ, das Erfcheinen diefes Buches, das
ihm gewiß einen ehrenvollen Platz in der Arabiftik
fichert, nicht mehr erlebt hat. — Reckendorf hat das
Buch durch die Preffe geführt und einen Index beige-
fteuert. Vielleicht wäre es praktifch gewefen, auch ein
Verzeichnis der in den Anmerkungen verzeichneten Literatur
zu geben.
Berlin. Bruno Meißner.
Krauß, Prof. Dr. Samuel: Vier Jahrtausende jüdischen Palästinas.
(157 S.) 8°. Frankfurt a. M., J. Kauffmann 1922. Gz. 3,3.
Breuer, Ifaac: Judenproblem. (143 S.) 8°. Frankfurt a. M. Ebd.
1922. _ Gz.. 3,3.
Einen feffelnden Überblick über rund 5 Jahrtaufende
jüdifch-paläftinifcher Landesgefchichte auf anderthalbhundert
Oktavfeiten zu geben, ift ein Kunftftück, das
wohl nur Krauß wagen durfte. Die heutige Verlagsnöt
(Genitivus subjectivus und objectivus!) geftattete nur die
gedrängte Wiedergabe der Ergebniffe des eigenen
Quellenftudiums des Verf.s Beigegeben ift eine Literaturauswahl
fowie eine chronologifche Überficht. Bei einer
Neuauflage verfchwinden wohl: hanukkah (69), halukkah
(129), scheliah (121), Hasid (133), Parchi (Farchi, 116),
wa-Ferach (117), Ezechai (79), Hippos (81), Bar-Kok-
heba (90), schelhah (scheloh, 121), ,das Schönfte' (93),
der .Windhauch aus dem Baume' (100), umhauten (31),
ftieb (39) und der oftmals falfche Gebrauch der Modi
und Tempora (49, 121, 125, 147 ufw.). — Breuer behandelt
die Juden als Einheit der Raffe, der Religion,
des Haffes, der Liebe, der Gefchichte, dann Th. Herzl,
Zionismus, Weftjuden, Religion und Nation, die Paffahnacht,
das Wefen des Judentums und das Weftjudentum. Er
faßt das Judentum als gefchichtliche Einheit im Sinne
einer Religionsnation auf. Das vorm Weltkriegsende ge-
fchriebene, befonders zu Anfang oftmals durch neue,
wenn auch manchmal beftreitbare, ftets aber anregende
Gedanken intereffierende Buch verliert fich zum Schluffe
in unklare Weltkriegs- und Weltfriedenshoffnungen für
das Judentum.
Leipzig. Erich Bifchoff.
Schlatter, Prof. D. A.: Die Gerchichte des Chriftus. (544 S.) 8°.
Stuttgart, Calwer Vereinsbuchhdlg. 1920.
Die neufte Gefchichte jefu, die ihren Titel daher
hat, daß fie wefentlich als eine Gefchichte des Chriftus
aufgefaßt wird, ftellt als ihren Zweck hin, dem Lefer
die vollkommene Einheit von Tat und Wort Jefu deutlich
zu machen. Schi, wendet keine Mühe an den ausfichts-
lofen Verfuch, die überlieferten Werke und Äußerungen
des Herrn in einen chronologifchen Zulammenhang zu
bringen, dagegen will er beides durchdenken, bis fich ihm
der fie tragende Grund offenbart. Hält er wenig von der
Stoffanordnung feiner Quellen, fo hat er im übrigen das
befte Zutrauen zu ihnen. Er kann fich das geftatten,
weil ihm eine eigentümliche Vorftellung von der Aufgabe
des Hiftorikers zu Hilfe kommt. Diefer — meint Schi.
— darf fein Verlangen nur auf die Tatfachen felbft richten,
aber keinerlei Forderungen in Bezug auf ihre Deutbarkeit
erheben. Die Tatfachen nun liegen im Bericht der Apoftel
in den Evangelien vor. Sind fie nicht zu begreifen, fo
bleibt dem Gefchichtsfchreiber, der fich feiner Pflicht bewußt
zeigt, nichts übrig, als die Anerkennung des Vor-
handenfeins von Begebenheiten, die fich eben dem Ver-
ftändnis des Menfchen entziehen. Zweifel an den Quellen
flieht ihm nicht zu, wenn fie von der Muftergiltigkeit der
hier vorliegenden find. Deren unübertrefflicher Wert
wird durch den Umftand erwiefen, daß ,im Übergang
vom erften zum zweiten Jahrhundert der Kanon der vier
Evangelien hergeftellt" wurde. Alles, was gegen die
Brauchbarkeit der kanonifcheü Evangelien gefagt zu werden
pflegt, flammt nicht aus haltbaren Beobachtungen, fondern
aus ,religionsgefchichtlichen Erwägungen' und erledigt fich,
wenn es gelingt, aus ihren Berichten ein einheitliches und
verftändliches Bild der Gefchichte Jefu zu gewinnen.
Das folchergeftalt gefteckte Ziel glaubt Schi, erreicht
zu haben. Aber der Eindruck verftändlicher Einheitlichkeit
wird nur dadurch erzielt, daß er den Inhalt der vier
Evangelien durch feine Glaubens- und Sittenlehre hindurchleitet
. Bei diefem Prozeß fchließen fich die Lücken
der Überlieferung, ergibt fich das einigende Band, das
auseinanderftrebende Beftandteile zufammenhält, die Harmonie
in Ausdruck, Form und Faflung für die Wiedergabe
des Inhaltes der evangelifchen Berichte, die gleichmäßige
Parbe, mit der fchließlich das Ganze überzogen
ift und unter der Unebenheiten und Widerfprüche verfchwinden
.
Da ihm feine Grundanfchauung verbietet, zwifchen
dem Jefus der Gefchichte und dem Chriftus des urchrift-
lichen Glaubens, wie ihn die Evangelien in verfchiedener
Abtönung fchildern, zu unterfcheiden, kann er fich in
denfelben Superlativen, in denen der Glaube der Urzeit
von Jefus redet, über ihn ergehen und dabei die Meinung
hegen, fich als Hiftoriker zu betätigen. Das jedoch ift
eine Selbfttäufchung, von der fich beftechen zu laffen,
alle die gewarnt werden müffen, die etwa in der
Erwartung zu dem Buche greifen, darin den gefchicht-
lichen Jefus gefchildert zu finden. Schon die Entdeckung
follte fie warnen, daß hier nicht die Selbft-
befcheidung des von der Relativität seiner Ergebniffe
überzeugten Gefchichtsforfchers, fondern die unbeirrbare
Sicherheit der Glaubensgewißheit das Wort führt.
Schi, fühlt fich über die Forfcher erhaben, die es nicht
über ,Vermutungen' hinausbringen, die .Zuverficht zu
ihren Schlüffen haben', die .Träumer, die fich in konftru-
ierender Konjektur' gefallen. Das alles tut er nicht. Er
hat den ficheren Befitz. Ausdrücke wie ,etwa', .vielleicht',
.möglicherweife', .wahrfcheinlich' gibt es für dielen Schreiber
der Gefchichte des Chriftus nicht. Ihm liegt die abfolute
Redeweife: ,alle' .immer', .niemals', .gänzlich'; und dadurch
verrät er, was er ..ift, trotz der fteten Betonung feiner Abficht
, nur als Hiftoriker verfahren zu wollen.
Schi, weiß genau, weshalb die Quellen über einen
Punkt fchweigen, und ebenfo gewiß, warum fie gerade fo
reden, wie fie es tun, oder diefelbe Sache von dem einen
Apoftel fo, von feinem Gefährten aber anders dargeftellt
wird. Mit beneidenswerter Sicherheit fallen die Entfchei-
dungen. Unfer Verf. eignet fich den brauchbaren Stoft
an, wo er ihn findet, durchläuft, hier etwas aufnehmend-
und da, die fynoptifche Reihe, geht von ihr zu Joh. über,
fpringt von diefem wieder auf jene zurück, zieht fchließlich
alles auf eine Schnur und zeigt fich dabei nie von
dem geringften Zweifel daran berührt, ob das wirklich
Gefchichtswiffenfchaft heißen dürfe.
Die Probleme werden von ihm nicht aufgenommen